Aurica Nutt porträtiert die niederländische Theologin Maaike de Haardt.
In diesem Sommer wird Maaike de Haardt emeritiert, seit 1999 Inhaberin des Lehrstuhls für Religion und Gender in Nimwegen und damit Nachfolgerin der bedeutenden feministischen Theologin Catharina Halkes (1920-2011). Parallel war de Haardt über drei Jahrzehnte als Dozentin für Theologie an der Universität Tilburg tätig. In beiden Funktionen hat sie einen eigenen systematischen Ansatz einer „Theologie des Alltäglichen“ entwickelt, mit dem sie eine breite Öffentlichkeit mit theologischem oder religionswissenschaftlichem Interesse erreichen möchte. Leider ist de Haardts Theologie in Deutschland wenig bekannt – zu groß sind die Rezeptionsbarrieren zur englischen und zur niederländischen Sprache, in denen de Haardt vor allem publiziert hat.
Fenster nach Süden.
Im Rahmen ihrer Professur hat de Haardt, gemeinsam mit Kolleginnen vor Ort, über viele Jahre hinweg auch Studientage für Mitglieder der niederländischen katholischen Frauenverbände veranstaltet und oft neue Elemente ihrer „Theologie des Alltäglichen“ auf diesen Veranstaltungen präsentiert und diskutiert. Eine Zusammenstellung und Überarbeitung vieler Aufsätze findet sich in ihrem Buch „Raam op het zuiden. Religie en spiritualiteit van het alledagse“, also „Fenster nach Süden. Religion und Spiritualität des Alltäglichen“. Das Buch lässt sich an der Grenze von systematischer und praktischer Theologie ansiedeln, außerdem an der Grenze von Theologie und Religionswissenschaft. Der Titel „Fenster nach Süden“ verweist auf die „Wechselwirkung von Haus und Welt“ (15), von Privatem und Öffentlichem – einer der zahlreichen Dualismen, die de Haardt überwinden will, wie auch diejenigen zwischen vermeintlicher Hoch- und Alltagskultur, zwischen traditionellen Männer- und Frauendomänen und zwischen Transzendenz und Immanenz. Die fünf Teile des Buches sind nach Orten in und um das Haus benannt: Wohnzimmer, Küche und Esszimmer, Garten, Arbeitszimmer und Schlafzimmer. Ein letzter Teil widmet sich dem Thema „Wohnen in der Stadt“ und bezieht sich auf de Haardts jüngste Forschungen, die sich mit der Stadt als locus theologicus beschäftigen. Theoretisch ist de Haardt stark vom spatial turn in den Kultur- und Religionswissenschaften beeinflusst, von Michel de Certeau, aber ebenso von feministischen, postkolonialen und Latina/o- Theologien.
Wechselwirkung von Haus und Welt.
Die Anbindung ihrer Themen an verschiedene Lebens-Räume zeigt: Maaike de Haardt will systematische Theologie in die Kontexte ihrer Entstehung einbinden und so die Beziehung zwischen Gegenwartskulturen und Religion aufzeigen: „Jede Tradition, jede Form von Religion und Spiritualität ist so entstanden: an und von einem konkreten Ort aus, einer konkreten Zeit und kulturellen Situation.“ (10) De Haardt will eine Auffassung theologischen Wissens erweitern, die oft genug ausschließlich Theorien beinhaltet und diskutiert, aber keine alltäglichen Kompetenzen wie etwa Kochen oder Gärtnern und deren sinnliche Wahrnehmung im Blick hat.
Momente von Präsenz, Staunen und Sehnsucht aufspüren.
„(Geschmacks-)Proben des Göttlichen, von göttlicher Präsenz als eine aus der alltäglichen Praxis gewonnene Kenntnis des Göttlichen, sind eine Form des Wissens, in der die Praxis im Mittelpunkt steht. Es geht um Wissen, das verkörpert ist, das durch Tun, Üben, Praktizieren erworben wird.“ (11) Im Alltäglichen, aber auch in Literatur, Film und bildender Kunst will de Haardt potenzielle „Momente von Präsenz, Staunen und Sehnsucht“ aufspüren und formuliert damit eine „sakramentale Vision auf die Wirklichkeit“ (16), gerade weil diese Wirklichkeit zutiefst ambivalent und mehrdeutig ist. De Haardts Definition von Religion als „das Vermögen, dich berühren zu lassen, offen zu sein für das Unvermutete, das Unerwartete, für dasjenige, das Selbstverständlichkeiten und Sicherheiten durchbricht,“ (13) impliziert keine Romantisierung des Alltäglichen, sondern wirft im Gegenteil einen nüchternen Blick auf dessen ganz konkrete Widersprüchlichkeit und Endlichkeit – auch mit dem Thema Tod hat sich de Haardt seit ihrer Dissertation immer wieder intensiv befasst.
Theoriegesättigte Praxisstudien.
So geht es de Haardt um eine Verbindung von Theorie und Praxis und um ein Ende von deren Hierarchisierung. Insofern kann ihr Werk als „theoriegesättigte Praxisstudien“ bezeichnet werden – oder umgekehrt als „praxisnahe Theorie“. Genau hier liegt das Originelle und für den deutschen Kontext Bereichernde von de Haardts Ansatz: Sie zeigt als Systematikerin, dass der Blick auf die Praktiken von Menschen, auf ihren oft diffusen und pluralen Umgang mit Religion(en) eine Theologie herausfordern kann, die noch viel zu oft in den Grenzen abstrakter Konzepte verbleibt – Denkräume, die de Haardt als eher männlich konnotiert beschreibt. Die jahrelange Auseinandersetzung de Haardts mit Gotteslehre und Mariologie zeigt zugleich, dass sie klassischen dogmatischen Themen nicht ausweichen, sondern vielmehr deren Verbundenheit mit Alltagserfahrungen in Erinnerung rufen und durch-denken will.
Gastfreundschaft
Was de Haardt theologisch reflektiert, das lebt sie auch: konkretes Engagement gegen häusliche Gewalt, hohe berufliche und private Verbindlichkeit und eine fast schon legendäre Gastfreundschaft. Mit der Begleitung von Dissertationen auch internationaler Promovendinnen hat sie vielfach Nachwuchsförderung betrieben. Sie gehört zu den Gründerinnen und verlässlichen Teilnehmerinnnen der jährlichen ökumenischen „OPP-Studienwoche“, in der Theologinnen einander in ihren Forschungsvorhaben unterstützen – dabei stehen die Dissertationsprojekte der Jüngeren im Mittelpunkt. Als langjähriges Mitglied und zuletzt auch Präsidentin der ESWTR (European Society of Women in Theological Research) hat de Haardt die Vernetzung von Theologinnen aus ganz Europa weiter vorangetrieben. So organisierte sie 2015 mit anderen die Konferenz der Europäischen Gesellschaft auf Kreta, die in der ökonomischen Krise die Solidarität der Kolleginnen mit griechischen Theologinnen bezeugte.
Maaike de Haardt bleibt zu ihrer Emeritierung, wie in den Niederlanden üblich, zu wünschen: „Ad multos annos!“, auf viele weitere Jahre theologischer Kreativität und sinnlicher Genüsse.
Text und Bild: Dr. Aurica Nutt, wiss. Mitarbeiterin im DFG-Projekt „Leib Christi – gendersensible Rekonstruktion einer theologischen Metapher“ an der Universität zu Köln, Promotion u.a. bei Maaike de Haardt in Tilburg mit der Arbeit „Gott, Geschlecht und Leiden. Die feministische Theologie Elizabeth A. Johnsons im Vergleich mit den Theologien David Tracys und Mary Dalys“.
Die Zitate stammen aus dem Buch „Raam op het zuiden“ und wurden von der Autorin des Textes übersetzt: Publikationen von Maaike de Haardt.