Christoph Tröbinger (Wien) geht der Frage der Anerkennung nach und kommentiert den Ansatz von Axel Honneth.
Österreich hat sich Mitte August einen Platz in der internationalen Presse erworben, als ein 18-jähriger Asylsuchender einen negativen Bescheid für seinen Asylantrag erhielt. Das Aufsehenerregende dabei war die Begründung: Er habe nicht überzeugend genug nachweisen können, tatsächlich homosexuell zu sein.[1] Die Argumentation des Beamten des Bundesministeriums für Fremdenwesen und Asyl (BAF) liest sich so, als gäbe es eine Reihe von bestimmten, äußerlichen Merkmalen (Einstellungen, Sozialverhalten, Umgang mit Geld etc.), an denen man Homosexuelle klar erkennen könnte.
Behörden müssen etwas prüfen, das sich mit Rechtsmitteln nicht zweifelsfrei überprüfen lässt.
Das dabei im Hintergrund stehende Problem, für das nun eine Art von „österreichischer Lösung“ an die Oberfläche getreten ist, stellt sich so dar: Die Anerkennung des (zumindest innerhalb der Europäischen Union) anerkannten Fluchtgrundes der Homosexualität, die in manchen Ländern unter Verfolgung steht, bildet die Vorgabe. Nur wie lässt sich eine sexuelle Gesinnung objektiv prüfen? In diesem Fall stehen Behörden vor der schwierigen Situation, etwas prüfen zu müssen, das sich mit Rechtsmitteln nicht zweifelsfrei überprüfen lässt, sind doch die Aussagen des/der Asylsuchenden die einzige Beweisquelle. Das geht über die Überprüfung eines Sachverhaltes auf der Grundlage eines international oder national anerkannten Fluchtgrundes hinaus. Hier spielen Anerkennungsmodi herein, die rechtlich allein nicht zu sichern sind. Es geht also auch um die Frage der Grenzen rechtlicher Anerkennung. Gerade der Zusammenhang von Institutionen und Anerkennung stellt einen empfindlichen Punkt dar, der eine nicht messerscharf zu ziehende Grenze zwischen Recht und Ethik sichtbar werden lässt.
Das Ziel von Axel Honneth: den Begriff der Anerkennung in seinen Facettierungen klarer und verständlicher werden zu lassen.
Diese Frage fällt ins Zentrum der Arbeiten des Frankfurter Sozialphilosophen Axel Honneth. Seit mehr als 25 Jahren treibt ihn die Frage nach dem Gehalt von Anerkennungsvollzügen um. In seinem jüngsten Buch beschäftigt er sich mit der Frage, wie es zu der Erfolgsgeschichte der Idee der Anerkennung am europäischen Kontinent kam. Das Ergebnis ist ein schmaler Band, der im Kern eine Anerkennungsidee verteidigt, wie er sie im deutschen Idealismus findet und die bei Hegel zu ihrer prägendsten Gestalt gekommen ist.[2] Die Konsequenz ist keineswegs die Abwertung anderer Traditionen, sondern eine produktive Auseinandersetzung, deren Ziel darin besteht, den Begriff der Anerkennung in seinen Facettierungen klarer und verständlicher werden zu lassen, um ihn unter den Bedingungen der Gegenwart stark zu machen. Das bedeutet allerdings auch, dass Honneth den durch Hegel so nachhaltig geprägten Begriff dazu in der Lage sieht, sich durch andere Traditionen belehren, korrigieren bzw. erweitern zu lassen.
Gesellschaften und die Mehrzahl ihrer Funktionsbedingungen können daher anders sein als sie sind, und die Frage ist, ob sie anders sein sollten.
Temporaler Ausgangspunkt des Parcours ist die Moderne. Erst mit Anbruch der „neuen“ Zeit, in der vormals metaphysisch legitimierte Rahmenbedingungen von Gesellschaften radikal in Zweifel gezogen werden, werden diese in ihrem Konstruktionscharakter offenbar: Über weite Strecken haben Menschen selbst in der Hand, wie die gesellschaftliche Landschaft, in der sie leben, geprägt ist. Das soziale Gefüge bildet seine strukturellen und institutionellen Voraussetzungen selbst (wobei freilich bekannt ist, dass am Anfang nicht die demokratische Idee stand, sondern ein Herrscher darüber bestimmte) und hält sie am Leben durch Tradierung.[3] Gesellschaften und die Mehrzahl ihrer Funktionsbedingungen können daher anders sein als sie sind, und die Frage ist, ob sie anders sein sollten. So banal es auch klingen mag, bildet es doch für Honneth die Geburtsstunde des Bedürfnisses nach Anerkennung.[4]
In der Tradition des französischen Denkens konstatiert Honneth eine tiefe Skepsis gegenüber dem Bedürfnis nach sozialer Anerkennung, weil die latente Gefahr bestehe, vom eigenen, wahren Selbst wegzuführen.
Die erste zentrale Referenz der Ideengeschichte stellt Jean-Jacques Rousseau dar, der mit der Unterscheidung zwischen zwei Formen der Selbstliebe auf ein Problem im Zusammenhang der französischen Gesellschaft aufmerksam macht: Eine wahre, natürliche Form der Neigung zu sich selbst (amour de soi) und eine verhängnisvolle, gefährliche, die uns den Weg zur wahren Selbsterkenntnis verstellt (amour propre).[5] Der problematische Entwicklungsvorgang im Übergang von Feudalgesellschaften zur modernen Klassengesellschaft sei eine Übersetzung des natürlichen Bedürfnisses nach Selbst(an)erkenntnis in eine moderne Form des Anerkennens durch andere, ihnen um jeden Preis gefallen zu wollen. Damit trete nach Rousseau peu à peu eine Verunsicherung über das eigene Selbst ein, die letztlich zu Selbstverkennung führt. In der Tradition des französischen Denkens konstatiert Honneth eine tiefe Skepsis gegenüber dem Bedürfnis nach sozialer Anerkennung, weil die latente Gefahr bestehe, vom eigenen, wahren Selbst wegzuführen.
Völlig anders entwickelt sich die Idee auf der britischen Insel in der schottischen Moralphilosophie (D. Hume, A. Smith). Insbesondere Adam Smith und seine Sensibilität für die Tendenz einer schleichenden Ökonomisierung der Sitten in Form eines gesteigerten Eigeninteresses machen den normativen Kern der Vorstellung von Anerkennung im schottischen Denken aus. Smith steuert in seinem ersten Hauptwerk (The Theory of Moral Sentiments, 1759) dagegen mit der Idee eines unparteilichen Beobachters in uns, der dem Sog der Eigeninteressen einen Kontrapunkt setzt.
Die Normen eines Gemeinwesens werden so verinnerlicht, dass das eigene Verhalten auch immer mit der moralischen Zustimmung der Gemeinschaft vereinbar sein soll.
Anerkennung zeigt sich für Honneth im Kontext der schottischen Philosophie in Verbindung mit einer Tendenz, die von einem vereinigenden Band der Gesellschaftsmitglieder untereinander ausgeht und sie als eine Empfindungsgemeinschaft charakterisiert. Die unparteiliche Instanz des Richters soll die Reflexion auf andere, weg von der egozentrischen Perspektive ermöglichen. Auch der Markt, dem Smith sein zweites Hauptwerk (An Inquiry into the Nature and Causes of the Wealth of Nations, 1776) gewidmet hat, ist davon nicht ausgenommen. Letztlich kann der Kern dieser Idee dahingehend zugespitzt werden, dass die Normen eines Gemeinwesens so verinnerlicht werden, dass das eigene Verhalten auch immer mit der moralischen Zustimmung der Gemeinschaft vereinbar sein soll.
Über Kant und Fichte gelangt die Idee der Anerkennung bei Hegel zu einem ethischen Interpretationsmodell für gesellschaftliche Entwicklungsprozesse. Hegel übernimmt den Begriff von Fichte, so Honneth, und unterzieht ihn einer „radikalen Detranszendentalisierung“: Das Geschehen der Anerkennung wird als eine Verwirklichung eines vernünftigen Geistes verstanden, die sich in konkreten gesellschaftlichen Formen vollzieht. Der vernünftige Geist verschafft sich in gesellschaftlichen Institutionen in Form einer „zweiten Natur“ bleibenden Ausdruck. Dieser Ansatz ermögliche es, soziale Beziehungen vor dem Hintergrund eines sich objektivierenden Geistes zu verstehen, was eine „Soziologisierung“ seines Ansatzes nach sich zieht, so Honneth über Hegel. Auf der anderen Seite würden auf diese Weise auch gesellschaftliche Auseinandersetzungen als Kämpfe um Anerkennung interpretierbar, in denen die Anerkennungswürdigkeit unterschiedlicher Gesellschaftsgruppen zur Debatte steht.
Letztlich laufen diese drei Modelle bei Honneth in einem systematisierenden Schlusskapitel auf ein Plädoyer für den Hegelschen Theorierahmen zusammen, der sich aber durch andere Stränge des Anerkennungsdenkens belehren lassen muss und für sie offen gehalten werden soll, um für die Gegenwart fruchtbar gemacht werden zu können.
Menschliche Anerkennungsmöglichkeiten haben Grenzen, insbesondere wenn sie mit gesellschaftlichen Institutionen zusammengedacht werden.
Honneth legt eine gelehrte und ausgesprochen lesenswerte Ideengeschichte der Anerkennung vor, die auf wenig Raum bedeutende Traditionen miteinander in Verbindung zu bringen versteht. Man wird zwar an manchen Stellen mehr Fragen als Antworten aus der Lektüre mitnehmen, von denen die zentralste Frage für mich jene ist, wie das Verhältnis von intersubjektiver Anerkennung und innerer Freiheit, von institutioneller Anerkennung und Moral verstanden werden soll. Aus meiner Sicht haben menschliche Anerkennungsmöglichkeiten Grenzen, insbesondere wenn sie mit gesellschaftlichen Institutionen zusammengedacht werden. Die Sensibilität für dieses Problem vermisse ich bisher in Honneths Arbeiten. Doch das Thema ist zentral und der Zeitpunkt sowie die Zuspitzung auf den europäischen Kontext auch in politischer Hinsicht wohl als eine Art intellektueller Intervention zu verstehen.
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[1] Auslöser der Debatte war ein Beitrag in der Wochenzeitung FALTER: Nina Horaczek, Kein Asyl für schwulen Afghanen: „Sind Homosexuelle nicht eher gesellig?“, in: Falter (33/18), vom 15.August 2018, S. 13. In dem Bericht wird aus dem Begründungsschreiben zitiert: „Weder Ihr Gang, Ihr Gehabe oder Ihre Bekleidung haben auch nur annähernd darauf hingedeutet, dass Sie homosexuell sein könnten“. (Ebd.)
[2] Axel Honneth, Anerkennung. Eine europäische Ideengeschichte, Berlin: Suhrkamp 2018.
[3] Mehr dazu lässt sich in der umfangreichen Studie Honneths „Das Recht der Freiheit“ finden: Axel Honneth, Das Recht der Freiheit. Grundriß demokratischer Sittlichkeit, Berlin: Suhrkamp 2011.
[4] Mit diesem Bedürfnis ist auch aus der Perspektive der Theorie ein wesentlicher Ausgangpunkt für die normative Gesellschaftstheorie gesetzt.
[5] Vgl. Jean-Jacques Rousseau, Abhandlung über den Ursprung und die Grundlagen der Ungleichheit unter den Menschen, hrsg. u. übers. v. Ph. Rippel, Stuttgart: Reclam 2012, 151f.
Autor: Christoph Tröbinger, B.A., M.A., ist Universitätsassistent (praedoc) am Institut für Systematische Theologie und Ethik, Fachbereich Sozialethik, an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Wien.