Freiburger Theolog_innen auf der Versammlung „Katakombenpakt – erinnern und erneuern!“ vom 11.-17. November in Rom.
Neun Theolog_innen aus Freiburg im Breisgau (Steffen Bayer, Jolande Berberich, Theresa Denger, Barbara Henze, Johannes Hölscher, Benjamin Reiß, Clemens Weingart, Franziska Wintermantel, Melanie Wurst) reagieren auf einen Feinschwarz-Beitrag von Michael Schüßler vom 23.11.2015: „Katakombenpakt gefeiert und beerdigt?“
Erwartungen…
Warum findet 50 Jahre später eine Tagung statt, wenn 40 Bischöfe in der Domitillakatakombe in Rom versprechen, dass sie daheim ihr Leben ändern, auf Ehrentitel verzichten, nicht mehr in aufwändigen Häusern wohnen und sich für eine Kirche der Armen einsetzen wollen? Muss die Einhaltung solcher Versprechen nicht vor Ort überprüft werden? Und wieso werden zu diesem Jubiläum Menschen eingeladen, die weder selbst Bischöfe sind, noch in Bischofspalästen wohnen? Damit sie zum schon vorher erwarteten Ergebnis kommen, dass aus der vor 50 Jahren erträumten Kirche der Armen nichts geworden ist? So könnte man sich eine Tagung vorstellen, wie es sie im akademischen Umfeld geben mag: über ein Thema, das distanziert bilanziert werden kann, und dessen Expert_innen sich dadurch auszeichnen, dass sie, ohne persönlich involviert zu sein, ihren Standpunkt erläutern.
Was stattdessen geschah…
Genau das war die Versammlung „Katakombenpakt – erinnern und erneuern!“ nicht. Vorbereitet wurde die Veranstaltung von der „Projektgruppe Pro Konzil“, die sich um das „Institut für Theologie und Politik“ (ITP) in Münster herum gebildet hat und zu der Menschen gehören, die sich die Reform von Kirche und Gemeinden im Sinne des Zweiten Vatikanischen Konzils zu Eigen gemacht haben. Das ITP steht für eine Theologie und für ein gesellschafts- und kirchenpolitisches Handeln, deren Zentrum die Theologie der Befreiung ist. Auf der Versammlung wurde schnell klar, dass Teile des Organisationskreises und ihm verbundene Personen davon ausgingen, in den übrigen Teilnehmer_innen Gesinnungsgenoss_innen zu finden, die die Probleme in Kirche und Gesellschaft so anpacken wie sie selbst. Dass die Erwartungen und Hintergründe der Teilnehmer_innen dann vielfältiger waren, hätte die Tagung scheitern lassen können.
„Da bekommt man einen Eindruck davon, was das Zweite Vatikanische Konzil bedeutet haben und was für eine Kraft davon ausgegangen sein muss.“
Aber dies ist nicht geschehen, im Gegenteil: Der Unmut, der sich schon am ersten Morgen anbahnte und abends zum Ausbruch kam, ist dank der überaus glücklichen Reaktion der Moderatorin und des Vorbereitungsteams für den folgenden Morgen in erhöhte Gesprächsbereitschaft umgewandelt worden, nicht bei allen, aber zu allen Zeiten, in denen Gespräche möglich waren – in den Kaffeepausen, auf den Fluren, während der Mahlzeiten, spätabends bis tief in die Nächte hinein. Und plötzlich war er da – ein Diskursraum, wie man ihn sich für eine akademische Theologie nur wünschen kann. Menschen verschiedenen Alters, aus unterschiedlichen Lebenskontexten, im Gespräch über das, was Christ_insein heute ausmacht.
Diese Gespräche und die Workshops wurden zum Herzstück der Versammlung. Die einen konnten in ihnen erklären, dass die Anfragen nicht als freche Provokation gemeint waren, die anderen, dass Theologie und Glaube relevant sind, weit über akademische Betrachtungen und das private Leben hinaus. „Wenn man die Leute hier sieht und dass sie nach 50 Jahren – trotz so vieler enttäuschter Hoffnungen und verlorener Kämpfe – noch so engagiert und begeistert sind, dann ist das schon erstaunlich. Da bekommt man einen Eindruck davon, was das Zweite Vatikanische Konzil bedeutet haben und was für eine Kraft davon ausgegangen sein muss.“ So beschrieb es eine Studentin. Dass Kirche und Christentum in dem Maße bewegen, das erscheint heute kaum vorstellbar, wo man oft nur noch Jammern über den Niedergang kennt.
Begegnungen…
Wir sind Menschen begegnet, die schlicht ihre Arbeit tun, seit Jahren, manchmal auch ohne sichtbaren Erfolg. Sie reicht vom Widerstand gegen das Belo-Monte-Staudammprojekt im Amazonasgebiet zum „ArMut teilen“-Projekt in Salzburg, von der Anti-Mafia-Organisation „Libera“ in Rom, der Bistums- und Pax-Christi-Arbeit eines emeritierten Bischofs, der seinen Humor nicht verloren hat, zur NGO „Franciscans International“ in Genf. Wir haben Theolog_innen kennengelernt, die nach Aufenthalten in Lateinamerika oder Osteuropa ihren Dienst in Kirchengemeinden in Deutschland oder der Schweiz keineswegs „spießig“ finden – mögen sich die Kontexte noch so sehr voneinander unterscheiden.
Wo es um etwas geht, da kann auch manches auf der Strecke bleiben.
Erfahrungen…
Wir haben erfahren: Christentum ist konkret lebbar – privat, beruflich und politisch – und zwar überall auf der Erde. Ein solches Christentum macht den Unterschied und unterscheidet, d.h. es ist parteiisch. Oder, wie es Óscar Romero ausdrückte, der 1980 ermordete Erzbischof von San Salvador: „Es ist leicht, Diener des Wortes zu sein, ohne die Welt zu stören, Diener eines sehr spiritualisierten Wortes ohne Verbindlichkeit in der Geschichte, eines Wortes, das überall auf der Welt gleich tönt, weil es nichts von dieser Welt trifft.“[1] Ein störendes Christentum aber birgt ein Risiko, nicht nur für Leib und Leben. Wo es um etwas geht, da kann auch manches auf der Strecke bleiben. Wenn die Motivation und die Kraft verloren gehen, Positives wahrzunehmen, dann bleiben nur Unzufriedenheit und Enttäuschung. Dass es möglich ist, sich eine positive Grundhaltung trotz der Zustände in Kirche und Welt zu bewahren, war auch eine Erfahrung, die wir in diesen Tagen machten. Eine alte ehemalige Ordensschwester aus Chile beschrieb es so: „Ich bete, angesichts der Widerstände und der nicht enden wollenden Not, nicht hart zu werden und zu verbittern.“
Konsequenzen…
Um Aktivismus geht es also bei der „Kirche der Armen“ nicht. Vielleicht aber um eine lebendige Zähigkeit, die ohne Aggression durchhalten lässt, weil sie sich von uralten biblischen Visionen getragen weiß. Auch an diese wurde auf der Versammlung erinnert, in den Bibelarbeiten morgens und vor allem durch die Lieder von Huub Oosterhuis. Angesichts der Anschläge in Beirut und Paris, die das Treffen in Rom überschatteten, klingt der Schluss der dritten Strophe von „Am Ende aller Tage“ zu Micha 4,1-4 „und niemand schreckt mehr auf des Nachts im Schlaf und niemand fürchtet mehr den nächsten Morgen“ wie für heute geschrieben. Die Micha-Vision macht Mut, Schritte zu ihrer Verwirklichung anzupacken. Und so war es nur folgerichtig, dass aus dem Workshop „Risse in der Festung Europa. Unser Beitrag zu einer Kirche ohne Grenzen“ die studentische Initiative erwuchs, „Selbstverpflichtungen im Geiste des Katakombenpaktes“ zu formulieren, denen sich der größte Teil der Versammlung auf ihrer Schlusssitzung anschloss und die nun zurück im Alltag konkretisiert und gelebt werden wollen (vgl. http://www.pro-konzil.de/ergebnisse-aus-dem-workshop-risse-in-der-festung-europas-selbstverpflichtungen-im-geiste-des-katakombenpakts/ ).
Um ihre Übersetzung ins konkrete Leben muss immer wieder neu gerungen werden.
Fazit
50 Jahre später reicht es nicht mehr, auf einen Pakt von 40 Bischöfen stolz zu sein. Die Glaubwürdigkeit der biblischen Botschaft hängt heute wie damals an allen, denen sie etwas bedeutet. Um ihre Übersetzung ins konkrete Leben muss immer wieder neu gerungen werden. Mut dafür hat die Versammlung zum Katakombenpakt-Jubiläum gemacht.
(Beitragsbild: Franziska Wintermantel)
[1] Óscar Romero am 10. Dezember 1977 bei einer Priesterweihe.