Mit dem Beitrag „Feinde der offenen Gesellschaft: Rechtspopulismus als theologisches Problem“ von Christian Bauer setzt sich Willibald Sandler auseinander.
„Müssen wir jetzt Angst haben?“ – fragt Christian Bauer mit den Worten seiner siebenjährigen Tochter. Ich fragte mich dasselbe. Dabei müsste ich mich gar nicht fürchten. Als gebürtiger Österreicher mit pragmatisierter Anstellung und über fünfzig dürfte mir das Ärgste wohl erspart bleiben. Was für den erklärten „Arbeitsmigranten“ Bauer vielleicht doch nicht ganz gilt. Denn das Wahlprogramm der FPÖ beinhaltet nicht nur eine „Null als Obergrenze“ bei Asylanträgen, sondern eine „Minus-Zuwanderung“: „Ziel muss es daher sein, nach dem Prinzip der ‚Minus-Zuwanderung‘ in Österreich aufhältige Ausländer wieder in ihre Heimat zurückzuführen.“1 Und dieses Programm wurde direkt verantwortet von Norbert Hofer, der nicht nur (in überparteilicher Funktion) Dritter Nationalratspräsident ist, sondern auch (neben Heinz-Christian Strache) stellvertretender Bundesobmann und Chefideologe der FPÖ.
„Müssen wir jetzt Angst haben?“
Aber eigentlich muss sich Christian Bauer doch nicht fürchten. Denn als dynamischer, erfolgreicher Professor zählt er zu den Richtigen, die ins Land kamen. Im Gegensatz zur Parole, die ein etwas anderer Norbert Hofer seinen AnhängerInnen entgegenrief: „Wir haben die Falschen ins Land geholt, liebe Freunde!“ 2
Also haben wir doch allen Grund uns zu fürchten! Denn die Angst hat ein Gesicht. Ein „Wolf im Schafspelz“ scheint Hofer tatsächlich zu sein, – auch wenn man das jetzt gar nicht sagen sollte. Denn wer gegen Hofer und die FPÖ protestiert, arbeitet ihnen zu, – darin sind sich alle einig: die Wahlexperten, Eva Glawischnik, Van der Bellen. Und so gingen beim ersten ‚Rededuell‘ nach den Wahlen beide Kandidaten geradezu handzahm miteinander um: „Herr Hofer, auch darin sind wir uns einig“. Nur: Das ist genau das Image, das Hofer braucht, um zu siegen, – bestätigt von Van der Bellen.
Also haben wir doch allen Grund uns zu fürchten! Denn die Angst hat ein Gesicht.
Dieser Abend hat mich noch mehr bedrückt als drei Tage zuvor der Wahltag. „Eigentlich müsste nun ein empörter Aufschrei durchs Land gehen. Fast mehr als das Ergebnis erschreckt jedoch das Ausbleiben dieses Schreis.“ – Die Worte von Christian Bauer treffen den Punkt. Nachdem ich mir dieses Rededuell angeschaut hatte, spürte ich Hilflosigkeit, Resignation, etwas von einer Schockstarre in mir. Ich wollte das alles nur noch wegdrängen, nicht mehr hinschauen.
Gefangen in einer „Logik der Verneinung“
Da war für mich der Beitrag von Christian Bauer ein Weckruf, für den ich dankbar bin. Ja genau, auf dem Spiel steht eine „offene Gesellschaft“ im Sinn von Karl Popper: „humanitärer Glaube […] an die Vernunft, an die Freiheit und an die Brüderlichkeit aller Menschen“. Dagegen: Mauern aufziehen nach außen (gegen Flüchtlingsflut und Islam-Gewalt) und gegen „die da oben“ (in Brüssel), als „eine Frage des Überlebens unseres Volkes“3. Eine solche Logik hatten wir schon mal. Und es gibt sie seit den Anfängen: Schon Perikles gegen Platon, wie Christian Bauer Karl Popper zusammenfasst! Und heute Van der Bellen und Griss („beide erklärte Freunde der offenen Gesellschaft“) gegen Hofer! Für die Richtigen und gegen die Falschen!
Allerdings: Reicht das? Sind die Feinde der „Feinde der offenen Gesellschaft“ schon ihre Freunde? Oder wird – wenn man dabei bleibt – die Logik einer „Kraft die stets verneint“ (Goethes Faust) nur um eine Stufe weiter gedreht? Ist die FPÖ wie die rechtspopulistische AFD ein „Zwilling der Islamisten“, wie Bauer mit Christian Hermes nahelegt? In gewisser Hinsicht ja, in anderer nein. Nein im Hinblick auf physische Gewalt und Zerstörung, ja vor allem im Sinn einer populistisch verbreiteten Logik der Verneinung: Wenn wir „die Falschen“ zurückdrängen, dann wird das Richtige obsiegen, dann wird es uns allen besser gehen.
Sind die Feinde der „Feinde der offenen Gesellschaft“ schon ihre Freunde?
Dagegen gilt es doch aufzutreten! Nicht die Asylwerber sind doch die Falschen und nicht die Funktionäre der EU, sondern die FPÖ und Norbert Hofer: Da schaut, der Wolf im Schafspelz! Wir müssen die wirklich Falschen zurückdrängen, dann wird das Richtige obsiegen.
Also dasselbe in Grün? Die Feinde der Feinde der offenen Gesellschaft nun als „Drilling der Islamisten und der Rechtspopulisten“? Ja in der eben genannten Hinsicht, entschieden nein in anderer: „Der Feind ist unsere eigene Frage als Gestalt,“ zitiert Christian Bauer Carl Schmitt. Das ist tatsächlich ein wichtiger Unterschied. Wenn die FPÖ im von Norbert Hofer verantworteten Parteiprogramm schreibt: „Der Islam ist eine Religion, die die Welt als Kriegsschauplatz ansieht – und zwar solange, bis die gesamte Menschheit islamisch ist“4, dann kann das allenfalls glaubhaft sein, solange man noch keine Moslems „face to face“ kennen gelernt hat.5 Hier erscheint der Feind tatsächlich als „unsere eigene Frage als Gestalt“ – als eine Fiktion, die man gebraucht, um diesseits aufgezogener Grenzwälle Heimatgefühl zu erzeugen. Im Unterschied zu solcher Fiktion haben die „Feinde der offenen Gesellschaft“ ein wirkliches Gesicht.
„Der Feind ist unsere eigene Frage als Gestalt.“ (Carl Schmitt)
Nur dürfen wir dieses Gesicht nicht mit der Person von Hofer, Strache und vielen anderen – bis zu den Kämpfern im IS – einfach gleichsetzen. Nicht sie sind, sondern an ihnen zeigt sich die Fratze eines „Geists der Verneinung“, der von ihnen wie von vielen anderen bedient wird. Vernichten lässt sich diese Fratze nicht durch Ausschaltung dieser Personen, sondern allenfalls durch deren Bekehrung und Versöhnung. Der Feind ist erst dann – als Feind – vernichtet, wenn er zum Freund wurde.
Hofer, Strache und andere: Nicht sie sind, sondern an ihnen zeigt sich die Fratze eines „Geistes der Verneinung“.
Die Gegenprobe zu dieser Feststellung: Sollte es uns gelingen, die Protagonisten des „Geists der Verneinung“ im gegenwärtigen politischen Trauerspiel effektiv auszuschalten, dann hätten wir den „Geist der Verneinung“ gerade nicht überwunden, sondern reproduziert, – wie im Paradox vom Kannibalen: „In unserem Stamm gibt es keine Kannibalen, den letzten haben wir gestern verspeist.“6
Natürlich will Christian Bauer nicht dazu aufrufen, den „bösen Wolf im Schafspelz“ in Antifa-Manier hinauszuknüppeln. Aber was dann? Was bleibt den Intellektuellen, die die Unterkomplexität des Rechtspopulismus durchschauen, wenn die Wählermehrheit das nicht so sieht? Was bleibt einem ‚Perikles‘ gegen ‚Platon‘ übrig, wenn das Volk für ‚Platon‘ stimmt? Soll er die Demokratie zeitweilig durch eine „Aristokratie“ – im Sinne einer Herrschaft der „Besten“, der Intellektuellen, die die Sache durchschauen – ersetzen? Dann wäre er zu ‚Platon‘ mutiert. Bleibt also nur die „innere Emigration“ des Intellektuellen („Ihr werdet schon sehen. Ich hab euch gewarnt“), die mit der tragischen Emigration Karl Poppers nach Neuseeland nur zynisch verglichen werden könnte?
Spuren eines ursprünglich Positiven
Das ist ein blinder Fleck bei der Kennzeichnung der „Feinde der offenen Gesellschaft“ als ebensolche. Damit ist der kritische Ansatz – mit der von Bauer geforderten praktischen Konsequenz, die „Errungenschaften einer offenen Gesellschaft … gegen alle ihre Feinde … durchaus robust zu verteidigen“ – nicht widerlegt, aber es zeigt sich die Notwendigkeit, dabei nicht stehen zu bleiben. Damit sie im Kampf gegen den „Geist des Negativen“ nicht selbst von diesem infiziert wird, muss sie sicher in einer ursprünglichen Affirmation gründen.
Auch Christian Bauer bleibt in seinem Beitrag nicht bei Verteidigung und Kritik stehen. Im Schlusskapitel „Politik der Zeugenschaft“ lässt er als christlicher Theologe die Gefahr einer sich reproduzierenden „Logik der Verneinung“ hinter sich und benennt Ansätze für eine „Wirklichkeit, die, um zu sein, es nicht nötig hat, sich entgegenzusetzen“ (Henri de Lubac). Diese Wirklichkeit, die theologisch als Gott, Gnade, Liebe, Wahrheit, Schönheit, als geschaffenes Sein in seiner unverlierbaren göttlichen Verwurzelung, sowie dramatisch-geschichtlich als Erlösung, Vergebung und Versöhnung reflektiert werden kann, lässt sich nicht in eine „Logik des Positiven“ gießen und verfügbar machen. Sie offenbart sich in Spuren des „Geistes, der weht, wo er will“ (Joh 3,8) – auch außerhalb kirchlicher Räume – und ist je neu einzufangen in einem „offenen Narrativ“, welches letztlich das Christentum selbst darstellt, wie Bauer mit Lieven Boeve betont, und „dessen pastorale Grundoption allen Armen und Bedrängten gilt“.
Der Gefahr einer sich reproduzierenden „Logik der Verneinung“ etwas entgegensetzen
Was immer neu zu erzählen und – in einer „Politik der Zeugenschaft“ – zu bezeugen ist, sind Begegnungen, in denen gerade die Armen und Bedrängten ein Gesicht bekommen. In ihrem „Antlitz“ (Emmanuel Lévinas) empfangen wir nicht nur den Anspruch, ihn/sie nicht zu töten, sondern auch die Kraft und den Mut, diesem Anspruch zu genügen.7 Gerade um der erzählt-bezeugten „Wirklichkeit, die um zu sein, es nicht nötig hat, sich entgegenzusetzen“ zu entsprechen, reicht es für eine „Politik der Zeugenschaft“ nicht aus, das misshandelte Angesicht den Tätern vorzuhalten. Damit verbunden müssen wir jederzeit bereit sein, dieses Angesicht auch aktuell in den Tätern selbst zu finden und seine Spuren findend freizusetzen. Es gilt, auch im „Wolf im Schafspelz“ das tiefer verborgene „Schaf im Wolfspelz“ zu finden, – wo immer sich seine Spur zeigt.
Es gilt, auch im „Wolf im Schafspelz“ das tiefer verborgene „Schaf im Wolfspelz“ zu finden.
Mit beidem jederzeit zu rechnen, um es gegebenenfalls zu erkennen und zu bezeugen, zeichnet die Nachfolge Jesu aus, in der wir „wie die Kinder“ (Mt 18,3) und zugleich „klug wie die Schlangen“ (Mt 10,16) sein sollen: nämlich gerade aufgrund einer unbedingten Affirmation der Person (genährt durch die Spuren eines immer wieder sich offenbarenden ursprünglich Positiven) auf geschärfte Weise kritisch gegen deren Pervertierungen.
„Wie die Kinder“ und „klug wie die Schlangen“ – im Blick auf Norbert Hofer
Im konkreten Blick auf den Bundespräsidentschaftskandidaten Norbert Hofer: „Wie ein Kind“ will ich vertrauen, dass auch er sich ändern und entwickeln kann. Ich traue ihm zu, dass sein Sportunfall ihn sensibler für „Menschen mit besonderen Bedürfnissen“ gemacht hat, und dass er aus der Traktierung mit dem „Krüppellied“8 nicht nur politisches Kapital schlug, sondern persönlich betroffen und dadurch vielleicht auch selber sprachlich sensibilisiert wurde. Und ich bin zuversichtlich, dass überparteiliche Funktionen wie Nationalratspräsident und Bundespräsident auch dazu beitragen können, sich von Problematischem in der Herkunftspartei wie auch in seiner eigenen Geschichte zu distanzieren.
Diese erhoffte Entwicklung müsste aber an Positionen Hofers ansetzen, die nicht nur in seinen smarten Fernsehauftritten, sondern auch in Wahlkampfreden9 und vor allem im von ihm verantworteten FPÖ-Parteiprogramm zu finden sind. Und wenn ich das anschaue, dann wünsche ich mir für seine Weiterentwicklung entschieden einen anderen Ort als die Hofburg.
Es widerspricht nicht der Bereitschaft zu einer unbedingten Affirmation im offenen Blick auf einen Politiker, wenn man auf solche Diskrepanzen hinweist, um den „Geist der Verneinung“ an ihm aufzudecken. Und wo der gezielte Einsatz eines solchen Geistes nachweisbar ist, kann und muss diese Person auch z.B. als Rechtspopulist benannt und entsprechend davor gewarnt werden, sie zu wählen – ohne dass dies eine persönliche Kompromittierung wäre. Ob man sich bei solcher Kritik selber in eine Logik der Verneinung verfangen hat, zeigt sich u.a. daran, wie weit man Positives bzw. Änderungen zum Besseren anerkennen oder grundsätzlich nur als strategisch vorgetäuscht beargwöhnen kann.
Ob man sich selber in eine Logik der Verneinung verfangen hat, zeigt sich daran, wie weit man Positives bzw. Änderungen zum Besseren anerkennen oder grundsätzlich nur als strategisch vorgetäuscht beargwöhnen kann.
Von solcher Kriteriologie her kann ich mich mit Van der Bellens gelegentlichem „Herr Hofer, wir sind schon wieder einer Meinung“ aussöhnen, – selbst auf die Gefahr hin, dass es als Legitimierung eines gefährlichen Kontrahenten missverstanden wird. Ja es spricht für Van der Bellens entpolarisierenden Stil, mit dem er seinen Anspruch, als Präsident ein Brückenbauer sein zu wollen, gerecht wird. Es bleibt nur zu hoffen, dass solch feine Kohärenzen – wie auch die oben angesprochenen groben Inkohärenzen – von der Mehrzahl der WählerInnen rechtzeitig erkannt werden.
- Handbuch freiheitlicher Politik. Ein Leitfaden für Führungsfunktionäre und Mandatsträger der Freiheitlichen Partei Österreichs ,4. Aufl. 2013; Online: https://www.fpoe.at/fileadmin/user_upload/www.fpoe.at/dokument/2015/Handbuch_freiheitlicher_Politik_WEB.pdf ↩
- „Wir haben die Falschen ins Land geholt, meine lieben Freunde … und am gleichen Tag ausgewiesen werden, liebe Freunde, aber noch am gleichen Tag. Und wenn sie das nicht tun, dann werde ich diese Regierung absetzen, liebe Freunde. Ich werde euer Bundepräsident sein, liebe Freunde. … Nichts und niemand wird uns aufhalten können,“ so Norbert Hofer bei einer Wahlkampfrede, am Hauptplatz in Graz am 3. März 2016. Ein entsprechender Video-Ausschnitt wurde in der ORF-Sendung „Wahlfahrt – Auf zur Hofburg: Alexander Van der Bellen und Norbert Hofer“ vom 5. 4. 2016 eingespielt. Online zugänglich: https://www.youtube.com/watch?v=8-aTNSPBbq4 Position: 26:09-28:20. ↩
- Handbuch freiheitlicher Politik (s. Anm. 1), 147. ↩
- Handbuch freiheitlicher Politik (s. Anm. 1), 53 ↩
- Vgl. zur Psychologie von Pegida: Byung-Chul Han, In Sachsen gibt es kaum Muslime. In: Süddeutsche Zeitung 17. 12. 2014; online: http://www.sueddeutsche.de/politik/psychologie-von-pegida-sehnsucht-nach-dem-feind-1.2269476-3 ↩
- Vgl. dazu Slavoj Zizek, Das fragile Absolute, Warum es sich lohnt, das christliche Erbe zu verteidigen. Berlin 2000, 111. ↩
- Vgl. dazu W. Sandler, „Ich war obdachlos, und ihr habt mich (nicht) aufgenommen“. Christliches „Hinschauen“ in der Flüchtlingskrise. Online im Innsbrucker Theologischen Leseraum: http://theol.uibk.ac.at/itl/1144.html ↩
- Vgl. http://orf.at/stories/2320495/ (Meldung vom 23. 1. 2016). ↩
- Vgl. Anm. 2. ↩