Im Juni 2018 fand in Villanova (Pennsylvania, USA) das zweite „International Festival of Creativity in Church Management“ statt. Das Festival hatte das Ziel, neue Lösungen für das Kirchenmanagement zu entwickeln. Benedikt Jürgens und Thomas Suermann de Nocker über eine Tagung zu Kirchenmanagement – inmitten des Missbrauchsskandals.
Anders als bei vielen anderen Tagungen, die sich mit Kirche beschäftigen, fand diese Tagung an einer Business School, also einer betriebswirtschaftlichen Fakultät statt. Während ein nicht geringer Teil der Vortragenden einen betriebswirtschaftlichen Hintergrund hatte, hatten alle Vorträge theologische Relevanz. Nicht-Theologen äußerten sich kompetent zu theologisch relevanten Fragen: Führung, Verantwortung, Steuerung, Transparenz und Nachhaltigkeit in der Kirche. Es wurde gezeigt, dass Church Management viel mehr ist als kirchliche Geldanlage oder Fundraising.
Führung, Verantwortung, Steuerung, Transparenz und Nachhaltigkeit – Themen von besonderer Brisanz angesichts des Missbrauchsskandals.
Viele dieser Themen haben in der Diskussion des Missbrauchsskandals besondere Brisanz. Der Tagungsort verschärft diese Brisanz zusätzlich. In Pennsylvania zeigte sich der Missbrauchsskandal ein weiteres Mal von einer besonders hässlichen Seite. Genau einen Monat nach dem Festival wurde der Bericht der Investigating Grand Jury des Supreme Courts von Pennsylvania der Öffentlichkeit vorgestellt. Für die Jury ist klar, dass der Missbrauchsskandal die Folge eines systemisch-institutionellen Versagens ist und dass die römisch-katholische Kirche eine bessere Organisation braucht, um Vergleichbares in Zukunft zu verhindern.1
Unmittelbar auf den Missbrauchsskandal ging Jordi Pujol auf dem Festival ein, Professor für Medienethik und Recht an der Fakultät für Institutionelle Kommunikation an der Päpstlichen Universität Santa Croce in Rom. Er machte den Klerikalismus und die kirchliche Tendenz, Vertraulichkeit und Verschwiegenheit zu schützen, für den Missbrauchsskandal verantwortlich und bezeichnete beides als „Instrumente der Korruption“. Das Heilmittel könne nur Transparenz auf der Basis von professioneller Kommunikation, Rechenschaftspflicht (accountability) und dem Einhalten von Gesetzen (compliance) sein.
Datenschutz darf nicht als Vorwand dienen, um Ermittlungen und Aufklärung zu verhindern.
Dass Pujol im Zusammenhang mit dem Missbrauchsskandal einen Bedarf an compliance sowohl beim Datenschutz als auch beim Schutz von Minderjährigen fordert, irritiert. Natürlich müssen die Persönlichkeitsrechte der Tatverdächtigen geschützt bleiben. Aber Datenschutz darf nicht als Vorwand dienen, um Ermittlungen und Aufklärung zu verhindern. Zwar sprach Jordi Pujol auch die kirchlichen governance-Strukturen mit dem Bischof als Entscheidungsinstanz und den beratenden Gremien Priesterrat, Vermögensverwaltungsrat, Konsultorenkollegium und Pastoralrat an. Inwieweit er hier Handlungsbedarf sieht, ließ er aber offen.
Führung durch Laien in kirchlichen Organisationen
Wesentlich konkreter wurde hier der Vortrag von Gabrielle McMullen, der nur auf den ersten Blick nichts mit dem Missbrauchsskandal zu tun hatte. Die ehemalige Professorin für Biochemie und Vize-Kanzlerin der Australian Catholic University berichtete über die Transformation der ordensgeführten caritativen Dienste Australiens in neue, von Laien geführte Strukturen, in denen sie selbst als Kuratorin Verantwortung übernimmt.
Die Restrukturierung der Dienste der Ordensgemeinschaften Australiens orientierte sich am Modell der US-amerikanischen Catholic Health Organization bzw. Catholic Health Initiatives. Sechs Ordensgemeinschaften gründeten im Jahr 1994 Catholic Healthcare, das von den Bischöfen der Kirchenprovinz Sydney als öffentliche juristische Person (public juridic person, PJP) nach kirchlichem Recht (c. 116 CIC) errichtet wurde. Heute gibt es insgesamt 10 PJPs in Australien, sechs von ihnen wurden von der Kongregation für die Institute des geweihten Lebens und die Gesellschaften des apostolischen Rechts, vier von australischen Bischöfen als PJP errichtet.
„Associaton of ministerial PJPs“ – sowohl in den Aufsichtsgremien als auch in den Geschäftsführungen durch Laien geführt.
Auf der Grundlage von der zuständigen kirchlichen Autorität genehmigter Statuten werden die PJPs durch Kuratorinnen und Kuratoren vertreten. Diese tragen sowohl kirchen- als auch zivilrechtliche Verantwortung und haben dafür zu sorgen, dass die jeweilige PJP ihren Auftrag erfüllen kann. Die Steuerung und die operative Durchführung der Dienste delegieren sie an das Management der jeweiligen Körperschaft.
Bald wurde die Notwendigkeit der Koordination und Kooperation der PJPs erkannt. Aus diesem Grund initiierten die beiden zentralen katholischen Organisationen Australiens die Gründung eines Dachverbands, der im Jahr 2016 als „Associaton of ministerial PJPs“ gegründet wurde (www.ampjps.org.au). Die Mitglieds-PJPs wie der Dachverband werden sowohl in den Aufsichtsgremien als auch in den Geschäftsführungen durch Laien geführt.
Bezogen auf die Einwohnerzahl hat die katholische Kirche in Australien deutlich mehr Angestellte als in Deutschland, davon 220.000 Laien.
Der Vortrag von Gabrielle McMullen verdeutlichte die große Bedeutung der Laien in der katholischen Kirche Australiens, die auch von Robert Dixon herausgearbeitet wurde, dem ehemaligen Direktor das Pastoral Research Institute der Australischen Bischofskonferenz: Dort arbeiten beachtliche 220.000 Laien, neben 1.094 Diözesan- und 1.063 Ordenspriestern, 4.166 Ordensschwestern und 689 Ordensbrüdern. Die ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter werden bei dieser Zählung gar nicht erst mitgezählt. Zum Vergleich: Die australische Regierung beschäftigt 240.000 Angestellte. Bezogen auf die Einwohnerzahl hat die katholische Kirche in Australien somit deutlich mehr Angestellte als in Deutschland.
Der Blick von außen: Empfehlungen der australischen „Royal Commission“
Auch vor diesem Hintergrund verwundert es nicht, dass die „Royal Commission into Institutional Responses to Child Sexual Abuse“ den Blick auf die umfangreichen Erfahrungen der australischen Laien lenkt. Sie wurde auf Empfehlung der damaligen Premierministerin Julia Gillard im Januar 2013 einberufen. Die sechs Beauftragten wurden vom Generalgouverneur Australiens ernannt. Am 15.12.2017 stellte die Kommission ihren Abschlussbericht vor, in dem sie der Australischen Bischofskonferenz empfiehlt, ihre Steuerungs- und Managementstrukturen zu überprüfen. Die Kommission rät, sich dabei an den in den PJPs umgesetzten Prinzipien von transparency, accountabilityund consultation zu orientieren. Als vorbildlich wird zudem die Rolle der Laien in diesen Organisationen hervorgehoben.2
Die katholische Kirche benötigt dringend neue Führungsstrukturen, die auf den Prinzipien von compliance, accountability und transparency arbeiten.
Vor dem Hintergrund des Missbrauchsskandals verschärft sich die zentrale Botschaft des Festivals von Villanova: Die katholische Kirche benötigt dringend neue Führungsstrukturen, die auf den Prinzipien von compliance, accountability und transparency arbeiten.
Der Klerikalismus ist auch für den von der Deutschen Bischofskonferenz in Auftrag gegebenen MHG-Bericht einer der wesentlichen Ursachen für das systemische Versagen der Kirche im Missbrauchsskandal. Die„Sanktionierung einzelner Beschuldigter, öffentliches Bedauern, finanzielle Leistungen an Betroffene und die Etablierung von Präventionskonzepten und einer Kultur des achtsamen Miteinanders“3 sind dabei aber nicht hinreichend für die Überwindung des Klerikalismus.
Die katholische Kirche kann es sich nicht länger leisten, auf den Erfahrungsschatz von Laien zu verzichten.
Während der MHG-Bericht jedoch offen lässt, was hinreichende Maßnahmen zur Überwindung des Klerikalismus sein könnten, wird die australische Royal Commission deutlicher, indem sie empfiehlt, sich an den Erfahrungen mit von Laien geführten kirchlicher Organisationen zu orientieren. Auf solche Erfahrungen kann auch der deutsche Katholizismus zurückgreifen. Auch hier tragen Laien, Frauen wie Männer, Verantwortung in kirchlichen Führungspositionen. Dazu kommen noch mehr Katholikinnen und Katholiken mit Führungsverantwortung in säkularen Organisationen, für die compliance, accountability und transparency selbstverständliche Standards sind.
Auf dem Festival in Villanova konnte erfahren werden, dass auch die Weltkirche bereits jetzt von der Managementkompetenz von Laien profitiert. Die katholische Kirche kann es sich nicht länger leisten, auf den Erfahrungsschatz von Laien zu verzichten. Daher sollte sie Empfehlung der australischen „Royal Commission“ auch weltweit beherzigen.
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Hintergrund:
Das zweite „International Festival of Creativity in Church Management“ hatte das Ziel, neue Lösungen für das Kirchenmanagement zu entwickeln. Mit dem Center for Church Management an der Business School der katholischen Villanova University und der Scuola Internazionale di Management Pastorale der Päpstlichen Lateranuniversität in Rom hatten sich zwei Akteure gefunden, die für ihre Kompetenz bekannt sind und ein internationales Netzwerk von Expertinnen und Experten aufgebaut haben.
Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer erwarteten eine vielseitige Konferenz, die mit einer „Key Note“ zum Thema „The Entrepreneurial Spirit in a Mission-Driven Church“ von Chris Lowney eröffnet wurde, dem Kuratoriumsvorsitzenden eines katholischen Trägers von über 100 Krankenhäusern und Gesundheitsdienstleistungen. Es folgten fünf Blocks mit jeweils vier „Research Presentations“ mit Referentinnen und Referenten mit universitärem Hintergrund, zwei „Panel Discussions“ mit Gesprächsteilnehmerinnen und -teilnehmern aus der kirchlichen Praxis, geistlichen Impulse sowie genügend dezent, aber wirkungsvoll vorstrukturiertem Freiraum zum Networking. Besonders inspirierend war die weltkirchliche Atmosphäre mit Teilnehmerinnen und Teilnehmern aus Australien, Deutschland, Nigeria, Irland, Italien und den USA.
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Benedikt Jürgens ist Leiter des Kompetenzzentrums Führung am zap (Ruhr-Universität Bochum).
Thomas Suermann de Nocker ist promovierter Pastoraltheologe und Professor für allgemeine Betriebswirtschaftslehre, insbesondere Strategisches Management und Nachhaltigkeit an der FOM-Hochschule für Oekonomie & Management.
Bild: https://vuevents.villanova.edu/ehome/336572
- Commonwealth of Pennsylvania, Office of Attorney General, Report I of the 40th Statewide Investigating Grand Jury, S. 9 (https://www.attorneygeneral.gov/report/). ↩
- Royal Commission into Institutional Responses to Child Sexual Abuse, Final Report Recommendations, recommendation 16.7 (https://www.childabuseroyalcommission.gov.au/). ↩
- ForschungsprojektSexueller Missbrauch an Minderjährigen durch katholische Priester, Diakone und männliche Ordensangehörige im Bereich der Deutschen Bischofskonferenz, S. 18 (https://www.zi-mannheim.de/forschung/forschungsverbuende/mhg-studie-sexueller-missbrauch.html). ↩