„Glückseligkeit durch Nichtanhaftung“ – diese Perspektive des „weniger ist mehr“ steckt auch im Projekt SENANG. Li Hangartner über Hintergründe, Visionen und Konkretisierungen des Projekts.
Im Film „Downsizing“, der Mitte Januar 2018 in den Kinos angelaufen ist, haben norwegische WissenschaftlerInnen einen Weg gefunden, um mit der Knappheit an Ressourcen umzugehen: Sie lassen den Menschen auf 12 cm schrumpfen. Die Idee dahinter: Ein kleiner Mensch verbraucht deutlich weniger Wasser, Luft, Nahrung und Platz und produziert weniger Abfälle. Trotzdem winkt den Menschen in der Miniaturwelt „Leisureland“ ein luxuriöses Leben.
Downsizing – ein Gegentrend zum Gigantismus
Um Downsizing geht es auch bei der Idee der kleinen Behausungen. Nicht Menschen werden verkleinert, sondern Häuser, Wohnungen. Downsizing aus wirtschaftlichen Gründen, aber längst nicht nur. Minihaus-BewohnerInnen müssen sich von ihren angesammelten Habseligkeiten trennen können. Glückseligkeit durch Nichtanhaftung – dieses buddhistische Konzept ist nicht neu. Schon Sokrates riet vor 2000 Jahren: „Das Geheimnis des Glücks findet man nicht, indem man nach mehr strebt, sondern indem man die Fähigkeit entwickelt, Vergnügen an Wenigem zu haben.“
Glückseligkeit durch Nichtanhaftung
Ob Stuttgart 21, die Hamburger Elbphilharmonie oder der Flughafen in Berlin – sie alle sind Synonyme für das grandiose Scheitern von Grossprojekten. Vordergründig sind dafür explodierende Kosten und Missmanagement verantwortlich; doch dahinter „blitzt eine bedenkliche gesamtgesellschaftliche Entwicklung auf“ (NZZ): Die Gier nach Macht und Grösse, ganz nach dem Motto „Höher, schneller, weiter“. Schon der deutsch-britische Ökonom Ernst F. Schumacher (1911-1977) stand diesem Gigantismus kritisch gegenüber. In seinem Weltbestseller Small is beautiful hat er sich vor 40 Jahren für eine „Miniaturisierung der Technik“ stark gemacht und dafür, „ein Maximum an Glück mit einem Minimum an Konsum zu erreichen“.
Vom Glück des Genug
Immer mehr Wachstum bringt sowohl den Planeten Erde an den Rand als auch die Lebewesen darauf. Suffizienz, also der bewusste Verzicht, ist Grundvoraussetzung für mehr Lebensqualität und globale Gerechtigkeit. Dabei geht es nicht um Verzicht im Sinne von asketischer Begrenzung, sondern um das lustvolle und ganz praktische Neuentdecken des Reichtums, der aus dem eigenen Handeln erwächst. Die Gegenwartsprobleme sind gross und die Ausblicke auf die ferne Zukunft nicht rosig, weil die Ressourcen unseres Planeten beschränkt sind.
Neuentdecken des Reichtums, der aus dem eigenen Handeln erwächst
Glücksumfragen in 150 Ländern haben ergeben: Die Lebenszufriedenheit der Menschheit ist in den letzten 30 Jahren gerade mal um ein Promille gestiegen – trotz Wirtschaftswachstum und Ressourcenschlachten, die den Planeten an den Rand der Erschöpfung treiben. Das zeigt die globale Wahrheit des alten Spruchs: Geld macht nicht glücklich – nicht einmal die Reichen. Schon Aristoteles wusste, dass das gute Leben aus dem Glück des Genug entsteht. Das ist keine Verzichtspredigt, im Gegenteil: Bestimmte materielle Güter wegzulassen kann die Lebenszufriedenheit sogar enorm steigern. Wachstum schafft Wohlstand, heisst das Credo der Politik. Tatsächlich aber machen die in der heutigen Wirtschaft herrschenden Regeln von Konkurrenz und Geldfixierung tendenziell unglücklich.
„Überflüssige Dinge machen das Leben überflüssig.“ Pasolini
Die Beschränkung auf das Wesentliche ist für viele Menschen nicht nur eine wirtschaftliche Entscheidung, sondern ein bewusst gewählter Lebensstil: Downsizing als der Schritt zu einem kleineren ökologischen Fussabdruck. Leben und Arbeiten im Container heisst weniger Besitz, weniger Ballast, weniger Abfall, das Leben der Minihaus-BewohnerInnen geht mit Umweltbewusstsein und dem Wunsch nach einem reduzierten Lebensstil einher. Die freiwillige Beschränkung lehrt uns neue Fragen zu stellen: Welchen Ort muss ich nicht sehen, damit ich andere Orte mit offenen Augen sehen kann? Welches Buch muss ich nicht lesen, damit ich andere Bücher mit wachem Geist lesen kann? Was muss ich nicht haben, damit meine Lust an den Dingen wächst, die ich habe? Welchen Lebenskuchen muss ich nicht essen, damit meine Lust am Lebensbrot wächst?
Die freiwillige Beschränkung lehrt uns neue Fragen zu stellen.
Eine solche Askese ist darauf aus, die Sinnenhaftigkeit des Lebens zu erhöhen. „Welt des Brotes“ nennt der grosse Filmemacher Pier Pasolini jene Welt, in der jede hat, was sie braucht und aus der jeder konsumistische Überfluss verbannt ist. Faschismus nennt er die Welt der diktierten und von allen akzeptierten Konsumzwänge. Freiwilliger Verzicht soll davor bewahren, Sklave und Sklavin der Welt zu werden, einer Welt, in der rund um die Uhr alles greifbar ist, was wir uns wünschen. Mit dem freiwilligen Verzicht ist immer auch der Gedanke der Freiheit verbunden.
SENANG ist mehr als Wohnen
„SENANG Hut“ (Glückliche Hütte) steht für «Temporäre Wohn- und Arbeitsräume für Kreative». Es handelt sich um ein sozial-ökologisches Wohn- und Arbeitskonzept für Kreative und IndividualistInnen, die gerne ein Zeichen setzen möchten. Es ist ökonomisch sinnvoll, in dem es in der Preisbildung die ökologische und soziale Sichtweise der Ressourcennutzung (Materialien, Land, Ausbildung in Entwicklungsländern) integriert.“
„Unsere Vision ist es, einfache Lebens(t)räume zu schaffen, die kreativen Menschen und IndividualistInnen in ihrem Sein auf Zeit begleiten. Wir möchten die Potentiale der globalen Gesellschaft und der Natur so nutzen, dass sie den Menschen und ihren Lebensräumen Vielfalt, Kreativität und Begrenztheit in Zeit und Raum gleichermassen bietet.“ (aus dem Projektbeschrieb SENANG HUT. Temporäres Leben und Arbeiten in ausgebauten Seefrachtcontainern, aktualisiert 3.2.2018, S. 2)
Vision, einfache Lebens(t)räume zu schaffen
Das temporäre Leben und Arbeiten in Containern ist nicht neu. Schulklassen werden in Containern untergebracht. Auch für Arbeitsbrigaden und Flüchtlinge scheint es die von den Behörden bevorzugte Aufenthaltsform zu sein. Doch bei diesen steht die Funktion im Vordergrund, sie sind meist hässlich, steril, einheitlich und zudem teuer. Dass es auch anders geht, zeigt SENANG.
SENANG Hut – ökologisch, cool und günstiger
Die ausgebauten Seefrachtcontainer werden als Wohn- oder Arbeitsräume individuell auf die Bedürfnisse der BenutzerInnen abgestimmt, ob als Atelier für die Jazzmusikerin oder als Arbeitsraum für den Schneider bis zur kleinen Seniorenresidenz. Die Container sind mobil, einfach auf Lastern zu transportieren, schnell aufgebaut und demontiert. Container, zu Wohn- und Arbeitsgemeinschaften gruppiert, lassen einen neuen, kreativen und inspirierenden Lebensraum entstehen.
Ökologisch nachhaltig – zu einem erschwinglichen Preis
SENANG Hut ist so etwas wie das Fairphone für temporär genutzte Wohn- und Arbeitsräume. Die umgebauten Container werden nach Schweizer Normen für Wohn- und Arbeitsgebäude in indonesischen Lehrlingswerkstätten der von den Jesuiten gegründeten Stiftung ATMI vorgefertigt. ATMI unterweist die Lehrlinge nicht nur in technischen Fächern, sondern legt ebenso viel Wert auf Ethik, sorgfältige Unternehmensführung nach den Grundsätzen einer guten Corporate Governance. Die Vorproduktion in Indonesien erfolgt nach den Grundsätzen von Fair Trade. Die geringeren Herstellungskosten dieses Wertschöpfungsmodells bieten Raum für die bedarfsgerechte Preisbildung.
Leben in Würde
Leben im Container ist mehr als eine Art Lifestyle-Trend der Überschussgesellschaft, aus dem Interesse, Verzicht zu üben und sich der wirklich wichtigen Dinge im Leben bewusst werden zu können. SENANG Hut soll langfristig auch als Asylunterkunft und als Wohnung für Obdachlose oder Menschen in prekären Lebenssituationen genutzt werden können. Dank des leichten Auf- und Abbaus dieses modularen Systems können Brachen temporär genutzt werden. Der unterschiedliche Ausbau der Container innen und aussen vermittelt den BewohnerInnen das Gefühl von Individualität. Die Grünflächen rund um die Containerbauten werden für den Anbau von Gemüse, Früchten und Kräutern genutzt. Durch das Gärtnern eignen sich die BewohnerInnen nicht nur Wissen über den Anbau an, auch die sozialen Strukturen und der Bezug zum Quartier werden gefestigt und das Lebens- und Sicherheitsgefühl verstärkt.
Informationen zum Projekt:
Initiant und Präsident der Genossenschaft SENANG: Urban Frye
Mitglieder der Verwaltung: Franz Fricker und Li Hangartner
Beratender Architekt: Markus Hegglin
Ingenieur, Innenausbau des Prototyps: Stephan Brandt, www.pocketcontainer.de
Detaillierte Informationen und Kontakt:
Urban Frye, St. Karlistrasse 71b, 6004 Luzern
—
Li Hangartner, freischaffende Theologin, von 1989-2008 Leiterin der Fachstelle Feministische Theologie, und von 1989-2017 Bildungsbeauftragte RomeroHaus Luzern
Fotos: © Stephan Brandt