Sein Artikel über Viktor Orban musste auf Druck der ungarischen Bischofskonferenz von der kirchlichen Homepage europe-infos entfernt werden. Hans Schelkshorn nimmt dazu auf feinschwarz.net Stellung.
Im September 2015 erschien in der Frankfurter Rundschau mein Beitrag über die politische Ideologie von Viktor Orban. Da eine gekürzte Version dieses Artikels in europe-infos auf Druck der ungarischen Bischofskonferenz von der homepage wieder entfernt werden musste – ein Akt, der von der Katholisch-theologischen Fakultät der Universität Wien in einer öffentlichen Stellungnahme als Zensur kritisiert worden ist – möchte ich zunächst die Intentionen meines Beitrags kurz verdeutlichen.
Der Beitrag beschäftigt sich ausschließlich mit der neorechten Ideologie der Regierung von Viktor Orban, die das ethnopluralistische Konzept „rechtspopulistischer“ Parteien in Europa auf ungarische Verhältnisse überträgt. Diese ideologische Ausrichtung hat, wie auch von Organen der EU wiederholt betont worden ist, demokratiepolitisch höchst bedenkliche Folgen. Der Umstand, dass der EU offenbar teils die Instrumente, teils der politische Wille fehlen, um die Aushöhlung des demokratischen Rechtsstaates in einem Mitgliedsland wirksam zu verhindern, sollte nicht von der Pflicht entbinden, diese Probleme weiterhin öffentlich zu diskutieren.
Die Allianz mancher christlichen Kirchen mit der Regierung von Viktor Orban kann keine innerungarische Angelegenheit bleiben.
Die aktuelle Flüchtlingsproblematik – die einer eigenen Analyse bedürfte und für die es gewiss keine einfachen Antworten gibt – wird in diesem Beitrag hingegen nur angesprochen, insofern in diesem Kontext die neorechte Ideologie in besonderer Weise ans Licht rückt. An dieser Stelle möchte ich ausdrücklich das beeindruckende zivilgesellschaftliche Engagement zahlreicher Christinnen in Ungarn bei der Betreuung von Flüchtlingen hervorheben. Auch der soziohistorische Kontext Ungarns bzw. der Staaten des ehemaligen Ostblocks, deren Freiheit bei der Konferenz in Jalta (Februar 1945) geopfert wurde, konnte im Rahmen eines knappen Zeitungsartikels nicht näher beleuchtet werden. Gerade als Österreicher stehen mir jedoch die Kontingenzen der Nachkriegsordnung deutlich vor Augen.
Die unübersehbare Allianz mancher christlichen Kirchen mit der Regierung von Viktor Orban kann wenigstens aus zwei Gründen keine innerungarische Angelegenheit bleiben. Erstens sind durch zweifelhafte Allianzen mit politischen Regimen alle Christ_innen in Europa mitbetroffen. Zweitens präsentiert Viktor Orban selbst seine Idee einer „illiberalen Demokratie“ als Modell für ganz Europa, insbesondere für den dekadenten Westen. Mein Beitrag versteht sich daher auch als eine Reaktion auf einen ideologischen Richtungs-Streit, der von ihm selbst entfacht worden ist.
Das Ende der Zeit der liberalen Demokratie?
Viktor Orban verkündet öffentlich das Ende der Zeit der liberalen Demokratie. Mit „liberal“ ist nicht nur ein entfesselter Marktliberalismus gemeint, sondern auch die Idee der Menschenrechte, die von ihm zu bloß „netten Sachen“ von zweitrangiger Bedeutung degradiert werden. Aus diesem Grund bezeichne ich Orbans politische Ideologie als „postfaschistisch“. Mir ist bewusst, dass während der kommunistischen Herrschaft in Ungarn jede demokratische Opposition als faschistisch denunziert wurde. Der Begriff des „Postfaschismus“ wird daher vom alten Faschismus auch in aller Deutlichkeit abgegrenzt. Wer dennoch am Begriff „Postfaschismus“ Anstoß nimmt, muss sich jedoch fragen lassen, warum er/sie am Begriff der „illiberalen Demokratie“ – für die Orban immerhin Putins Russland und selbst China als Modelle nennt! – keinen Anstoß nimmt….
Eine Komplizenschaft mit neorechten Ideologien würde die christlichen Kirchen in eine schwere Glaubwürdigkeitskrise stürzen
Die Diskussion über die augenfälligen Allianzen zwischen neorechten Bewegungen und christlichen Gruppen bzw. Kirchen in Europa – d.h. nicht nur in Ungarn – , ist für die Zukunft der Christ_innen in Europa von eminenter Bedeutung. Noch heute tragen die christlichen Kirchen das schwere Erbe ihrer fatalen Allianzen mit den faschistischen Systemen des 20. Jahrhunderts. Eine Komplizenschaft mit neorechten Ideologien würde die christlichen Kirchen bereits am Beginn des 21. Jahrhundert erneut in eine schwere Glaubwürdigkeitskrise stürzen, deren Schatten, dies kann jetzt schon mit Sicherheit gesagt werden, Jahrzehnte lang auf dem Leben von Christ_innen liegen würde.
Hans Schelkshorn / Bild: clipdealer.de