Von einer Interaktion aller Geschlechter auf Augenhöhe kann in der katholischen Kirche noch lange nicht die Rede sein. Aber es gibt Aufbrüche, Veränderungen und Programme zur Unterstützung von Chancengleichheit. Birgit Mock, Geschäftsführerin des Hildegardis-Vereins, berichtet.
Kann die Kirche ein Modell für das partnerschaftliche Zusammenwirken von Frauen und Männern sein? Den Wunsch danach äußerten die Deutschen Bischöfe in ihrer Erklärung zur Stellung der Frau in Kirche und Gesellschaft von 1981.[1] Seitdem ist einiges passiert, aber es ist auch noch Luft nach oben.
Luft nach oben
Wenn ich mich selbst frage, wer mich in meinem kirchlichen Engagement geprägt hat, sind es vor allem meine Eltern. Für beide gehört bis heute ihr kirchliches Engagement zu ihrem Leben ganz selbstverständlich dazu. Ob es die Arbeit im Pfarrgemeinderat oder in der katholischen Bücherei war, der Eine-Welt-Verkauf nach dem Gottesdienst oder das große indische Gemeinde-Fastenessen, das in unserer heimischen Küche probegekocht wurde, – politisches Handeln, das war klar, speiste sich für sie aus dem Glauben heraus und war Auftrag für uns alle.
politisches Handeln aus dem Glauben
Wie kommen hier die Frauen ins Spiel? Bei meiner Mutter erlebte ich es, dass sie unserem örtlichen Pfarrer partnerschaftlich und auf Augenhöhe begegnete, mit ihm stritt und gemeinsame Sache machte – beides, um Dinge voranzubringen. Die Kraft der Vorbilder und der prägenden Erinnerungen, wie ich sie erlebt habe, spielen auch in meiner heutigen Tätigkeit eine große Rolle.
Hildegardis-Verein: da fördern, wo andere aufhören
Als Geschäftsführerin des Hildegardis-Vereins bin ich heute in einem Verein verwurzelt, der seit 1907 katholische – und inzwischen auch evangelische und orthodoxe – Frauen bei ihren Bildungsvorhaben fördert.[2] Gegründet wurde er in einer Zeit, als Frauen noch nicht in allen deutschen Ländern zum Hochschulstudium zugelassen waren. Das kann man sich heute kaum mehr vorstellen. Aber schon damals war klar, dass es neben einer Erstreitung der rechtlich gleichberechtigten Zugänge auch pragmatische Unterstützung braucht, in diesem Fall: Geld. Das zinslose Darlehenssystem, das die Gründerinnen aufgebaut haben, existiert bis heute, und der Verein hat es sich zur Aufgabe gemacht, insbesondere da zu fördern, wo andere öffentliche Stellen aufhören: bei Studentinnen, die die Bafög-Altersgrenzen überschreiten, Studentinnen aus dem außereuropäischen Ausland, Studentinnen nach Studienfachwechseln, Studentinnen mit Kind und Studentinnen mit Behinderung. In drei großen Inklusionsprojekten erlebten die Studentinnen mit und ohne Beeinträchtigung im Hildegardis-Verein, dass Vielfalt eine Bereicherung ist und dass es sehr unterschiedliche Stärken gibt, die alle genutzt werden können.[3]
Katholische Kirche in Deutschland: 13 % Frauen in oberen Leitungsstellen
Der Hildegardis-Verein hat darüber hinaus die Initiative ergriffen und ein Projekt konzipiert, welches sich konkret an die Frauen in der Kirche richtet: Ein Mentoring-Programm für Frauen, die in der katholischen Kirche Leitungspositionen übernehmen wollen.[4] Wie oft hörten die Verantwortlichen zuvor das Argument: „Wir hätten diese und jene Leitungsstelle ja gern mit einer Frau besetzt, aber es gab keine qualifizierte Bewerberin.“ Das Mentoring-Konzept fiel in eine Zeit, in der die Deutsche Bischofskonferenz in der Trierer Erklärung von 2013 den Frauenanteil an kirchlichen Führungspositionen erhoben (13 % Frauen in oberen Leitungsstellen und 19 % Frauen auf der mittleren Leitungsebene)[5] und sich auf eine Selbstverpflichtung zur Erhöhung verständigt hatte. So fand der Hildegardis-Verein in der Deutschen Bischofskonferenz einen wichtigen Kooperationspartner und in den beteiligten Bistümern interessierte Bündnispartner, um eine geschlechtergerechte Personal- und Organisationsentwicklung aufzusatteln. Inzwischen haben 40 weibliche Nachwuchskräfte an dem Mentoring teilgenommen – begleitet von 40 Führungskräften. In wenigen Monaten starten weitere 35 Tandems (bestehend aus je einer Nachwuchskraft und einer Führungskraft), im Sommer 2019 die nächsten 20 Tandems. Mit insgesamt 17 beteiligten deutschen Bistümern ist das Programm zur größten überdiözesanen geschlechtergerechten kirchlichen Personalentwicklungsmaßnahme in Deutschland und vermutlich auch weltweit geworden. Dass sich dabei auch Bistümer aus Diasporagegenden des Ostens und Nordens in Deutschland beteiligen, ist eine besondere Stärke des Programms und der Förderung durch das Bonifatiuswerk zu verdanken.
Fähigkeit zur Selbstreflexion als eine der wichtigsten Führungseigenschaften überhaupt
Bereits nach zwei Jahren lassen sich wichtige Wirkungen ablesen: die Nachwuchskräfte lernen neben dem theoretischen Fachwissen (u.a. Projektmanagement), vor allem auch aus dem Erfahrungswissen der Mentorinnen und Mentoren. Wenn diese Situationen ihres Führungsalltags schildern und die Mentee über Shadowing[6] selbst erlebt, wie z.B. „ihre“ Mentorin schwierige Konfliktgespräche führt, Teamsitzungen leitet und in Leitungsgremien agiert, wird das Lernen sehr konkret und unvergesslich. Das Programm zeigt auch, dass eine Auseinandersetzung mit den eigenen Stärken wichtig ist und wie sinnvoll es ist, die Werte, die das eigene Handeln prägen, immer wieder zu kommunizieren. Führungskräfte in unserer Kirche (und das gilt nicht nur für die weiblichen), sind heute mehr denn je gefordert, sich zu reflektieren und Bereitschaft zum Lernen mitzubringen. Unsere Welt verändert sich so rasant und ist so komplex und global geworden, dass wir unser Handeln als Kirche immer wieder mit dieser Welt in Beziehung setzen müssen. Vielleicht wird damit die Fähigkeit zur Selbstreflexion zu einer der wichtigsten Führungseigenschaften überhaupt.
Eine weitere Wirkung des Mentoring soll an dieser Stelle genannt werden: das sich bildende Netzwerk. Die Erfahrung zeigt, dass viele Führungsstellen in der Kirche mit hohen Belastungen verbunden sind, nicht nur zeitlicher Art, sondern auch emotional. Das kollegiale Netzwerk, das im Verlauf des Mentoring entsteht und immer weiter wächst, trägt schon jetzt dazu bei, dass es leichter wird, Führungsstellen auch durchzuhalten. Es bietet Kontakt zu Kolleginnen, die in heiklen Fragen kollegial beraten, Möglichkeiten, sich ein Feedback zum eigenen Handeln einzuholen, und – ganz wichtig – es bietet ein Austauschforum über das innovative Ideen ins eigene Bistum gelangen können.
Knapp die Hälfte aller Seelsorgeämter sind mit Frauen besetzt.
Vor vielen Jahren war die erste Leiterin eines Seelsorgeamtes in einem katholischen Bistum eine Sensation. Heute sind knapp die Hälfte aller Seelsorgeämter mit Frauen besetzt und der Anteil der Frauen nimmt auch in anderen Leitungsrollen zu: als koordinierende Gemeindereferentin, als Leiterin einer katholischen Schule, als Leiterin des Finanzwesens eines Bistums und als Justitiarin. Das Mentoring macht diese Frauen in Führung noch sichtbarer und will dazu beitragen, dass Frauen in kirchlicher Leitung zum alltäglichen Bild der Kirche gehören. Von den Kompetenzen, die Frauen in Leitung in Kirche einbringen, profitiert die Kirche schon jetzt. Und das partnerschaftliche Miteinander von Frauen und Männern in der Kirche ist eine der Zukunftsfragen, zu der das Mentoring-Programm des Hildegardis-Vereins seinen Beitrag leistet.
Birgit Mock, geb. 1970, ist Geschäftsführerin des Hildegardis-Vereins. Sie ist Naturwissenschaftlerin, verheiratet und hat zwei erwachsene Kinder.
Foto: Birgit Mock; Bildrechte: Hildegardis-Verein; Fotografin: Barbara Frommann
[1] ZU FRAGEN DER STELLUNG DER FRAU IN KIRCHE UND GESELLSCHAFT, Erklärung der Deutschen Bischöfe, Nr. 30, 21.9.1981.
[3] Vgl. www.lebensweg-inklusive.de, vgl. www.fachkolleg-inklusion.de
[4] www.kirche-im-mentoring.de
[5] Vgl. Pressemitteilungen der Deutschen Bischofskonferenz, 20.02.2013 – 036e, Aktuelle Zahlen zu Frauen in Leitungspositionen
in den Generalvikariaten/Ordinariaten der deutschen (Erz-)Bistümer sowie Presseerklärungen der Deutschen Bischofskonferenz – 038 Anlage 1, Erklärung zum Abschluss des Studientages
„Das Zusammenwirken von Frauen und Männern
im Dienst und Leben der Kirche“
[6] Begleitung im Alltag (shadow = Schatten, also im Sinne eines Schattens mitgehen, begleiten).