Klerikalismus gehört systemimmanent zur römisch-katholischen Kirche – daran wird selbst Papst Franziskus nichts ändern. Martin Stewen ergänzt die aktuelle Debatte um einige weltkirchlich inspirierte Überlegungen zum Klerikalismus „von unten“.
Bereits 2013 hatte der Papst in einem Interview mit Eugenio Scalfari, dem Gründer der linken italienischen Tageszeitung «La Repubblica», gesagt, ‘der Hofstaat sei die Lepra des Papsttums’ (La Repubblica, 1.10.2013). In gleicher Weise klar hat er verschiedene Male auf die Verbindung von Klerikalismus und sexuellem Missbrauch in der Kirche hingewiesen; ebenso eindringlich, wie es die gerade veröffentlichte, von der Deutschen Bischofskonferenz in Auftrag gegebene Studie zum sexuellen Kindesmissbrauch auch tut.
Am 13. September 2018 – also fast fünf Jahre nach seinem «La Repubblica»-Interview – warnte der Papst in Rom erneut frisch geweihte Mitbrüder im Bischofsamt, Klerikalismus zersetze die Gemeinschaft und sei eine ‘Spaltung im Leib der Kirche’ – Worte, die sich auch in seinem Schreiben “an das Volk Gottes zum Missbrauch in der katholischen Kirche“ vom 20. August 2018 finden. Das tönt gut. Es muss aber die Frage gestattet sein: Hat der Papst bei der Ernennung dieser Bischöfe denn darauf geachtet, dass ihnen jeglicher Klerikalismus abgeht?
Worte und Taten des Papstes müssten einander entsprechen!
Und wie wahrscheinlich ist es, dass ein Priester, der tatsächlich völlig unklerikal und damit letztendlich non-konform daherkommt, den Segen der römischen «Kongregation für die Bischöfe» und dann schliesslich durch den Papst die Ernennung zum Bischof erhält? Es mag solche Kleriker geben, und mir kommen durchaus auch Beispiele aus der Schweiz, Deutschland und anderen Teilen der Welt in den Sinn, aber ich befürchte, sie sind rühmliche Ausnahmen: Ohne Klerikalismus geht in dieser Kirche, in den meisten ihrer Teile gar nichts!
Der Klerikalismus der Laien
Und zu diesen Teilen der Kirche gehört eben nicht nur der Klerus – das macht das Thema ‘Klerikalismus’ so verzwickt: Wenn wir über Klerikalismus reden, dann können wir nicht nur über jenen der Kleriker sprechen – dann müssen wir auch deutlich und klar über den Klerikalismus der Laien im Volk Gottes diskutieren, der den Klerikalismus der Kleriker, wenn vielleicht nicht allein ermöglicht, so aber doch fördert.
Die DBK-Studie zum sexuellen Kindesmissbrauch definiert ´Klerikalismus´ so: „Klerikalismus meint ein hierarchisch-autoritäres System, das auf Seiten des Priesters zu einer Haltung führen kann, nicht geweihte Personen in Interaktionen zu dominieren, weil er qua Amt und Weihe eine übergeordnete Position inne hat“ (S. 307). In den Augen des Forschungskonsortiums, das die Studie erarbeitet hat, ist da also ein System, das schuld am Verhalten der Kleriker ist. Das kann doch nicht sein: Nicht ein System macht Menschen (wenn auch sicher ein Einfluss nicht geleugnet werden kann), sondern zuerst mal machen Menschen ein System.
Was ist Klerikalismus – Haltung oder System, Struktur oder personales Selbstverständnis?
Kurz vor Erscheinen des Berichtes hat in einem Interview auf der Website katholisch.de der Grazer Pastoraltheologe Rainer Bucher eher personzentriert und damit angemessener festgestellt: «Klerikalismus beginnt, wo Priester primär an sich interessiert sind und nicht am Volk Gottes, […] dem gegenüber sie sich aber erhaben und überlegen zeigen. Entscheidend sind dabei […] die Erfahrungen, die andere mit ihnen machen.» Dem möchte man eher zustimmen als der Definition der Studie, aber auch diese Beschreibung ist nur die eine Seite einer (glanzlosen) Medaille. Den Klerikalismus der Laien führt Bucher dann etwas sparsam als passive Mittäterschaft von Gläubigen aus. Und über den Umstand, dass das, was er als ‘Klerikalismus’ definiert, auch unter nichtgeweihten Kirchenmitarbeitern vorkommt, redet Bucher gar nicht. All das reicht nicht.
Als Geweihter interessant, nicht als Mensch…
Schauen wir auf Klerikalistisches unter den Gläubigen, dann entpuppt sich Klerikalismus schnell nicht nur als Krankheit des Klerus sondern als Epidemie im ganzen Volk Gottes: Auch wenn wir vielleicht in vielen Teilen Europas und der westlichen Kirche einem ‘Klerikalismus der Laien’ eher seltener begegnen, gibt es sie doch zur unangenehmen Genüge: jene Gläubigen, die in den Kleriker all ihre Hoffnungen, Wünsche und Sehnsüchte projizieren und das mit allerlei verbalen und gestischen Formen auch beständig zum Ausdruck bringen. Spurt der Kleriker in dieser ihm zugedachten Rolle des Lebenserfüllungsgehilfen – in der er vor allem als Geweihter, nicht als Mensch interessant ist – nicht, steht es bald schlecht um ihn. Für einen Kleriker ist es wahrhaft ein Kunststück, so eine Rolle loszuwerden (wenn er es will), ohne die entsprechenden Gläubigen zu verprellen.
Der Kleriker ist gefragt als „Lebenserfüllungsgehilfe“. Weh dem, der seine Rolle verlässt!
In unseren Gemeinden im deutschsprachigen Europa sind solche Menschen wie gesagt eher Raritäten, aber es gibt wohl keinen Priester, der sie nicht kennt. In den Kirchen Asiens und Afrikas hingegen ist eine solche Sicht der Gläubigen auf den Kleriker völlig üblich. In Arabien, wo die Kirche hauptsächlich aus Katholikinnen und Katholiken aus Asien und auch aus Afrika besteht, spüren wir das ständig. Wer ein anderes Verhalten gegenüber Klerikern an den Tag legt, gilt als unanständig. Angesichts des Umstandes, dass die Kirchen Asiens und Afrikas stärker im Wachstum begriffen sind als in anderen Breiten, darf man wohl annehmen, dass auch der ‘Klerikalismus der Laien’ gesamtkirchlich eher zu- als abnehmen wird. Und wie sollen dann junge Männer, die in einem solchen Umfeld zu ihrer Berufung finden, auf die Idee kommen, dass Klerikalismus nicht normal ist? Zumal die Kirchenoberen, die für sie zuständig sind, auf gleiche Weise geprägt sind – sodann folgt automatisch: Wer nicht konform ist, taugt nicht für den Priesterberuf.
Wege aus dem Dilemma?
Ein immer wieder enthusiastisch diskutiertes Mittel gegen den Klerikalismus der Kleriker: Frauenordination. Wer ist denn bitte so naiv anzunehmen, dass geweihte Frauen nicht genauso dem Klerikalismus verfallen (können) wie ihre männlichen Mitbrüder? Ein Besuch in so manchem Frauenkloster macht schnell deutlich, wie begeistert Frauen des geweihten Lebens auch ohne Priesterinnenweihe den Verhaltensweisen des Klerikalismus frönen können. Und ausserdem: Wer Frauen weihen will, kann das nur der Frauen wegen tun – nicht als Mittel zur Lösung von Problemen. Das ist unredlich.
Eine anderer Lösungsansatz: Abschaffung des Zölibats. Einem Priester in Partnerschaft und mit Familie böte sich möglicherweise die Chance, ein permanentes Korrektiv für seine Verhaltensweisen zu erleben. Das würde sich schliesslich auch auswirken auf den Umgang mit Menschen in der Gemeinde. Hier läge eine Lösung verborgen. Da der Priester aber mit der Aufhebung des Zölibates ganz offiziell mit Sexualität in Kontakt kommt, ruiniert das das Priesterbild in zu vielen Teilen der Universalkirche, als dass man hier berechtigt Hoffnungen hegen könnte.
Klerikalismusfreie Zonen
Wie gesagt: Ich sehe gegen Klerikalismus kein Kraut gewachsen, probate Lösungen zeichnen sich gerade nicht ab. Ich glaube nicht, dass wir Klerikalismus gesamtkirchlich loswerden können. Der gehört zu uns wie “das Amen in der Kirche”. Aber: Wie in den 1980er Jahren an manchem Stadteingangsschild zu lesen war: “Stadt XY – atomwaffenfreie Zone”, so könnten sich unsere Kirchgemeinden und Pfarreien auch zu “klerikalismusfreien Zonen” erklären. Ein heikles Versprechen, fraglos. Aber einen Versuch wäre es wert. Wir reformieren nicht die Kirche, aber wir beginnen einen Weg.
—
Dr. theol. Martin Stewen (* 1970), 1997-2000 Pastoralassistent, seit 2001 Priester der Diözese Chur, seit 2015 Auslandspriester im Apostolischen Vikariat Südarabien (Bischöfliches Department für Katechese und Bildung) mit Wohnsitz Abu Dhabi (VAE), außerdem tätig als ausgebildeter Supervisor.
Bild: FRQ / pixelio.de