Was taugt die katholische App „Vocaris“? Simone Birkel hat den neuesten digitalen Gimmick der Bischöfe mit Studierenden getestet.
Kirche geht neue Wege! Dies gilt insbesondere im Bereich der Digitalisierung, hier wird der Kirche ja schon seit längerem[1] noch ein erheblicher Nachholbedarf attestiert. Offensiv und mit professioneller Begleitung durch kircheninterne und -externe Beratungsunternehmen werden jetzt erste digitale Gehversuche in der jugendpastoralen Arbeit unternommen.
Was leistet die App?
Die von der Arbeitsstelle für Jugendseelsorge der Deutschen Bischofskonferenz (afj) in Auftrag gegebene App „Vocaris“ möchte laut Jugendbischof Stefan Oster „für junge Menschen ein Hilfsmittel auf dem Weg ihrer Suche nach einem gelingenden Leben sein“. Doch was leistet die App wirklich? Studierende der Fakultät für Religionspädagogik und Kirchliche Bildungsarbeit an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt haben die App getestet.[2] Dabei kamen überraschende und ernüchternde Einsichten an den Tag:
Positives Urteil über den klaren Aufbau
Alle TN stimmten darin überein, dass Aufbau, Design und Lesbarkeit als gut zu beurteilen sind. Zumindest von der äußeren Funktion her kommt die App ansprechend rüber. Die Bedienung funktioniert auch an Orten, deren Umgebung schlechte Lichtverhältnisse hat. Die App punktet in Sachen Übersichtlichkeit. Die drei Hauptthemen Berufung, Beten, und Engagement sind deutlich farblich voneinander zu unterscheiden. Allerdings stoßen die Symbole Telefonhörer (Berufung), geöffnete Hände mit Kreuz in der Mitte (Beten) und eine stilisierte Kirche (Engagement) auf wenig Gegenliebe und irritieren eher.
Bleiwüste statt Funfaktor
Bemängelt wird sehr oft, dass die App überaus textlastig sei. Sowohl beim Thema „Wie geht entscheiden?“ als auch im Bereich Engagement wird weitgehend mit Textblöcken gearbeitet. Zwar werden die Blöcke z.T. mit Hilfe der Figur Ignatius wohldosiert angeboten und können teilweise auch übersprungen werden, zusammengenommen dominieren aber die Texte einen Großteil der App. Viel zu sehr bleibt die App dem pädagogischen Duktus der Wissensvermittlung mittels Text verhaftet. Ein methodischer Mix aus Erklärvideos, Storrytelling, podcasts, Funnies etc. würde einen deutlichen Mehrwert darstellen. Spaßversprechende Spiele suchen die Jugendlichen vergebens. Vielleicht sollten sich die Verantwortlichen künftig zusätzlich auch von der Gamer*innenszene beraten lassen, sog. Serious Games bieten eine lustvolle Verknüpfung von Unterhaltung und Bildung.
Finde deine Berufung – alles hat seinen Preis
Wer sich auf den Prozess „Finde deine Berufung“ einlassen bzw. dieses Versprechen einlösen will, sieht sich zunächst mit einer Vielzahl von Fragen konfrontiert. Aus den Bereichen Bedienen; Verwalten, Gegenstände bearbeiten und Dekorieren sind je 24 Fragen zu beantworten. Wenn sich junge Menschen durch 96 Fragen klicken müssen, um zu einem Ergebnis zu gelangen, wird das auf Dauer eintönig und einseitig, zumal nur drei Antwortkategorien zur Verfügung stehen.
Eingeschränkte Antwortmöglichkeiten
Die eingeschränkte Antwortmöglichkeiten ausgedrückt in emojis („trifft zu“ = smily, „weiß nicht“ = überlegender smily; „trifft nicht zu“ = skeptischer smily ) motivieren wenig, sich tatsächlich mit den Fragen auseinanderzusetzten. Es besteht die Gefahr, die Befragung schnell hinter sich zu bringen, um das Ergebnis zu sehen. Bemängelt wird eine fehlende Differenzierung. In diesem Bereich wird auch visuell gearbeitet, indem Bilder geliked werden können. Leider erfolgt keine Interpretation des ausgewählten Bildes z.B. in Form von Signalwörtern.
Vorschlag für weibliche Jugendliche: Werde Priester!?
Bisweilen kam es vor, dass am Ende die Berufsmöglichkeit „Priester“ vorgeschlagen wird. Weibliche Jugendliche waren darüber irritiert, schließt doch bekanntermaßen die katholische Kirche diesen Beruf bislang für Frauen aus. Oder könnte dies ein erstes Anzeichen dafür sein, dass die afj bereits eine Perspektivenänderung im Blick hat?
Vorbeterinnen und andere Schreckgespenster
Ausdrücklich lobende Erwähnung findet der umfangreiche und vielfältige Gebetsteil. Begrüßt wird die Tatsache, dass nicht nur Standardgebete sondern auch vielfältige freie Formen des Gebets vorgestellt werden. Hier finden junge Menschen eine gute Auswahl an Gebetstraditionen.
Durchgefallen in der Bewertung ist dagegen die Sprecherin der Anleitungen zu den Gebeten. Egal ob mit oder ohne Hintergrundmusik, die Frauenstimme klingt esoterisch abgehoben und will so gar nicht zur jugendpastoralen Grundausrichtung passen. Mit echter Frauenpower, die ja durchaus in der Kirche vorhanden ist, hat dies wenig gemein. Liegt diese Auswahl eventuell an einer rein männlichen Perspektive?
Allein von Männern gemacht …
In der App sind im Bereich der Autor*innen und Redaktion lediglich Männer angeführt. Festgestellt werden kann jedenfalls, dass die männliche Stimme, die die Gebete anleitet, hier vergleichsweise frisch und sympathisch klingt. Schade, dass hier eine Chance vertan wurde, denn gerade junge Frauen stoßen kirchlicherseits auf immer weniger Vorbilder einer lust- und sinnenbetonten spirituellen Grundausrichtung.
Ebenfalls irritierend bis abschreckend wirkt auf die Studierenden, wie schon angedeutet, die historisiert dargestellte Gestalt des heiligen Ignatius, der durch die App führt. Dies wäre allenfalls für Kinderapps noch akzeptabel, Digital Natives kämen ab dem Jugendalter ohne solche Hilfsfiguren klar, so eine Aussage.
Fazit: Immerhin ein Anfang
Bei der Frage, ob sie die App weiterempfehlen würden, kam die überwiegende Mehrheit zu dem Schluss, dass sie die App vermutlich schon im kirchlichen Bekanntenkreis weiterempfehlen würden, schließlich sei dies ja die einzige App und besser diese als gar keine. Die Fragen und Hilfestellungen zur Entscheidung, was im eigenen Leben wichtig ist, helfen definitiv zur Orientierung. In den vielzähligen Angeboten der Begleitung in der Jugend- und Schulpastoral punktet Kirche z.B. bei den Tagen der Orientierung seit jeher. In der Alltagswelt fehlen jedoch oftmals authentische Begleiter*innen, die offline ein offenes und unvoreingenommenes Ohr für die Fragen und Sorgen der jungen Menschen haben.
Gerne mehr, gerne lebensnäher
Insofern kann die App einen Anreiz für junge Menschen sein, sich auf der Suche nach dem, was für sie im Leben wirklich wichtig ist, sich unterstützen zu lassen. Eine innovative Serviceorientierung, die, wie die zahlreichen Jugendkirchen zeigen, für das Überleben von Kirche lebensnotwendig ist, wird, nicht nur von jungen Menschen gerne in Anspruch genommen. Also: gerne mehr solche Angebote, gerne aber auch lebensnäher an den jeweiligen Lebenswelten.
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Dr. Simone Birkel ist Lehrkraft für Jugend- und Schulpastoral an der Katholischen Universität Eichstätt.
Bild: Simone Birkel
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[1] Christian Klenk wies beispielsweise schon 2013 darauf in seiner Studie darauf hin, vgl. www.delphi-katholische-medien.de.
[2] Dabei handelt es sich keineswegs um eine repräsentative Studie, 12 Studierende haben die App nach ausgewählten Kriterien bewertet. Jedoch bieten diese Ergebnisse überraschende Einsichten, die eine intensivere Forschung in diesem Bereich lohnenswert erscheinen lassen.