Der Medialität der Osterbotschaft in Zeiten einer Pandemie, die den Kirchen einen Digitalisierungsschub gibt, gehen Ilona Nord und Thomas Schlag nach. Sie berichten aus der Forschungsgruppe CONTOC.
„Leute, es ist okay, dass die Kirche leer ist an Ostern. Das Grab war auch leer.” Dieser Spruch schmückte in der Osterzeit die Außenwerbung der „Church of the Nazarene”, einer christlichen Gemeinde in Tennessee, USA. Was angesichts der globalen Pandemie auf den ersten Blick ironisch erscheinen mag, entfaltet bei aktuellem Bedenken tieferen Sinn: Denn die frühen, nota bene weiblichen, Auferstehungszeug:innen fanden weder Gemeinschaft noch Osterruhe am Grab Jesu. Durch die vermittelnde Engelbotschaft „Er ist auferstanden, er ist nicht hier” wurde Ostern vielmehr zum Grunddatum einer Religion, in der Abwesenheit und Anwesenheit aufs Engste miteinander verbunden sind. Mehr noch: Diese vermittlungsstarke Weltsicht prägt seither die Sozialförmigkeit der mit ihr entstandenen Kirche ebenso wie ihre Glaubensarchitektur.
In den Kirchen nur Grabesruhe?
Das Christentum ist im wahrsten Sinn des Wortes Medienreligion. Durch die Christentumsgeschichte hindurch dienten jeweils immer neue Mediatisierungen dazu, diesen immanent-transzendenten Osterursprung in Bild, Buchstabe und Ton zu vergegenwärtigen. So zielten etwa klösterliche Illuminierungs- und Sakralkunst, reformatorische Druckbewegungen oder die Missionsblätter des 19. Jahrhunderts zwar stets auch auf publizistisch-politische Reichweite ab, aber eben nicht nur. Sondern durch innovative mediale Vermittlungsinstanzen sollte die alltagsübersteigende Wirklichkeit „coram Deo” durchbuchstabiert und gemeinsam „in corpore” gefeiert werden. Was aber nun, wenn durch die Pandemie in den kirchlichen Resonanzräumen nur noch Grabesruhe herrscht?
1. Anwesend – Abwesend: Wechselvolle Erfahrungen nicht nur mit dem ‘Herrn’
Seit dem vorösterlichen Lockdown im Jahr 2020 machen die Kirchen weltweit nämlich die Erfahrung eines noch einmal ganz anderen Wechselspiels, nämlich das von abwesender und anwesender Gemeinde. Der fast menschenleere Kirchenraum war zwar bereits zuvor zum medial-fotogenen Symbol weitreichender Abwanderungsprozesse geworden. Aktuell lautet aber die Frage, wann überhaupt wieder jemand in den vertrauten Räumen singen, beten, sprechen und hören können wird. Die Festtage waren und sind bei allem Traditionsabbau dennoch Gottesdiensttage. Natürlich wurde und wird im Rahmen des Möglichen weitergefeiert. Und doch wird langfristige Dauerabwesenheit befürchtet.
Entstehung unabhängiger Religionshybride
Zugleich sind vielfältige Formen digitaler Glaubenssuche zu beobachten. Diese hat sich längst eigene Wege jenseits institutionsförmiger Agenturen und Agenden gesucht und sie wird ohne Probleme fündig. Dabei zeigt sich eine digitale Spannungslogik, in der man sich einerseits explizit auf christliche Religiosität und Kirche bezieht, andererseits aber entstehen seit geraumer Zeit neue von den Religionsgemeinschaften unabhängige Religionshybride. Auch hier finden also Wechselspiele zwischen der An- und Abwesenheit von Traditionen und weitreichende Transformationsprozesse statt.
2. Ergebnisse aus der CONTOC-Studie
In diese Gemengelage mischt sich aktuell eine pandemiebedingte digitale Aufbruchsstimmung in den Kirchen: Noch nie wurden so viele Gottesdienste gestreamt, noch nie so intensiv und weit verbreitet digitale Seelsorge angeboten. Durch eine internationale und ökumenische Studie “Churches Online in Times of Corona” (www.contoc.org) wurde der kirchlich-digitalen Verkündigungs- und Vermittlungspraxis in der ersten Welle der Pandemie im Jahr 2020 nachgegangen. 6500 Pfarrpersonen und Seelsorger:innen aus vor allem Deutschland, Österreich und der Schweiz, aber auch aus den Niederlanden, Schweden, England, Malta, aus außereuropäischen Ländern wie Südafrika und Singapur gaben detailliert Auskunft über ihre Erfahrungen und Einsichten zu Gottesdienst, Seelsorge, Bildung, Diakonie und kirchlicher Kommunikation. Die Studie wurde von den Lehrstühlen für Praktische Theologie an den Universitäten Zürich (Thomas Schlag), Würzburg (Ilona Nord) und Frankfurt (Viera Pirker und Wolfgang Beck), dem SPI St. Gallen (Arnd Bünker), dem Zürcher Zentrum für Kirchenentwicklung (Sabrina Müller) sowie dem Sozialwissenschaftlichen Institut der EKD (Georg Lämmlin) gemeinsam mit akademischen und kirchlichen Kolleg:innen in insgesamt 22 Ländern durchgeführt.
Erstaunliches Engagement im Digitalen
Vorneweg gesagt: Von einer angstvollen Paralyse pastoralen Handelns kann ebenso wenig die Rede sein wie von einem stillen Kirchenrückzug aus den gesellschaftlichen Zusammenhängen. Mit erheblicher Kreativität haben sich die Befragten auf die Herausforderungen des „Social distancing“ eingelassen. Von fast 95% der Befragten wurden erstmals überhaupt digitale Gottesdienstformate angeboten. Und dies keineswegs nur im Gewand des klassischen Sonntagsgottesdienstes, sondern auch in Gestalt von Andachten, geistlichen Impulsen oder Hauskreisen im Netz. In der Krise zeigt sich hohe Sensibilität für passgenaue rituelle Formenvielfalt. Und auf seelsorgerliche und diakonische Nähe wurde, wie die Zahlen zeigen, keineswegs verzichtet. Lediglich der gemeindliche Bildungsbereich kam einigermaßen dramatisch unter die Räder. Und auch dies ist zu notieren: Digitale Abendmahls- und Eucharistiefeiern wurden in vielen katholischen Gemeinden mehrfach und in großer Verbreitung gefeiert. Im evangelischen Spektrum allerdings scheinen viele Gemeinden und Pfarrpersonen darauf verzichtet zu haben. Vielleicht war ein Grund dazu, dass man sich hier an dieses komplexe Ritual noch nicht herangetraut hatte und das Streamen eines Abendmahlsgottesdienstes ohne Gemeinde schwierig erschien? Es ist jedenfalls hoch spannend zu sehen, wie unterschiedlich die Konfessionen mit ihren gemeinsamen Ritualen umgehen, wenn es darum geht ihre Feier zu digitalisieren: theologische Fragen werden neu aufgeworfen.
Blick auf die Chancen statt Risiken
Auch wenn es etwas apologetisch klingen mag, ist eines entgegen erster Meinungsbildungen allerdings ebenfalls festzuhalten: Im Unterschied zu öffentlichen Einschätzungen während des ersten Lockdowns scheinen sich die Pfarrpersonen weniger als zunächst der Eindruck war mit selbstinszenatorischen Interesse in den Mittelpunkt gestellt zu haben. Ein genauerer Blick zeigt, dass unter den damaligen Gegebenheiten vor allem Raum für Transzendenzerfahrung ermöglicht werden sollte. Deshalb haben sich viele gerade auf den Gottesdienst via Internet konzentriert. Spannend genug: Zwei Drittel der CONTOC-Befragten, und keineswegs nur die technisch Versierten, sehen in der digitalen Kommunikationspraxis erheblich mehr Chancen als Risiken.
Vergeblich auf Unterstützung der Vorgesetzten gewartet
Bemerkenswert ist allerdings auch, dass viele Seelsorger:innen während der Pandemie vergeblich auf die Unterstützung in den kirchlichen Strukturen gewartet haben. Gerade im Bereich der katholischen Kirche fungieren die institutionellen Strukturen offenbar kaum als Unterstützung der Akteur:innen vor Ort. Viele haben sich daher mit den Mitarbeiter:innen vor Ort und den Ehrenamtlichen in den Gemeinden zusammengetan und tragfähige Lösungen entwickelt. Grundsätzlich wird gerade von den digital versierten Befragten ein erheblicher Bedarf nach theologischer Reflexion und Kriterienbildung artikuliert: Wie wirken sich die digitalen Formate auf den Kern der Botschaft aus, wie verändert sich das Wechselspiel von Anwesenheit und Abwesenheit? Und welche Bedeutung hat diese Entwicklung für die Kirchen? Nicht zuletzt um diese Themen zu diskutieren, bieten die Ländergruppen des CONTOC-Projekts öffentliche Tagungen an (vgl. Programme sowie Zusammenfassungen unter www.contoc.org; die auf Deutschland bezogene Tagung findet nächste Woche am 13.4.21 von 9-16 Uhr virtuell statt).
3. Die nur vermeintliche Leere des Raumes
Ostern ist das Grunddatum christlichen Glaubens. Der Entzug gewohnter Traditionen hat irritiert. Digitale Praktiken ersetzen nicht einfach das, was nun nicht stattfinden konnte, das ist für manche schmerzhaft klar geworden, für andere eröffneten sich Räume, andere Ostererfahrungen zu machen.
Mit anderen Worten: Die gegenwärtig krisenhaft erfahrene Abwesenheit im Blick auf die sonntägliche Gottesdienstgemeinde sollte nicht allzu forsch als geistliches oder kommunikatives Raumvakuum interpretiert werden. Theologisch gesprochen war das leere Grab bereits beim ersten österlichen Anschein alles andere als ein blanker Raum. Das Wechselspiel von Anwesenheit und Abwesenheit beginnt mit der individuellen Erfahrung der ersten Zeug:innen der Auferstehung. Transzendenzerfahrungen haben immer irdisch-sandigen Boden unter den Füssen. Er ist manchmal etwas anstrengend, gerade für die Waden. Aber letztlich erinnert er doch auch an die Wüste und den Exodus
4. Kommt die postdigitale Reformation?
Digitalisierung im Bereich der Kirchen bedeutet qualitativ gesehen mehr und anderes als lediglich das Streamen von Gottesdiensten. In diesem Sinn ist kirchliche Vermittlungspraxis mehr als die professionelle Nutzung digitaler Tools. Dafür, so zeigt CONTOC auch bereits, gibt es in den Kirchen bereits viel Gespür. Vielleicht ist das Neue kirchlich-digitaler Praxis jenen, denen sie (noch) suspekt ist, deshalb wenig attraktiv, weil gegenwärtig Vieles an gewohnter Praxis fehlt. Doch es zeichnet sich bereits eine Kultur selbstverständlicher Online-Präsenz „24/7“ ab. Es ist nicht übertrieben dabei auch schon von einer postdigitalen Reformation zu sprechen. In ihr wird immer schon davon ausgegangen, dass die Kommunikation des Evangeliums sich digitalisiert vollzieht.
Eine neue Normalität ist entstanden
Sie ist zur neuen Normalität geworden, auch in den Kirchen zeichnet sich dies ab: In ihren Organisationen und Verwaltungen, in den Gruppen und Kreisen, die seelsorgerlich, diakonisch und bildungsbezogen arbeiten, nicht zuletzt in den Gottesdienstkulturen. Dazu kommen sozusagen wie ein Alter ego zu den Bereichen, die Contoc untersucht hat, auch die frei und unabhängig von kirchlichen Strukturen wirkenden christlichen Bewegungen, ihre vielfältigen Sozialformen, interessante neue Kommunikationsformen, aufgebaut etwa von christlichen Influencer:innen. Um zu verstehen, wie sich diese weiterentwickeln und welche Bedeutung die verschiedenen Aktivitäten füreinander und für die christlich interessierte Welt haben, dafür mag die paulinische Reflexionskategorie „Prüfet alles, das Gute behaltet“ dienlich sein. Schon die ursprüngliche Osterüberlieferung der Evangelien hatte kein eindeutiges Narrativ ein für alle Mal festgeschrieben, sondern immer wieder neue Deutungsmöglichkeiten anwesender Abwesenheit eröffnet. Ein solches traditionsbewusstes und zugleich innovationswilliges „semper reformanda” zeigen viele in den Kirchen tätigen Haupt- und Ehrenamtliche, die inmitten der Pandemie ganz offensichtlich neue Wege gehen.
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Autor:innen:
Ilona Nord, Lehrstuhl für Religionspädagogik und Didaktik des Religionsunterrichts an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg.
Thomas Schlag, Lehrstuhl für Praktische Theologie an der Theologischen Fakultät der Universität Zürich und Direktor des Universitären Forschungsschwerpunkts „Digital Religion(s)“ (www.digitalreligions.uzh.ch).
Beide sind hauptverantwortlich für die erwähnte CONTOC-Studie (www.contoc.org).
Foto: Laura Davidson / unsplash.com