Elmar Klinger, einer der bekanntesten deutschsprachigen Fundamentaltheologen, feiert morgen seinen 80. Geburtstag. Feinschwarz gratuliert ihm mit einer theologischen Würdigung von Thomas Franz.
Der Name Elmar Klinger ist in der Zunft der Theologinnen und Theologen kein unbekannter. Allerdings gehört er weder zu den medialen Vorzeigetheologen noch zu den emsigen Vielschreibern, er hat vielmehr den Ruf eines eigenwilligen, ja sperrigen Repräsentanten der deutschsprachigen Theologie. Klinger in gängige Schubladen einzuordnen ist schwierig. Zu eigenständig und unabhängig ist sein theologisches Denken. Schon zu meinen Studienzeiten in den 1980er Jahren schieden sich an ihm die Geister: für die einen ein Faszinosum, für die anderen ein Tremendum, nicht zuletzt vor den Prüfungen. Klinger konnte sowohl in der Debatte um die päpstliche Unfehlbarkeit diese gegen Hans Küng verteidigen als auch in der Auseinandersetzung um die Frauenordination eine brillante Stellungnahme abgeben, die argumentativ die Weiterentwicklung lehramtlicher Positionen eröffnete.
Keinerlei Scheu
Am 14. April 1938 wird Klinger in Herzogenaurach geboren. Bodenständigkeit und Weltoffenheit kennzeichnen diese fränkische Stadt. Beides trifft auch für Elmar Klinger zu, der dort bis heute seinen Wohnsitz hat. Tief verwurzelt in der Tradition von Kirche und Theologie hat er ohne apologetische Abwehr keinerlei Scheu, sich den Herausforderungen der modernen Welt theologisch zu stellen.
Noch vor dem Zweiten Vatikanischen Konzils beginnt er eine kirchliche Laufbahn im Erzbistum Bamberg mit dem Theologiestudium, wechselt nach Innsbruck und findet dort in Karl Rahner seinen akademischen Lehrmeister, dem er weiter nach München und Münster folgt. Die Promotion ging über die Tübinger Schule. Die Habilitation, 1978 unter dem Titel „Ekklesiologie der Neuzeit. Grundlegung bei Melchior Cano und Entwicklung bis zum Zweiten Vatikanischen Konzil“ erschienen, entdeckt die Bedeutung des spanischen Barockscholastikers Melchior Cano und seiner „Orte der Theologie“. Insbesondere der locus theologicus der Geschichte wird zum Schlüssel seiner Interpretation. Dogma und Geschichte lassen sich schon in der scholastischen Tradition konstruktiv aufeinander beziehen.
Mögliche Orte der Theologie
Der theologischer Spürsinn für wissenschaftliche Diskurse, noch bevor sie zum akademischen Mainstream avancieren, ist Klinger eigen: Vertreter der analytischen Philosophie wie Gottlob Frege und Bertrand Russell gehören ebenso dazu wie der Begründer der neotheistischen Prozessphilosophie Alfred North Whitehead. Klinger übernimmt 1976 den Lehrstuhl für Fundamentaltheologie und vergleichende Religionswissenschaft in Würzburg, den er 30 Jahre bis zu seiner Emeritierung 2006 innehat. Generationen von Studierenden hat er mit der Unterscheidung von Begriff und Gegenstand, Sinn und Bedeutung, Prozess und Realität traktiert. Klinger hat keine Berührungsängste, sich positiv mit Denkern und Denkerinnen auseinanderzusetzen, die nicht unbedingt im Ruf besonderer Christentumsnähe stehen, allen voran Friedrich Nietzsche wie auch Vertreterinnen des Feminismus. Ganz im Sinn Melchior Canos könnten sie nämlich mögliche Orte der Theologie sein.
Theologisches Lebensthema Konzil
Klingers zentrales theologisches Lebensthema ist das Zweite Vatikanische Konzil. Das Konzil ist für ihn jedoch nicht nur ein äußerer lehramtlicher Rahmen, bei dem je nach Belieben das eine oder andere Zitat zur Untermauerung theologischer Positionen dienen kann. Das Zweite Vatikanische Konzil ist für Klinger ein theologisches Gesamtprogramm des Glaubens und der Kirche, dessen diskursive Wurzeln in Melchior Canos Lehre von den loci theologici zu finden sind, und für dessen Umsetzung es sich zu kämpfen und streiten lohnt. In überzeugender Weise hat Klinger dies in seinen Publikationen und Vorträgen unter Beweis gestellt. Das Gesamtprogramm des Konzils liegt für Klinger einerseits in der Zuordnung der Offenbarungskonstitution zu den beiden Kirchenkonstitutionen, anderseits in der Verhältnisbestimmung der dogmatischen Kirchenkonstitution zur pastoralen Kirchenkonstitution.
Die Geltung der Aussagen des Zweiten Vatikanischen Konzils, der von Johannes XXIII. geforderte „Sprung nach vorne“, zeigt sich an der Textgenese der Dokumente. Jene Passagen bringen das dogmatisch Neue des Konzils, die im Verlauf der Entstehungsgeschichte eingearbeitet und verabschiedet wurden: sei es das erste Kapitel über die Offenbarung selbst in „Dei verbum“, das Kapitel über das Volk Gottes in „Lumen gentium“ oder die Pastoralkonstitution „Gaudium es spes“ insgesamt. Der analytische Schlüssel des Konzils ist die Fußnote zum Titel der Pastoralkonstitution über die Kirche in der Welt von heute, die das wechselseitige Verhältnis von Dogmatik und Pastoral festlegt. Beide Pole des Glaubens müssen zwar unterschieden, dürfen aber nicht getrennt werden, sondern sind wechselseitig aufeinander bezogen. „Der Glaube des Konzils. Ein dogmatischer Fortschritt“ lautet daher programmatisch der Titel, den Klinger zu der von ihm federführend herausgegebenen Festschrift zum 80. Geburtstag von Karl Rahner „Glaube im Prozess. Christsein nach dem II. Vatikanum“ beiträgt.
Polares Denken
Klinger macht das Formale in der Theologie stark. Größen wie Dogmatik und Pastoral, Gott und Welt, Gott und Mensch, Kirche und Welt, Volk Gottes und Hierarchie usw. sind wechselseitig aufeinander bezogene Pole. Klingers Betonung dieser formalen Zuordnungen in der Theologie führt zu pointierten inhaltlichen Positionsbestimmungen. Weil diese auf der Grundlage des Zweiten Vatikanischen Konzils getroffen werden, ist Klingers Theologie von ihrem Selbstverständnis her eine lehramtliche Theologie. Dies macht ihn gleichermaßen in der akademischen Welt wie bei manchen Vertretern des kirchlichen Lehramts suspekt.
Die Rückbindung an den Wahrheitsanspruch lehramtlicher Aussagen ist einer auf die Freiheit akademischer Lehre und Forschung pochenden akademischen Theologie mitunter zu kirchlich. Dass mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil theologische Positionierungen intellektuell vertretbar sind, die auch zur Modifikation kirchlicher Aussagen führen können, ist nicht immer wohlgelitten.
Kreative Transformation der Traktate
In markanten Publikationen, die exemplarisch für eine Theologie stehen, die die wechselseitige Zuordnung von Kirchlichkeit und Rationalität, von Freiheit und Wahrheit unterstreicht, hat Klinger dies aufgezeigt. Zu nennen ist die positive Auseinandersetzung mit der Befreiungstheologie in „Armut. Eine Herausforderung Gottes. Der Glaube des Konzils und die Befreiung des Menschen“ von 1990, mit der Feministischen Theologie in „Christologie im Feminismus. Eine Herausforderung der Tradition“ 2001 und mit der Theologie der Religionen in „Jesus und das Gespräch der Religionen. Das Projekt des Pluralismus“ 2006. Klingers Werke sind damit nicht zuletzt auch eine kreative Transformation der klassischen fundamentaltheologischen Traktate über Gott, Christus und die Kirche.
Die mit Karl Rahner vollzogene anthropologische Wende in der Theologie ist Elmar Klinger selbstredend gefolgt. Seinem Lehrer hat er in „Das absolute Geheimnis im Alltag entdecken. Zur spirituellen Theologie Karl Rahners“ 1994 ein kleines, aber feines Denkmal gesetzt. Über Karl Rahner hinaus hat Klinger nicht nur die existentielle sondern auch die gesellschaftlich-politische Dimension dieser anthropologischen Wende nachhaltig unterstrichen.
Hart an der Sache orientierter Gesprächspartner
Wer Elmar Klinger beim Abfassen von Publikationen oder Vortragstexten erlebt hat, war von dem ernsthaften Ringen um exakte Formulierungen und differenzierte Begriffsklärungen beeindruckt. Trotz der Kürze seiner Sätze, die sich durch eine Vorliebe für Pronomina auszeichnen, gelingt das Verständnis seiner Texte nicht immer auf Anhieb. In theologischen Diskussionen im Anschluss an Vorträge konnte Klinger allerdings zur Höchstform mit präzise profilierten Formulierungen auflaufen.
Theologische Gesprächssituationen wie das legendäre wöchentliche Kolloquium oder die Oberseminare in Klingers Würzburger Wohnung waren ein Ereignis. Bis heute leitet er einen theologischen Gesprächskreis in Herzogenaurach. Über Jahrzehnte hat er Priester und Laien, Frauen und Männer gleichermaßen in ihrem intellektuellen und akademischen Werdegang gefördert. Die Offenheit für die Themen, die seine Schülerinnen und Schüler für ihre Arbeiten mitbrachten, kannte nahezu keine Grenzen. In der theologischen Profilierung dieser Themen war er allerdings ein hart an der Sache orientierter Gesprächspartner.
Theologie als Abenteuer
Elmar Klinger habe ich als streitbaren Theologieprofessor, als unprätentiösen Priester und als Menschen mit einem tiefsinnigen Humor kennengelernt. In der letzten Zeit beeindruckt mich zunehmend, dass dieser durch und durch akademisch geprägte Intellektuelle die Person, die ihm für seine akademische Karriere ein Leben lang den Rücken frei gehalten hat – seine zehn Jahre ältere Schwester – ganz selbstverständlich in ihrem Alltag unterstützt.
Der 2009 erschienene Interviewband von Rainer Bucher mit Elmar Klinger „Mich hat an der Theologie immer das Extreme interessiert“ sei allen empfohlen, die die Werkstatt eines theologischen Lebens kennenlernen wollen, für das Theologie ein existenziell relevantes, kirchlich innovatives und intellektuell herausforderndes Abenteuer ist.
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Dr. Thomas Franz, Leiter von Theologie im Fernkurs in Würzburg, war von 2001 bis 2006 der letzte wissenschaftliche Assistent von Elmar Klinger.
Bildquelle: Echter-Verlag