Ein Weihnachtsspiel aus Hochfranken von Pfarrer und Karikaturist Thomas Wolf, Rehau.
Szene 1
Da sitzen sie wieder,
die altbekannten Gesichter,
hinten im Eck in der Wirtsstube,
die Wangen schon etwas rötlich,
die Wirkung von Wein und Bier,
und die Stimmen werden mal wieder etwas lauter:
Wo bleibt er denn?
Der braucht‘s wohl nicht mehr?
Der alte Geizhals,
die ganze Stadt ist voll,
das Geschäft des Jahres,
und der knausert wieder am Service …
Wer nichts wird – wird Wirt …
– Ja wo ist er denn wirklich, der Wirt?
Die Stube ist brechend voll,
das Haus und alle Zimmer auch,
und der Herr Wirt steht an der Tür und redet und redet,
statt sich um seine Stammgäste zu kümmern.
Langsam wird’s kalt an den Füßen,
Eh, mach die Tür zu, schreit einer,
als ob er nicht selber Gast auf Zeit,
sondern ewig bleibendes Inventar wäre …
Und der Wirt steht an der Tür und redet und redet –
hey, die Fremden sind morgen wieder weg,
wir bezahlen dir deinen Neubau …
Sind eh zu viel Fremde in der Stadt unterwegs.
Und Gesindel ist sicher auch dabei.
Hast Du die Schwangere gesehen?
Typisch, schnell ein Kind ansetzen und
dann ins gelobte Land und ins gemachte Nest setzen …
Szene 2
Der Wirt – er ärgert sich,
gleich dreifach –
zum einen, weil es sich tatsächlich verkalkuliert hat,
was für ein Geschäft in diesen Tagen,
und ich Depp hab´s nicht wirklich auf dem Schirm gehabt.
Was für ein Umsatz hätte das werden können –
noch ein paar Tische mehr,
noch ein paar Bedienungen mehr,
und noch ein paar Zimmer von Bekannten angemietet.
Und jetzt muss ich Menschen abweisen,
und es ärgert mich nicht nur wegen dem Geld!
Eine Schwangere und ihren müden Alten wegzuschicken,
dass macht man nicht gern.
Doch zumindest habe ich ihnen einen trockenen Platz hinten im Stall besorgt,
sonst ist kein Platz in der Herberge,
nicht optimal, aber besser als im Regen und in der Kälte …
Aber, was mich am meisten ärgert,
dass man als Wirt immer schlecht wegkommt.
Man kümmert sich und versucht, es allen recht zu machen,
und die Leute wissen immer alles besser,
und meinen, sie wären die einzigen,die wüssten, wie es wirklich geht.
Szene 3
Der Wirt, wir alle kennen ihn,
ohne ihn kein Krippenspiel,
und die Stammtischbrüder und -schwestern scheinen tatsächlich jedes Jahr aufs Neue das Drehbuch zu schreiben –
der Wirt ist immer der Depp in der Geschichte –
raffsüchtig, unhöflich, garstig …
Der Wirt taucht in der originalen Weihnachtsgeschichte gar nicht auf,
es wird nur berichtet: Maria legte ihn in eine Krippe,
denn sie hatten sonst keinen Raum in der Herberge.
Warum kommt der Wirt so schlecht weg?
Vielleicht, weil eine gute Geschichten einen richtig Bösen braucht,
dem man alle eigenen abgründigen Gemeinheiten andichtet.
Szene 4
Die bösen Wirte werden auch heute noch schnell gefunden.
Und dann gibt es ihn natürlich auch noch,
den Wirt in einem jeden von uns.
Geschäfte machen mit anderen ist nur so lange prima,
so lange sie zufrieden sind,
das abnehmen, was wir anbieten
oder das, was wir selber nicht wollen.
So stellen wir uns die Welt vor:
Ordentlich bezahlen und dann gehen, bevor sie uns nerven.
Die eigene gute Stube,
oder gar uns lieb Gewordenes wollen wir nicht aufgeben,
teilen oder verlieren.
So ganz wie der Wirt, den sich die Stammtischbrüder und -schwestern in den Jahren zusammengereimt haben.
Doch bleiben wir in der Geschichte zur Weihnacht, wie sie tatsächlich überliefert wird:
Der Wirt zeigt Barmherzigkeit und Großzügigkeit.
Er stellt zur Verfügung, was möglich ist.
Der Wirt hat seinen eigenen Lebensunterhalt nicht aufs Spiel gesetzt –
auch nicht müssen oder sollen.
Ohne Vorwurf wird das berichtet!
Der Wirt hat sich auch nicht abverlangt,
alle Probleme in der Welt auf einmal lösen zu können.
Er tat das, was im wahrsten Sinne des Wortes, vor der eigenen Tür lag.
Er gab die Krippe, denn es war sonst kein Raum in der Herberge.
Erst im Nachhinein machten wir ihn zum bösen, geizigen und geifernden Ekelpaket, der die Heilige Familie in den Stall steckte.
Scheitern wir vielleicht an den eigenen Erwartungen, die wir zumindest am Heiligen Abend an den Wirt stellen?
Oder gar an uns selber?
Vielleicht ist es tatsächlich hilfreich,
die Weihnachtsgeschichte nach Lukas noch einmal zu lesen –
um mitzubekommen, was tatsächlich drin steht und was eben auch nicht.
Szene 5
Seit sechs Jahren werkelt in der Turnhalle das Tafelteam,
seit Juli letzten Jahres werden die Anforderungen durch die Neubürgerinnen mit großem Elan und beeindruckender Nachhaltigkeit gestemmt.
Im wahrsten Sinne Wirtsleute,
die kreativ überlegen und möglich machen,
was gerade geht.
Solche Wirtsleute finden wir zur Zeit überall.
Den Helfer*innenkreis Asyl, der seit letztem Jahr fast 1:1 unterstützt und betreut.
Seither ist das Gemeindehaus zweimal die Woche prall mit Deutschkursen gefüllt.
Die Jusos und die Junge Union organisieren und spenden für die Flüchtlinge.
Die Frauenunion und viele andere auch.
Die Pfadfinder organisierten eine Schnitzeljagd und einen tollen Nachmittag für die Flüchtlingskinder.
Die Realschule ist auch mit dabei und die Schützen.
Keiner dieser Wirte musste bis jetzt aus seinem eigenen Haus ausziehen
oder gar Stammgäste an die Luft setzen oder auch nur ansatzweise vernachlässigen.
Es besteht genügend kreatives Potential, um zu tun, was ansteht und realistisch möglich ist.
Es sind Gesten der Barmherzigkeit. Reine Gnade.
Und diese Wirtsleute gibt es übrigens an vielen Stellen schon ganz lange.
Szene 6
Was ist mit den Stammgästen in der Stube?
Was ist mit denen, die keine große Lippe riskieren,
mit denen, die mit ihren eigenen Sorgen und Problemen beschäftigt sind?
Mit denen, die keine Zeit, keine Kraft oder keine Chance haben, als Wirt zu agieren?
Was ist mit denen, die sich vor den Bombenangriffen im eigenen Wohnzimmer heute Abend mehr fürchten als vor der Klimaerwärmung?
Manchmal kann man nicht Wirt sein,
sondern braucht einen, der sich kümmert.
Keine falschen Erwartungen und auch keine überzogenen Vorwürfe an den Wirt in uns – aber ein kleiner Gruß an den Nachbarn, die Nachbarin –
vielleicht findet man die Klingel neben der Haustür –
das ist doch schon mal ein Anfang –
das würde auch manchen Stammgast freudig überraschen.
Und wie gehen wir mit den lärmenden Stammtischbrüdern um?
Sollen wir sie einfach gewähren lassen?
Früher gab es oft die alte Wirtin,
die dann hinter dem Tresen hervorkam und den allzu Vorlauten die Meinung gegeigt hat.
Vor der alten Wirtin hatte man Respekt,
und so manches dumme Geschwätz fand ein Ende.
Und heute?
Die Diakonie Hochfranken hat in Sachen Fremde, Flüchtlinge und Asylbewerber*innen eine kleine Broschüre herausgegeben: STAMMTISCHWISSEN ASYL, um dummen Geschwätz Einhalt zu gebieten.
Sie kann die alte Wirtin nicht ersetzen – aber vielleicht manchen Heißsporn in die Schranken verweisen.
Schlussbild
Gott hat den Wirt besucht –
er hat es vermutlich gar nicht gemerkt.
Und doch hat der Wirt Gott selbst beherbergt.
Vielleicht hat der Wirt im Nachhinein sinniert,
ob der Platz Gottes nicht mitten in der guten Stube angemessener gewesen wäre …
Doch so
und vielleicht nur so
hat der Wirt, wenn auch nur indirekt,
einen Platz in der Geschichte bekommen.
Und wer den Wirt heute noch schlecht macht,
der hat wohl nicht verstanden,
dass Gott ganz bewusst in einem Stall Mensch wurde –
weil er für alle Menschen Mensch wurde,
für den Stammtisch und die Stammgäste,
– und ganz besonders für die,
die fremd und fern der Heimat Herberge suchten.
—
Text: Thomas Wolf, Rehau; Bild: O.Fischer, pixelio.de