Einst waren die kirchlichen Wohnungsbaugenossenschaften ein sozialer Dienst an der Nachkriegsgesellschaft. Ob sie heute noch mehr leisten können, als sie es als normale Marktteilnehmerinnen tun, ist eine Frage, der Bernhard Emunds nachgeht.
Kirchliche Wohnungsunternehmen bzw. Siedlungswerke haben spannende Leuchtturmprojekte vorzuweisen, in ökologischer und vor allem in sozialer Hinsicht! Natürlich sind auch sie in dem höchst einträglichen Bauträgergeschäft tätig, vermutlich mit Vertragskonditionen für ihre Kund*innen, die mit denen anderer Unternehmen der Wohnungswirtschaft vergleichbar sind. Aber durch Dienstleistungen für kirchliche Akteure mit Immobilienbesitz und eben durch solche Projekte mit sozialer Ausstrahlung sind sie bemüht, sich vom Rest der Branche abzuheben und ihrer kirchlichen corporate identity gerecht zu werden.
Reicht das Bisherige wirklich schon?
Doch: Reichen einzelne Vorzeigeprojekte als Ausweis der Existenzberechtigung? Oder bedürfen kirchliche Wohnungsunternehmen vielleicht gar keiner eigenen Existenzberechtigung? Reicht es, dass sie für ihre Gesellschafter*innen, also für Diözesen und andere kirchliche Akteure, ansehnliche bis sehr gute Renditen erzielen?
Eine große, sozialpolitische Vergangenheit…
Die meisten kirchlichen Siedlungswerke sind katholisch. Zusammen bewirtschaften sie knapp 140.000 Wohnungen; pro Jahr werden von ihnen etwa 1.200 Wohneinheiten fertiggestellt. Zumeist entstanden die Siedlungswerke nach dem Zweiten Weltkrieg. Die Kirchen sollten, so damals der Wille einiger Bischöfe und anderer Kirchenvertreter, einen relevanten Beitrag zur Überwindung der Wohnungsnot leisten. Sie sollten helfen, dass die zahllosen Wohnungssuchenden der Nachkriegszeit ein erschwingliches, aber wohnliches Zuhause finden konnten. Entsprechend dem spezifischen Profil der Katholischen Soziallehre, ihrer idée fixe, Vermögen in der Gesellschaft möglichst breit zu streuen, wurde dabei vorrangig das Ziel verfolgt, Familien mit relativ geringem Einkommen Zugang zu Wohneigentum zu verschaffen. In den letzten beiden Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts verlor die Aufgabe, erschwingliche Wohneinheiten zu schaffen, allmählich ihre Dringlichkeit.
…und eine überraschende Aktualität
Seit einigen Jahren jedoch hat sich das grundlegend geändert. Mittlerweile ist die Überwindung des Mangels an bezahlbaren Wohnungen in den urbanen Ballungsräumen wieder zu einer gesellschaftspolitischen Herausforderung ersten Ranges geworden. Für viele Bürger*innen mit eher geringem Einkommen erschwinglichen und angemessenen Wohnraum zu schaffen, das könnte heute die mission kirchlicher Wohnungsunternehmen sein! Eine mission, die alle Zweifel an ihrer Existenzberechtigung zerstreuen würde und die zudem noch dem eigenen Gründungsauftrag sehr nahekäme.
Keine gemeinsame Strategie zur Wohnungsnot
Natürlich bauen kirchliche Siedlungswerke auch Wohnungen mit Sozialbindung und solche mit Mieten unterhalb des Mietspiegels, die für breite Bevölkerungskreise erschwinglich sind. Aber wie viele sind das? Dass die Gruppe der kirchlichen Wohnungsunternehmen beherzt eine gemeinsame Kampagne gestartet hätte, um im großen Stil urbane Wohneinheiten für Geringverdiener*innen oder Angehörige der unteren Mittelschichten zu bauen, wird wohl niemand ernsthaft behaupten. Derzeit stellen die kirchlichen Siedlungswerke pro Jahr deutlich weniger als ein Viertel jener sechs- bis zehntausend Wohneinheiten fertig, die sie Ende der 1950er bis Mitte der 1970er Jahr für Jahr bauten.
Keine konsequente Ausrichtung auf bezahlbaren Wohnraum
Und wie groß ist der Anteil der fertiggestellten Wohneinheiten, die nicht meistbietend an eine wohlhabende Klientel verkauft, sondern preiswert vermietet werden? Genaue Zahlen liegen dazu nicht vor, aber es gibt bisher keine Anzeichen dafür, dass die kirchlichen Wohnungsunternehmen ihre Geschäftspolitik bereits durchgängig darauf ausgerichtet hätten, vor allem bezahlbaren Wohnraum zu schaffen. Wäre dies – neben der Sicherung einer bescheidenen Rendite – das erste Ziel, dann könnten die Siedlungswerke z.B. ihre Kräfte bündeln und so die Baukosten deutlich senken. Sie könnten durch Kooperation ihre Verhandlungsmacht beim Einkauf stärken und vielleicht sogar gemeinsam eine Linie des seriellen Wohnungsbaus konzipieren, die dann in zahllosen Projekten kostengünstig zu realisieren wäre.
Freiwerdende Potenziale der großen Kirchen
Einen solchen Kraftakt auf sich zu nehmen und in den nächsten Jahren und Jahrzehnten eine große Zahl günstiger Mietwohnungen zu bauen, dazu wären die kirchlichen Wohnungsunternehmen viel besser in der Lage als die meisten ihrer Konkurrent*innen. Schließlich verfügen die Diözesen und ihre Pfarreien in den großen Städten neben Kirchengebäuden auch über zahlreiche andere Immobilien, die aufgrund des Niedergangs kirchlichen Lebens nicht mehr benötigt werden. Statt sie meistbietend zu verkaufen, könnten sie für Projekte, die viel erschwinglichen und angemessenen Wohnraum schaffen, günstig an die Siedlungswerke verkauft oder in Erbpacht vergeben werden. Zudem bedarf es, um in urbanen Ballungsräumen preiswerten Wohnraum zu schaffen, nicht nur staatlicher Fördergelder, sondern auch einer Mischkalkulation, bei der in sozial heterogen belegten Wohnanlagen einige Mieter*innen (beinahe) marktübliche Mieten zahlen, welche die Nettoverluste aus der Vermietung anderer Wohneinheiten überkompensieren. Wie bei Verkauf oder Verpachtung kirchlicher Grundstücke unter dem Marktpreis, müssten die Diözesen und anderen Gesellschafter*innen der Siedlungswerke auch für den Bau und die Vermietung solcher Immobilien bereit sein, deutliche Renditeabstriche hinzunehmen.
Gewinnorientierung ist nicht vorgesehen – eigentlich!
Eigentlich stehen die Chancen für solche Entscheidungen im kirchlichen Kontext gar nicht schlecht. Nicht nur, dass sich der eh ziemlich „verrückte“ Mann aus Nazareth gegenüber jeder Fixierung auf den Mammon ziemlich reserviert gezeigt hatte. Auch der Codex Iuris Canonici, der in materiellen Dingen viel solider als der Galiläer selbst daherkommt, hat dort, wo er die kirchliche Vermögensverwaltung regelt, vor allem ein Ziel vor Augen: den Substanzerhalt des Vermögens und eben nicht das Erwirtschaften hoher Renditen.
Kein Interesse der Kirchenleitungen?
Mit der Ausrichtung der kirchlichen Vermögensverwaltung ist wohl auch die für unser Thema wichtigste Ebene angesprochen: Es mangelt vor allem an klaren Entscheidungen der Bistumsleitungen. Entscheidungen nicht nur darüber, wie die pastoral nicht mehr benötigten Immobilien genutzt werden sollen, sondern als Gesellschafterinnen der Siedlungswerke auch klare Entscheidungen über die Geschäftspolitik dieser Unternehmen. Die Vorstände der kirchlichen Wohnungsunternehmen benötigen klare Vorgaben, welche nicht-finanziellen Ziele sie in ihrer Geschäftspolitik konsequent verfolgen sollen, welche also Vorrang haben vor dem Erzielen hoher Renditen.
Kirchliche Cashcow? Das wäre zu wenig!
Sollten die Gesellschafter*innen in Zukunft mit der sozialen Ausrichtung der Siedlungswerke ernst machen, dann dürfte sich dies auch darin zeigen, dass der Realisierungsgrad klar definierter sozialer Ziele auch für die Bemessung der variablen Entgeltbestandteile des Managements entscheidend wird. Jedoch, so lange die Gesellschafter*innen solche Entscheidungen nicht treffen, solange sie die kirchlichen Wohnungsunternehmen nicht, wie in deren Gründungsphase, konsequent auf das soziale Anliegen, bezahlbaren angemessenen Wohnraum zu schaffen, verpflichten, werden diese weiterhin vor allem als cashcows der Diözesen fungieren – was einzelne Projekte mit einer beeindruckenden sozialen Komponente bekanntlich nicht ausschließt.
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Der Beitrag entstand auf Einladung des Verbands der Wohnungswirtschaft (VdW) Rheinland Westfalen, dem auch die in NRW ansässigen kirchlichen Wohnungsunternehmen angehören. Gedacht war er für das nächste Heft des „VerbandsMagazins“, in dem die Arbeit dieser Werke vorgestellt wird. In dieser Woche hat der Verband mitgeteilt, dass er es ablehnt, den Text oder eine gekürzte Version desselben im „VerbandsMagazin“ zu veröffentlichen.
Autor: Bernhard Emunds ist Professor für Sozialphilosophie und Christliche Gesellschaftsethik an der Phil.-Theol. Hochschule Sankt Georgen in Frankfurt am Main und leitet das Nell-Breuning-Institut der Hochschule.
Literatur: Bernhard Emunds / Stephan Goertz: Kirchliches Vermögen unter christlichem Anspruch (Katholizismus im Umbruch Bd. 11), Freiburg/B. 2020, Herder Verlag, 35,00 €.
Foto: Daniel van Appen / unsplash.com