Analysen zum „Anti-Genderismus“ stehen im Blickpunkt einer aktuellen Publikation. Arnd Bünker stellt das Buch vor.
Endlich. Ein wichtiges Buch zu einer mit harten Bandagen geführten Debatte. Es geht um „Gender“ und um die Kontroversen, die sich daran entzünden. Der Band stellt Analysen des „Anti-Genderismus“ vor, wie er sich in den letzten Jahren in Deutschland, aber auch in Frankreich, in der Schweiz und in Polen entwickelt hat. Auch die Rolle der Kirchen, der römisch-katholischen insbesondere, wird auch in den Blick genommen. Zumindest beim Thema Gender bzw. Anti-Genderismus kann man von einer Nichtbeachtung kirchlicher Positionen jedenfalls nicht sprechen.
Es geht um „Gender“ und um die Kontroversen, die sich daran entzünden.
Die Herausgeberinnen des Bandes, Sabine Hark und Paula-Irene Villa, machen aus ihrer Ausgangsüberzeugung keinen Hehl:
Der Begriff Anti-Genderismus beschreibe „eine ‚Anti’-Haltung, eine Abwehr gegen Gender bzw. gegen das, was diesem Begriff unterstellt wird. Unterstellt wird, Gender stehe für eine nicht-natürliche, damit also post-essentialistische Fassung von Geschlecht (und Sexualität). Dies ist jedenfalls unsere These, und dies zeigen auch die verschiedenen Analysen des Buches in je spezifischer Weise.“ (6)
Abwehr gegen Gender bzw. gegen das, was diesem Begriff unterstellt wird.
Die Unterstellungsannahme bezüglich des Genderbegriffs wird im Buch vielfach bestätigt. Detailliert werden die Mechanismen, Muster, Entstehungsbedingungen und Kontexte des Anti-Genderismus durchleuchtet. So zeigt sich ein facettenreicher Überblick über einen zunehmend gewaltförmig geführten Kampf gegen Gender und die Menschen und Institutionen, die mit diesem Begriff arbeiten.
Nur einige Hinweise aus dem Buch sollen hier angedeutet werden:
In modernen Gesellschaften gibt es immer wieder Kämpfe um kulturelle Hegemonie, um die „Leitkultur“, die von allen beachtet werden soll. Auch die Auseinandersetzungen um Sexualität und Geschlecht sind als Teil dieses „Kulturkampfes“ zu identifizieren. Hinter Gender und Anti-Genderismus stehen die Verunsicherungen einer Gesellschaft, deren Veränderung zwar nicht steuerbar ist, die aber doch einen hohen Bedarf an Orientierung mit sich bringt. Es geht um Verunsicherungen durch prekär gewordene Arbeitsverhältnisse ebenso wie um Kämpfe um kulturelle Definitionshoheiten, die gegenwärtig geführt werden – samt ihren Aporien und Selbstwidersprüchen.
Kulturkampf
Ein wichtiger Analysebereich ist das Internet mit seinen neuen Formen der Kommunikation, in denen sich der Anti-Genderismus derzeit entfaltet. Die neuen Öffentlichkeiten des Internets schaffen für eine Vielfalt von Meinungen Platz, ohne in jedem Fall auf ihre gegenseitige Vermittlung ausgerichtet zu sein. Insbesondere im Internet entlädt sich verbale Gewalt gegen Gender, Frauen, Wissenschaft, Homosexuelle, Migranten usw. Die Stichworte lauten hier z.B. „hate speech“ oder „trolling“. Präzise wird in zwei Beiträgen nachgezeichnet, wie besonders die Stichworte „Kinder“ und „Pädophilie“ in Anti-Genderismus-Diskursen eingesetzt und instrumentalisiert werden.
Insbesondere im Internet entlädt sich verbale Gewalt.
Zur Analyse der Akteure des Anti-Genderismus tragen Beiträge zur Rolle der katholischen Kirche (mit stark internationaler Sichtweise) und aus dem Spektrum der evangelischen Kirchen bei. Hier zeigt sich – ebenso wie in den Artikeln zu anti-genderistischen Positionen aus dem rechts-konservativen bis nationalistischen politischen Lager – ein enges Netzwerk zwischen unterschiedlichen religiösen, religiös-fundamentalistischen, rechts-konservativen, nationalistischen und rechtsextremen Gruppierungen.
Netzwerk unterschiedlicher Gruppierungen
Wie sehr bei aller transnationalen Wirksamkeit des Anti-Genderismus zugleich aber auch regionale oder nationale Besonderheiten eine Rolle spielen, zeigen Beiträge aus dem Bereich der ehemaligen DDR (Anti-Genderismus als Ausdruck einer kulturellen Gegenwehr gegen westdeutsche Dominanz), über die Schweiz (Anti-Genderismus als transformierter und weiterentwickelter Anti-Feminismus) 1 und in Polen (Anti-Genderismus als katholisch-nationales Projekt zur Selbstbehauptung Polens gegenüber der Europäischen Union).
Dass das Buch mit dem Eröffnungskapitel ebenso wie durch die zahlreichen Auseinandersetzungen mit anti-genderistischer Kritik zugleich eine gelungene Einführung in die Bedeutung von Gender ist, sei abschliessend erwähnt.
(Arnd Bünker, St. Gallen; Bild: Cover Transcript-Verlag)
Das Buch:
Sabine Hark / Paula-Irene Villa (Hg.): Anti-Genderismus. Sexualität und Geschlecht als Schauplätze aktueller politischer Auseinandersetzungen, Bielefeld, transcript-Verlag, 2015, 260 Seiten, ISBN:978-3-8376-3144-9
- In diesem Beitrag wird der Name des Churer Bischofs Vitus Huonder als Silvio Huonder falsch wiedergegeben. ↩