Was müssen wir loslassen, damit Neues werden kann? Am vierten Advent begegnen uns unwahrscheinliche Schwangerschaften. Kerstin Menzel mit dem letzten Teil der Advents-Reihe.
I
Als ich mit 17 Jahren zu ihnen kam, war ich ihr erstes Kind.
Da hatten meine amerikanischen Gasteltern schon beinahe 10 Jahre gehofft, gebetet, mit Gott gehadert und sich verzweifelt ein Kind gewünscht.
Nachdem ich wieder gefahren war, haben Sie ein Kind adoptiert.
Haben ihre Idee von ihrem Leben losgelassen.
Sind neue Wege gegangen.
Und haben dann noch selbst drei Kinder bekommen.
Haben ihre Idee von ihrem Leben losgelassen.
II
Ich will wieder zu dir kommen übers Jahr; siehe, dann soll Sara, deine Frau, einen Sohn haben.
Das hörte Sara hinter ihm, hinter der Tür des Zeltes.
Und sie waren beide, Abraham und Sara, alt und hochbetagt, sodass es Sara nicht mehr ging nach der Frauen Weise.
Darum lachte sie bei sich selbst und sprach: Nun, da ich alt bin, soll ich noch Liebeslust erfahren, und auch mein Herr ist alt!
(Gen 18,10-12)
III
Abraham als der Kronzeuge des Glaubens.
Sara lacht.
Nachkommen wie die Sterne am Himmel.
Und doch – starke Frauen gehen in ihrer Tradition. Töchter Saras.
Elisabeth, ebenso hochbetagt wie Sara, empfängt das Kind, das später Johannes heißen wird und in der Wüste den Menschen Umkehr predigt.
Voll Vertrauen nimmt sie es an: „So hat der Herr an mir getan, als er mich angesehen hat.“ (Lk 1,25)
Maria, so jung, dass es ebenso unwahrscheinlich ist, dass sie schwanger wird.
Sie singt voll Vertrauen: „Mein Geist freuet sich Gottes, meines Heilandes. Denn er hat die Niedrigkeit seiner Magd angesehen.“ (Lk 1,47-48)
Gott hat mich angesehen.
„Er gedenkt der Barmherzigkeit und hilft seinem Diener Israel auf, wie er geredet hat zu unsern Vätern, Abraham und seinen Nachkommen in Ewigkeit.“ (Lk 1,54-55)
Töchter und Söhne Abrahams und Saras, wir. Nachkommen wie Sterne am Himmel.
Sara fühlt sich nicht angesehen. Hinter der Zeltwand steht sie.
Vielleicht hätte der Bote mit ihr selbst sprechen sollen?
IV
Sara lacht.
Ich lache.
Siehe, ich verkündige euch große Freude.
Friede auf Erden.
Über denen, die da wohnen im finstern Lande scheint es hell.
Wie soll das zugehen?
Sara lacht. Hinter der Zeltwand.
Unfruchbar die Bemühungen um eine wirkliche Wende für die Erhaltung unseres blauen Planeten.
Unfruchtbar meine Bemühungen, alte Muster zu brechen und freier zu leben.
Unfruchtbar die Bemühungen, den Hass auf Menschen zu überwinden, die scheinbar anders denken, lieben oder aussehen.
Ich lache. Hinter der Zeltwand.
Dabei wünsche ich mir doch so sehr, dass Neues wächst.
V
Eine Schwangerschaft kann man nicht machen. Optimieren, beeinflussen, überwachen – o ja.
Auch heute noch: Ein Kind bleibt ein Geschenk.
Nicht an uns allein ist es, die Verheißung zu erfüllen.
Neues wächst, lange sieht man davon nichts.
Neues wächst, lange sieht man davon nichts.
Manchmal muss man die Idee loslassen, wie es sein soll, damit etwas neu werden kann.
Gewissheiten aufgeben, eigene Identität mit Fragezeichen versehen.
Gott sieht uns an.
Damit es anders werden kann als gedacht.
Sollte Gott etwas unmöglich sein? (Gen 18,14)
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Die Sonntagsreihe im Advent 2018 heißt neue Texte in der gottesdienstlichen Leseordnung der evangelischen Kirchen willkommen, die am ersten Advent in Kraft tritt.
Kerstin Menzel ist Pfarrerin und landeskirchliche wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Praktischen Theologie an der Humboldt-Universität zu Berlin.
Bild: Şahin Yeşilyaprak / unsplach.com