Vortrag von Margit Eckholt, Professorin für Dogmatik in Osnabrück, anlässlich des 500. Geburtstages der Hl. Teresa von Avila.
1. Teresa von Avila und die Entdeckung der Subjektivität in der Frühen Neuzeit – kultur- und theologiegeschichtlicher Hintergrund der „Moradas del castillo interior“
„Sólo Dios basta“ – das Leit- und Lebensmotiv Teresas:
Gott spricht:
O Seele, suche dich in mir,
und Seele, suche mich in dir.
Die Liebe hat in meinem Wesen
Dich abgebildet treu und klar;
kein Maler lässt so wunderbar,
o Seele, deine Züge lesen.
Hat doch die Liebe dich erkoren
Als meines Herzens schönste Zier:
Bist du verirrt, bist du verloren,
o Seele, suche dich in mir.
In meines Herzens Tiefe trage
ich dein Porträt, so echt gemalt;
sähst du, wie es vor Leben strahlt,
verstummte jede bange Frage.
Und wenn dein Sehnen mich nicht findet,
dann such nicht dort und such nicht hier:
Gedenk, was dich im Tiefsten bindet,
und, Seele, suche mich in dir.
Du bist mein Haus und meine Bleibe,
bist meine Heimat für und für;
ich klopfe stets an deine Tür,
dass dich kein Trachten von mir treibe.
Und meinst du, ich sei fern von hier,
dann ruf mich, und du wirst erfassen,
dass ich dich keinen Schritt verlassen:
und, Seele, suche mich in dir.
„Aber auf der anderen Seite möchte sie am liebsten mitten in die Welt gehen, um zu sehen, ob sie nicht etwas dazu beitragen kann, daß auch nur eine Seele Gott inniger lobe. Handelt es sich um eine Frau, so ist sie traurig über die Fesseln, die ihre Natur ihr auferlegt und die ihr nicht erlauben, dies zu tun, und heftig beneidet sie diejenigen, die die Freiheit haben, es laut hinauszurufen und aller Welt zu verkünden, wer dieser große Gott der Heerscharen ist.“ (M 6, 6, 147)
Mit diesen beiden Texten – einem poetischen Text und einem Zitat aus den 6. Wohnungen der „Inneren Burg“, den Text, den ich in das Zentrum dieses Vortrags stellen möchte – eröffne ich den Blick auf eine der großen Frauen Spaniens, deren 500. Geburtstag im nächsten Jahr begangen wird – und die weit über Spanien hinaus Bedeutung gewonnen hat, als Reformerin der Ordensgemeinschaft des Karmel für den kirchlichen Kontext, als geistliche Schriftstellerin – um bewusst diesen weiten Ausdruck für ihr literarisches, poetisches und theologisches Werk zu wählen – für die neue Ausgestaltung einer „mystischen Theologie“ in der Frühen Neuzeit, die zum Modell der geistlichen Aufbrüche in anderen Jahrhunderten und kulturellen Kontexten wurde, vom „Grand siècle de la spiritualité française“, wie Henri Bremond in seiner „Histoire du sentiment religieux en France“ das französische 17. Jahrhundert charakterisiert, bis zu den geistlichen Grundlagen der Philosophie Edith Steins, genauso aber auch in den Reform- und Erweckungsbewegungen des Pietismus im 17. und 18. Jahrhundert, den protestantischen Mystikern Johann Arndt, Jean de Labadie, Pierre Poiret, Philipp Jakob Spener und Graf Zinsendorf, vor allem aber den großen Liederdichter Gerhard Tersteegen (1697-1769).
Das Leitmotiv ihres Lebens und literarischen Wirkens, aber auch deren Grundspannung wird in den beiden Texten deutlich: Teresa geht einen Weg „in das Innere“, spürt und deckt auf, was die „Seele“ des Menschen ist, kein Begriff mehr unserer Zeit, in denen Neuro- und Kognitionswissenschaften den philosophischen und theologischen Begriff der Seele aufzu¬lösen beginnen in Hirn- oder andere Strömungen, aber ein Begriff, in dem es um das geht, was „Identität“ ist, das „Soi-même“ – mit Paul Ricoeur gesprochen, und dieses „Soi-même“ ist nur, wenn das „Andere“ ist: Gott: „O Seele, suche dich in mir, und, Seele, suche mich in dir.“ „Soi-même comme un autre“, so das Grundlagenwerk zeitgenössischer philosophischer Anthropologie.
„Solo Dios basta“, das ist das Leit- und Lebensmotiv der Teresa von Avila, es kann der Seele nur um eines gehen: Gott zu loben, ihm die Ehre zu geben. Dies ist zunächst nicht etwas, das nach innen gerichtet ist, sondern zentraler Auftrag, in der Sendung des auferstandenen Christus begründet, den „Erdkreis“ mit Gottes Lob zu erfüllen, den „Raum der Welt“, wie Teresa es – in der Begleitung der Aufbrüche ihrer sieben Brüder in die Neue Welt (nach Quito, Lima und Panamá) – erlebt hat. Weil ihr selbst genau dies verwehrt ist, in der patriarchalischen Kultur des „Siglo de oro“, in der das Haus, der Raum des „Innen“, des „Privaten“, der Frauen zugewiesene Raum ist, wird Teresa eine andere Weite erkunden und erschließen, den „Raum“ des Innen, der Seele, und in ihm Gott entdecken, Ihn, der in seines „Herzens Tiefe“ das „Porträt“ der Seele trägt, die selbst wiederum sein „Haus“ und seine „Bleibe“ ist: „In meines Herzens Tiefe trage / ich dein Porträt, so echt gemalt..“ / „Du bist mein Haus und meine Bleibe, / bist meine Heimat für und für.“ Diese Heimat ist die „Innere Burg“, ein Haus vieler Gemächer und Wohnungen, Metapher für die spannende, dynamische und dem Aufbruch in „neue Welten“ vergleichbare Suche nach dem, was den Menschen „Mensch“ sein lässt. In der Ausrichtung des Menschen an Gott – im Entdecken Jesu Christi im Innersten der Wohnungen – wird der Mensch, so die Überzeugung Teresas, in das Wesen seines Selbst geführt, und das bedeutet eine neue Praxis, dann wird ermöglicht, was wir heute „gutes Leben“, Zusammenleben in Gerechtigkeit usw. nennen. Ricoeur – um die Brücke in unsere Gegenwart zu schlagen – verbindet in „Soi-même comme un autre“ philosophische Anthropologie und politische Philosophie. „Vita contemplativa“ und „vita activa“ sind bei Teresa in dieser Tiefe zusammengebunden, so wie sie die Grundspannung des Lebens von Teresa ausmachen.
„Tiempos recios“ – ein geistlicher Weg in dunklen Zeiten
Teresa von Avila, als Teresa de Cepeda y Ahumada (so der Name ihrer Mutter) wurde am 28. März 1515 in Avila geboren, dort stirbt sie am 4.10.1582, einen Tag später wird sie beerdigt, angesichts der Gregorianischen Kalenderreform ist dies der 15. Oktober. Ihr Vater Alonso Sánchez de Cepeda stammt aus einer Familie von „Conversos“, Juden, die nach der Recon¬quista – 1492 wird Granada erobert und die muslimische Herrschaft in Spanien zurückgedrängt – zum Katholizismus konvertieren mussten, wollten sie nicht des Landes ver¬wiesen werden. Die Familie gehört, nachdem der Vater einen – zwar zeit seines Lebens auch umstrittenen – Adelstitel gekauft hat, zum niederen Adel, die Familie der Mutter ist „altkastilisch“ und trägt im Wappen den rauchenden Turm, der auf den Kampf ihrer Vorfahren gegen die Muslime hinweist, im Welt- und Kulturverständnis des spanischen „Siglo de oro“ Ritterschlag und Zeichen der Zugehörigkeit zu den Mächtigen, eine für die Familie Teresas aber zutiefst fragil bleibende, und der Aufbruch ihrer sieben Brüder in die „neue Welt“ wird sicher nicht zu Unrecht als Suche nach neuen „Ehren“ und Zugehörigkeiten interpretiert.
Nach einer kurzen Zeit im Internat der Augustinerinnen in Avila (1531), das sie aus gesund¬heitlichen Gründen verlassen muss, beginnt sie in der Zeit der Rekonvalenz in Hortigosa bei ihrem Onkel Pedro, der sich den Hieronymiten anschließen wird – eine kontemplative Ge¬meinschaft, in der viele der „conversos“ Zuflucht finden, gerade auch durch die Nähe des Ordens zu den jüdischen Traditionen der christlichen Bibel -, mit der Lektüre geistlicher Texte. Mit 20 Jahren tritt sie in das Kloster der Karmelitinnen ein, legt zwei Jahre später, am 3.11.1537, die Gelübde im Kloster der Menschwerdung ab, ein für die damalige Zeit nicht ungewöhnlicher Weg, prägten doch christlicher Glauben und seine spezifische Ausgestaltung im spanischen Barockkatholizismus die Kultur bis hinein in das Alltagsleben; der Eintritt in ein Kloster war für viele Frauen mehr als eine Alternative zur Heirat; für Teresa als Angehörige des niederen Adels war das Leben im Kloster der Menschwerdung zudem mit Privilegien ausgestattet; ihr stand im damals ca. 150+ Frauen fassenden Kloster eine eigene kleine Wohnung zu, mit Schlaf- und Gebetsraum, Zimmer, die sie mit ihrer Nicht Beatriz de Ahumada und María Bautista, Tochter ihres Cousins, teilte; sie konnte Besuch empfangen, konnte selbst das Kloster verlassen, für Einkäufe und Besuche. Doch genau dies läßt in Teresa großes Unbehagen und Unruhe wachsen, sie wird 1538 schwer krank, wieder ist sie in der Nähe ihres Onkels Pedro, entdeckt die 1528 in Sevilla erschienene Gebetslehre von Francisco de Osuna, den „Tercer Abedecario Espiritual“, das „Dritte geistliche ABC“, eines der meistgelesenen und bedeutendsten Werke geistlicher Literatur ihrer Zeit, ein Buch, das Teresa auf ihrer geistlichen Suche begleiten wird. Francisco de Osunas Werk wird wegweisend für die Erneuerung der spanischen Mystik des 16. Jahrhunderts, er leitet an zu einem Weg des Schweigens, eines Betens ohne Worte, das Anleihen nimmt bei der „via negativa“ der Gotteserkenntnis des Pseudo-Dionysius Areopagita, dem Weg hin zu einem Nicht-Denken („no pensar nada“), das den Raum öffnet für das Hören auf Gottes Wort, das Gottes-Bilder zerstört, um dem „Bild“ des unsichtbaren Gottes, dem gekreuzigten Menschensohn, Raum zu geben. Neben Osuna ist es die 1535 veröffentlichte „Subida del Monte Sión por la via contemplativa“ von Bernardino de Laredo und sind es die auf spanisch verlegten „Confessiones“ von Augustinus, die Teresa prägen werden. Die Lektüre stärkt ihre Widerstandskräfte und öffnet neue, freie Räume in einer Zeit, in der der spanische Katholizismus immer rigider, enger wird, und nach den Jahren eines Karl V. (bzw. Carlos I.) mit Fernando II. die Inquisition weiter an Macht gewinnt, gegenreformatorische Kräfte die spanische katholische Kirche prägen, die den Reformbewegungen dieser Jahre Riegel vorschieben. Dass Laien und hier vor allem Frauen zur Lektüre greifen, geistliche Literatur in der Volkssprache, auch die Bibel in der Volkssprache lesen und sich – von der Autorität der katholischen Kirche befreiende – Reformbewegungen wie die „Alumbrados“ (die sog. Erleuchteten) verbreiten, wird für die Inquisition zum Anlass, volksprachliche geistliche Literatur zu verbieten, ein Verbot, das sich für Frauen sogar auf die Lektüre weltlicher Literatur ausdehnt, und eine weitere Arbeit an und Verbreitung der Bibel in Volkssprache zu un¬terbinden. Hier kann sich die Inquisition auf das Konzil von Trient (1545-63) berufen, das auch ein Verbot der mystischen Literatur ausgesprochen hatte. 1559 erscheint der Index verbotener Bücher des Großinquisitors Fernando Valdés, es kommt zur „Konfiskation und Verbrennung einiger geistlicher Bücher und Teilübersetzungen der Bibel in der Volkssprache“ , von Texten von Erasmus und seinen Schülern. „Sei nicht betrübt, denn ich werde dir ein lebendiges Buch geben“ , so notiert Teresa in ihrer Lebensbeschreibung „Vida“, die Notiz der inneren Erfahrung einer Gottes- bzw. Christusbegegnung in diesem Moment, die Ausdruck ihres Widerstands gegen die rigiden Kräfte der Inquisition ist und gleichzeitig Zeugnis für die Gotteserfahrungen, die sich auf ihrem geistlichen Weg vertiefen und verdichten in der von ihr in ihrer Autobiographie geschilderten tiefen Erschütterung bei der Betrach¬tung eines Bildes des „ecce homo“, des gegeißelten Christus im Jahr 1554. „Tiempos recios“ , strenge Zeiten, wird Teresa diese Jahre nennen, in denen sich ihr geistlicher Weg vertieft, ihre mystischen Erfahrungen, Visionen, Auditionen, Ekstasen, durchbrechen und ihr Wunsch einer Reform des Ordenslebens wächst, hin zu den Ursprüngen der Karmelbewegung, der eremitischen Lebensform in Zeiten der frühen Kirche im Wadi Ain es-Siah auf dem Berg Karmel, die sich auf den Propheten Elija (1 Kön 18 ) beruft und ein am Gebet orientiertes Leben führt.
Ihre geistlichen Begleiter raten Teresa, ihre Erfahrungen niederzuschreiben. 1562 erscheint der „Libro de la Vida“, 1566 der „Camino de perfección“, 1576 der „Libro de las funda¬ciones“ und 1577 ihr Hauptwerk, die „Moradas del castillo interior“. Seit 1568 ist sie in Kontakt mit dem Karme¬liten Juan de Santo Matía – Johannes vom Kreuz -, den sie für ihre Reformideen gewinnt, seit 1575 ist sie in Kontakt mit dem jungen Pater Jerónimo Gracián, der sie bis zu ihrem Lebensende – durch alle Anfechtungen der Inquisition – begleiten wird. Der Einfluss von Johannes vom Kreuz (1542-1591) und seiner mystischen Theologie auf ihr reifstes Werk, die „Seelenburg“, ist nicht zu unterschätzen, Jutta Burggraf spricht in ihrer Studie zu Teresa von Avila von einem „Buch von zwei Händen“. Bereits kurz nach ihrem Tod (1582 in Alba de Tormes) bereitet der Augustiner Luis de León, Professor in Salamanca, eine Gesamtausgabe der Schriften von Teresa vor, sein 1588 veröffentlichtes Widmungsschreiben ist, so der spanische Theologe und Historiker Mariano Delgado, ist ein „rhetorisches Kunststück über die Lehrautorität einer Frau in der Männerkirche“ : „Ich halte für sicher“, so Luis de León, „daß an vielen Stellen der Heilige Geist aus ihr spricht, der ihr Hand und Feder führte.“ Damit unterbindet er die von der Inquisition verbreitete Kritik an Teresa, wobei er – gerade um Teresa in Schutz zu nehmen – auch betont, dass diese außerordentlichen Offenbarungen gegenüber skeptisch gewesen sei und es ihr darum gegangen sein, „unser Leben aus(zu)richten nach der Lehre der Kirche und nach dem, was Gott in der Heiligen Schrift offenbart hat“.
Von 1562 an, das Jahr der Gründung des ersten Reformklosters San José in Avila, wird Teresa unermüdlich in ganz Spanien unterwegs sein, 18 Frauenklöster und 15 Männerklöster, die sog. „Unbeschuhten Karmeliter“ konnte sie zu ihren Lebzeiten – oft auch gegen massive Widerstände etablierter Orden – gründen, und aus diesem Geist werden nach dem Tod Teresas europa- und weltweit Klöster gegründet. „Wir alle“, so Teresa in den fünften Wohnungen der „inneren Burg“, „die wir das heilige Kleid des Ordens vom Berge Karmel tragen, sind zum Gebete und zur Beschauung berufen; dieses war die anfängliche Lebensweise unseres Ordens. Wir stammen ja von jenen heiligen Vätern auf dem Berge Karmel ab, die in so großer Einsamkeit und mit so vollkommener Verachtung der Welt diesen Schatz, diese kostbare Perle gesucht haben.“
Theologin der katholischen Reform
„Auf dem Wege zu Teresa liegen viele Steine, die weggeräumt werden müssen. Es sind die Vorurteile, die 400 Jahre Kirchenspaltung und Glaubenskrieg dort liegen gelassen haben. Es sind freilich auch Vorurteile, von denen Teresa selbst nicht frei gewesen ist“, so der emeritierte evangelisches Theologe Jürgen Moltmann. Und es sei „unzutreffend und auch ein Missbrauch ihres Namens, wenn sie lange Zeit eine ´Hauptfigur der Gegenreformation´ genannt wurde. Das war sie nun, bei aller Liebe zum Streit um die Wahrheit sei es gesagt, wirklich nicht. Was sie in Wirklichkeit war, lässt sich treffender mit dem Ausdruck ´Hauptfigur der katholischen Reform´ bezeichnen. In der Notwendigkeit der gründlichen Reform der Kirche war sich Teresa mit den Reformatoren sogar ganz einig. Auch in den Grundlagen dieser Reform findet sich überraschende Übereinstimmung. Die Kirche ist allein Gottes Eigentum: Er ist die ´Allmacht´, die ´Majestät´, wie Teresa zu sagen pflegt, und wie auch Calvin schon die Souveränität Gottes betont hatte. Darum hört die Kirche allein auf Gottes Wort und auf das Gotteswort allein, wie Teresa sagt, und wie es Martin Luther auch schon vor Kaiser und Papst bekannt hatte.“ Also: „Sólo Dios basta“…
Die Kritik Moltmanns trifft sicher zu; Teresa ist in der Spiritualitätsgeschichte und auch spa¬nischer Theologie- und Literaturgeschichte als die große katholische Heilige des „Siglo de oro“ inszeniert worden, im Dienst der Mächtigen, von Kirche und Politik, des „katholischen Spanien“; aber genau von diesen „Projektionen der Nachwelt“, so der emeritierte Bielefelder Romanist André Stoll, müssen Teresa und ihr Werk befreit werden. Stoll weist auf die „’multikulturellen´ Wirkkräfte“ hin, denen sich die „kühnsten poetischen Innovationen des hispanischen ´Goldenen Zeitalters´“ verdanken und die auch Teresas Werk prägen, die jüdischen Wurzeln und die fragile Zugehörigkeit ihrer Familie zur Gesellschaft, der – wahrscheinlich eher indirekte – Einfluss des Islam und der arabischen Kultur, die Spanien, vor allem Andalusien noch in Teresas Zeit prägte; ihre Vertrauten Johannes vom Kreuz und Jerónimo Gracián standen selbst in enger Beziehung zu dieser Kultur. Teresas Werk müsse als „heterodoxes Kunstwerk“ gelesen werden und es sei an der Zeit, ihm seine „wahre und oppositionelle Bedeutungsvielfalt zurückzuerstatten“ . Aus katholischer Perspektive ist dies natürlich ein nicht unangefochtenes Unterfangen, aber es ist notwendig, diese große Frau des 16. Jahrhunderts aus den vielen Heiligenbildern treten zu lassen, die im Laufe der Jahrhunderte entstanden sind, nicht um ihre Heiligkeit zu mindern, sondern um ihre historische Leistung zu würdigen. Eigentlich ist es bis heute erstaunlich, dass sie, als Frau, angefragt von der Inquisition, ohne Angst vor offenen Worten gegenüber Priestern und Bischöfen, bereits am 24. April 1614 selig- und am 12.3.1622 heiliggesprochen wurde. Sicher, angesehene Theologen wie der Dominikaner DomingoBañez haben sich auf ihre Seite gestellt und sie ermutigt, ihre Erfahrungen „festzuhalten“, aber Teresa steht quer zu einem rigiden spanischen Katholizismus und den Moralcodices der spanischen Aristokratie. Sie hat sich – und anderen (sind ihre Werke doch gerade für ihre Mitschwestern geschrieben) – einen faszinierenden Weg zu einer inneren (und äußeren) Freiheit erschlossen, hat dabei innere und äußere Kämpfe durchlitten, auch ein Spiegel für die zerrissene Welt, eine „Welt in Flammen“, so Teresa, in der sich im Zuge von Conquista und „descubrimiento“ neue Räume öffneten, aber angesichts der damit übereingehenden Gewalt und Mißachtung der Rechte fremder Kulturen, Völker und Religionen die „Seele“ des Menschen verlorenging. Mit dem Bild der „inneren Burg“ öffnet Teresa in Zeiten, in denen sich neue Welt-Räume auftun, die Räume der Seele, läßt diese eintreten in Wohnungen und Gemächer, um sich selbst zu finden, indem sie hier Den entdeckt, in dessen Wesen die Liebe sie selbst „abgebildet“ hat, so die zu Beginn des Vortrags zitierte Poesie. Nur Gott ganz nah, kann die Seele, kann der Mensch auch sich ganz nah sein, Selbsterkenntnis und Gotteserkenntnis sind zwei Seiten einer Medaille, wobei das Gott-Nah-Sein die Sehnsucht nicht aufhebt und die Seele neu durch die Gemächer streifen und den nahen-fernen Gott suchen lässt. Genau damit öffnet sie im gegenreformatorisch geprägten Spanien den Weg der Reform des Katholizismus, der von Spanien ausgehend dann die neuen geistlichen Wege im Frankreich des 17. Jahr¬hun¬derts prägen wird – von François de Sales, Henri de Bérulle über Marguérite d´Alacoque bis zu Pascal und Racine –, und legt die Grundlagen für eine neue Gestalt der Theologie, eine „mystische Theologie“, wie sie selbst schreibt, erfahrungsbezogen, biographieorientiert, eine Gestalt der Theologie, die die katholische Theologie und Kirche erst Jahrhunderte später, in den Neuaufbrüchen des 20. Jahrhunderts wieder entdecken wird, vor allem in Zeiten, in denen Frauen sich Wege in der Theologie erschließen und theologische Frauenforschung beginnt, den Frauen in der Geschichte christlichen Glaubens eine Stimme zu geben. Eingeholt ist in der katholischen Kirche und Theologie die – um eine Formulierung des Romanisten André Stoll aufzugreifen – „subversive, in die Moderne weisende Gründungsleistung“ Teresas gewiss noch nicht.
2. “Moradas del castillo interior” (1577) – Einblicke in die Seelenräume: Wege zur Selbst- und Gotteserkenntnis
In den 1577 in kurzer Zeit (vom 2. Juni bis 30. November) entstandenen „Moradas del castillo interior“ – den „Wohnungen der inneren Burg“ – fasst Teresa ihr geistliches Leit- und Lebensmotiv – was die „Seele“ des Menschen ist, wie in ihr Mensch und Gott aufeinander bezogen sind, wie die Praxis des „inneren Gebets“ den Weg zu innerer Freiheit und damit Selbst- und Gotteserkenntnis eröffnet – mit dem Bild des „castillo interior“ zusammen. Sie vergleicht die Seele des Menschen mit einer Burg mit vielen Wohnungen und Gemächern; sie führt ein in den weiten Raum der Seele des Menschen, in deren Innersten Gott wohnt. Sie wächst hinein in ihre eigene Identität, je näher sie diesem Zentrum ist, je größer die Gotteskenntnis, je größer die Selbsterkenntnis.
Das Motiv der „inneren Burg“
„Wie ich heute unseren Herrn anflehte, er möge durch mich reden – weil ich nichts zu sagen fand und nicht wußte, wie ich mit der Erfüllung dieser Aufgabe beginnen sollte -, da bot sich mir dar, was ich nunmehr sagen und als Fundament gebrauchen möchte: nämlich unsere Seele als eine Burg zu betrachten, die ganz aus einem Diamant oder einem sehr klaren Kristall besteht und in der es viele Gemächer gibt, gleichwie im Himmel viele Wohnungen sind. Denn wenn wir es recht betrachten, Schwestern, so ist die Seele des Gerechten nichts anderes als ein Paradies, in dem der Herr, wie er selbst sagt, seine Lust hat. Nun, was meint ihr, wie wohl die Wohnstatt sein mag, in der ein solch mächtiger, weiser und reiner König, der so reich an Gütern jeglicher Art ist, sich ergötzt? Ich finde nichts, mit dem sich die große Schönheit seiner Seele, ihre Weite und ihre höhe Befähigung vergleichen ließe. Und wahrlich, unsere Einsicht und unser Verstand – so scharfsinnig sie sein mögen – reichen schwerlich aus, sie zu begreifen, genausowenig wie sie Gott sich auszudenken vermögen; denn er selbst sagt, daß er uns schuf nach seinem Bilde. Ist dies wirklich so – und es ist so –, dann brauchen wir uns nicht abzumühen in dem Verlangen, die Schönheit dieser Burg zu erfassen. Obgleich zwischen ihr und Gott der Unterschied besteht, der Schöpfer trennt vom Geschöpf – da sie ja etwas Erschaffene ist -, so genötigt doch das Wort Seiner Majestät, daß sie nach seinem Bilde geschaffen ist, um die große Würde und Schönheit der Seele uns als kaum faßbar erscheinen zu lassen.“ (M I 1, 21)
Bereits die Eröffnung des Buches ist ein faszinierender Text mystischer Theologie: Es geht – so ein erstes Strukturmoment mystischer Theologie – um nichts Geringeres als die Beziehung zwischen Gott und Mensch, den Ort der Begegnung, und das ist, so Teresa, die Seele des Menschen; im innersten ihrer Gemächer – und hier verwendet sie ein weiteres Bild, das „Paradiesgärtlein“, ein dem Hohen Lied der Liebe angelehntes Motiv, das in der mystischen Theologie der Patristik und des Mittelalters (so bei Bernhard von Clairvaux und Gertrud von Helfta) die Liebesbegegnung von Mann und Frau auf die von Gott bzw. Christus und Seele übertragen hat – „hat der Herr seine Lust“, hier ist Gott zu finden, und hier findet sich die Seele selbst. Doch das ist im Grunde nicht in Worte zu fassen, das ist ein zweites Moment der mystischen Theologie: „Ich finde nichts, mit sich die große Schönheit seiner Seele… vergleichen ließe.“ Gott ist mit dem Verstand und der Einsicht nicht zu fassen. Aber es gibt einen Weg, nicht bloß schweigen zu müssen, das ist der dritte Schritt der mystischen Theologie, wie Teresa sie entfaltet, das ist die Orientierung am Wort Gottes: Hier bezieht Teresa sich auf Gen 1,37, die priesterschriftliche Schöpfungserzählung; weil der Mensch, so die Schrift, nach dem Bilde Gottes geschaffen ist, ist Sprechen von dem, was ihr Anliegen ist – die Begegnung von Gott und Mensch im Tiefengrund der Seele – möglich, auch wenn es „kaum faßbar“ erscheint. Gott ist je größer, aber weil sich die Größe Gottes – in aller Paradoxalität – im Menschen spiegelt und gerade dies wiederum die Größe des Menschen ausmacht, ist der Weg der Selbsterkenntnis, der Erforschung der Räume der Seele ein Weg, von diesem „kaum Fassbaren“ zu sprechen.
Das ist für Teresa – so wie sie ihr Schreiben immer mit der „Erfahrung“ in Verbindung bringt – aus der Begegnung mit Gott erwachsen, es ist nicht ihre „Einbildung“, sondern eine Selbsterkenntnis, die in der Gottebenbildlichkeit des Menschen gründet, in Gottes Wort, das Erfah¬rung der „Geschöpflichkeit“ des Menschen ist. Die Größe Gottes wird gerade daran sichtbar, dass er dem Menschen den Weg zur Selbsterkenntnis eröffnet.
„Wem die Erkenntnis der Möglichkeit, daß Gott diese Gnade (M.E. der Gott-Einung, der Selbst- und Gotteserkenntnis) hier in der Verbannung uns erweist, schaden sollte, dem müßte es – davon bin ich fest überzeugt – sehr an Demut und Nächstenliebe fehlen. Denn wie sollten wir uns sonst nicht darüber freuen, daß Gott diese Gnaden einem unserer Brüder erweist (was ihn ja nicht hindert, sie auch uns zu zeigen) und daß Seine Majestät ihre Größe offenbart, an wem sie nun will? Manchmal wird der Herr es ja allein zu dem einen Zwecke tun, seine Größe sichtbar zu machen… Er tut es also nicht, weil diejenigen, denen er solche Gnaden erweist, heiliger wären als die anderen, denen er sie nicht erweist, sondern darum, daß man seine Größe erkenne (wie wir es am heiligen Paulus und an der Magdalene sehen) und daß wir ihn preisen in seinen Geschöpfen.“ (M I 1, 23)
Die weitere Entfaltung des Textes und der Weg durch die sieben „moradas“ mit ihren vielen Gemächern, Gärten, Wegen ist von dieser hier nur kurz skizzierten Grundspannung geprägt – es ist ein Weg der Erkenntnis (von Selbst- und Gotteserkenntnis), in den – so das Kennzeichen mystischer Theologie – das Wissen um die Unfassbarkeit des Erkannten eingeschrieben ist.
Der Aufbau des Werkes – die sieben „moradas“
„Denken wir uns also, daß diese Burg – wie ich schon gesagt habe – viele Wohnungen hat, von denen einige oben gelegen sind, andere unten und wieder andere seitwärts, und daß sie ganz innen, in der Mitte all dieser Wohnungen die allerwichtigste birgt: jene, wo die tief geheimnisvollen Dinge zwischen Gott und der Seele vor sich gehen. Es ist nötig, daß ihr auf dieses Gleichnis achtet. So Gott will, kann ich euch damit etwas von den Gnaden verständlich machen, die Gott nach seinem Belieben den Seelen verleiht, und von den Unterschieden, die zwischen ihnen bestehen (sowie dies nach meinem Verständnis möglich ist; denn alle zu verstehen, vermag niemand, so mannigfaltig sind sie; und schon gar nicht jemand, der so armselig ist wie ich).“ (M 1 1, 22)
Die „innere Burg“, die Seele, so Teresa, hat viele Wohnungen, dem, der in sie eintritt, sich abwendet von allen möglichen Zerstreuungen und Zerrissenheiten, eröffnet sich ein weiter Raum unterschiedlicher Gemächer, in deren Innerem Gott selbst wohnt.
„Wenn es unserem Herrn gefällt, sich der Qualen zu erbarmen, die diese Seele, welche er schon geistlich zu seiner Braut gemacht hat, erlitt und erleidet, so führt er sie, bevor die geistliche Ehe geschlossen wird, in seine eigene, das heißt in diese siebte Wohnung; denn wie er im Himmel seine Wohnstatt hat, so muß er wohl auch in der Seele eine Stätte haben, wo nur Seine Majestät weilt, also gleichsam einen zweiten Himmel. Es ist nämlich sehr wichtig, Schwestern, daß wir die Seele nicht für etwas Dunkles halten … und nicht meinen, in unserer Seele herrsche eine Art Finsternis… Eine solche Seele ist nichts Enges, Eingepferchtes, sondern eine innere Welt, die so viele und so schöne Gemächer birgt, wie ihr gesehen habt. Und das ist nur recht und angemessen; denn in der Mitte dieser Seele ist eine Wohnung für Gott.“ (M 7,1, 189 f)
Im Unterschied zur Mystik eines Gregor von Nyssa und eines Pseudo-Dionysius Areopagita, dessen Werk Francisco de Osuna zu seinem „Tercer Abecedario espiritual“ angeregt hat, beschreibt Teresa keinen – neuplatonisch-strukturierten – Weg des „Aufstiegs“. Die Seele kann in den verschiedenen Räumen „umherschweifen“, kann immer wieder neu Wohnungen und Gemächer betreten, in denen sie sich schon aufgehalten hat, kann von weltlichen Ehren und Zer¬streuungen wieder angelockt werden und sich am Burggraben aufhalten. Das betrifft vor allem die ersten vier Wohnungen, in denen sie die Zerrissenheit des Menschen beschreibt (erste Wohnungen) und wie dieser sich befreien kann von den „Sorgen“ der Welt. Dazu ist es notwendig, sich für Gott zu öffnen, auf seinen Ruf zu hören (zweite Wohnungen), auf ihn, der „nicht aufhört, uns wieder und wieder zu rufen, damit wir ihn finden“; er ist der „wahre Liebhaber, der die Seele nie verlässt, sie treu begleitet, ihr Leben und Wesen schenkt“ . Für den Men¬schen bedeutet dies das Einüben von Demut, nur so kann der Kampf der Seelen¬kräf¬te – das Streiten der Tugenden mit Hochmut, Arroganz, Anmaßung, Stolz und Selbstzufriedenheit – entschieden werden.
Der Weg durch die „moradas“ ist dabei kein „theoretischer“, der Weg dieser „Erkenntnis“ ist vor allem durch die Praxis des Gebetes angeleitet. In den vierten Wohnungen wird Teresa auf die Gebetspraktiken eingehen, sie führt ein in ihre Interpretation des „inneren Gebetes“, wie sie es in der Lektüre Osunas gelernt hat. Die vierte Wohnung steht am Wendepunkt des Buches. Setzen die ersten drei Wohnungen bei der Seele und ihrem Antrieb zur Selbsterkenntnis an, so verlagert sich die Dynamik der letzten drei „moradas“ auf Gott selbst, der die Seele anzieht, zu sich zieht und mit dem sich die Seele – im Inneren der Burg, im „Paradiesgärtlein“ – vereint. Die letzten drei „moradas“ stehen für unterschiedliche Intensitätsgrade der Liebesbegegnung zwischen Gott und der Seele, Teresa selbst bringt den Vergleich des Verliebt- und Verlobtseins (so die fünften und sechsten Wohnungen) und der „mystischen Hochzeit“ (die siebten „moradas“). Diese „Abfolge von sieben ´Wohnungen´“ „sind sieben Stufen des Gebetes, welche der Seele zugedacht sind, von denen die vier letzten Stufen das passive oder beschauliche Gebet bedeuten. Es erhebt sich vom Gebet der Sammlung zu dem der Vereinigung und findet sein Ziel schließlich im Gebet der Verzückung und der sogenannten mystischen Vermählung,“ in der sie die Erfahrung der Gegenwart Gottes macht, ein „Schauen“, das nicht körperhaftes oder bildliches Schauen ist, sondern das Geschenk einer letztlich „unfassbaren“, Geheimnis bleibenden Gegenwart des dreifaltigen Gottes.
„In der allerinnersten Mitte, ganz unten, in einer Tiefe, die sie nicht beschreiben kann, weil sie unwissend ist, fühlt sie in sich diese göttliche Gesellschaft.“ „Nachdem sie durch eine Verstandesschau in jene Wohnung geführt worden ist, zeigt sich ihr – gleichsam als Darstellung der Wahrheit – die Heilige Trinität, in allen drei Gestalten, mit einer Entflammung, die zuerst wie eine Wolke höchster Klarheit vor ihren Geist kommt. Und durch eine wundersame Wahrnehmung, die der Seele zuteil wird, begreift sie, daß all die drei Gestalten gewißlich und wahrhaftig ein Wesen sind und eine Macht und ein Wissen und ein einziger Gott. Was wir im Glauben festhalten, erkennt die Seele dort – so können wir sagen – im Schauen, obwohl dies kein Schauen mit den Augen des Körpers oder der Seele ist, da es sich um keine bildhafte Vision handelt. Hier teilen sich ihr all die drei Personen mit, reden zu ihr und erläutern ihr jene Worte des Herrn, die im Evangelium stehen: Er und der Vater und der Heilige Geist würden kommen, um bei der Seele zu wohnen, die ihn liebt und seine Gebote hält.“ (M 7,1, 191/2)
Um in das Innerste der Burg zu „gelangen“ – wobei dieses „Gelangen“ ein von Gott Angezogenwerden ist –, ist es entscheidend, was Teresa am Wendepunkt des Buches, in den vierten „moradas“ deutlich macht, sich ganz Gott zu überlassen, allen „Eigensinn“ abzulegen. „Wir sollen vielmehr die Seele den Händen Gottes überlassen – mag er mit ihr machen, was er will –, so sorglos und unbekümmert um ihren Vorteil, wie wir nur immer sein können, und völlig ergeben in den Willen Gottes.“ (M 4, 3, 75) – so der Aufruf im dritten Gemach der vierten Wohnungen.
„Für Gott ist es das Wichtigste und Erfreulichste, daß wir uns seiner Ehre und Herrlichkeit erinnern und uns selbst, unseren Vorteil, was wir geschenkt bekommen und an Wonnen erfahren mögen, vergessen. Denn wir kann der sich selber vergessen haben, der vor lauter Sorge sich nicht zu rühren wagt und seinem Verstand und seinen Wünschen es nicht erlaubt, daß sie sich regen und nach der höheren Ehre Gottes sich sehnen oder sich an seiner sichtbaren Glorie freuen? Wenn Seine Majestät will, daß der Verstand von seinem Tun abläßt, so beansprucht er ihn auf andere Weise und schenkt der Erkenntnis eine Erleuchtung, die so erhaben ist über das, was wir von uns aus zu erreichen vermögen, daß der Verstand hingerissen verharrt. Und da erfährt er, ohne zu wissen wie, eine Unterweisung, die sehr viel besser ist als alles, was er mit seinem Eifer, der ihn nur immer tiefer in die Verlorenheit stürzt, je erlangen könnte.“ (M 4, 3, 75)
Das Erschließen der weiten und vielfältigen Räume der Seele, ihrer Gemächer, Gärten, Wege, ist ein Prozess der Selbst-Erkenntnis; er kann dabei in der Tiefe – und hier ist Teresa einem Martin Luther nah – nichts anderes als „Gabe Gottes“ sein. Gott ist der, der von Anfang an den Menschen an sich zieht; es ist Gottes Sehnsucht nach dem Menschen, die diesen auf Gott hin aufbrechen lässt. Hier steht Teresa – genauso wie Luther – auf dem Grund der christlichen Gnadenlehre, wie sie die Kirchenväter – sei es Origenes oder Augustinus – auf dem Hintergrund der Schrifttexte entfaltet haben. „Sólo Dios basta“, „sola gratia“, auch der Beginn des Glaubens – so die Entscheidung der Synode von Orange (529) in der Auseinandersetzung zwischen dem augustinischen und pelagianischen Ansatz in der Gnadenlehre – ist Gnade. In einer solchen Seele lebt Christus, wie Paulus es in Gal 2,20 formuliert hat; das ist der „fröhliche Wechsel“, von dem Luther spricht , das ist, um das Bild von Teresa aufzugreifen, die Seidenraupe, die sich zum Schmetterling entwickelt und in Gott hinein stirbt (M 7,3, 200).
„Vielleicht ist es dies, was der heilige Paulus mit den Worten meint: ´Wer sich dem Herrn nähert und an ihn sich hängt, der wird eines Geistes mit ihm.´ Damit spielt er wohl auf diese erhabene Vermählung an, die voraussetzt, daß Seine Majestät durch eine Vereinigung zur Seele gekommen ist. Auch sagt er: ´Mihi vivere Christus est, mori lucrum.´ Genau dasselbe kann meiner Meinung nach hier die Seele sprechen; denn das ist der Ort, wo der kleine Falter, von dem wir gesprochen haben, stirbt, und dies in höchster Wonne, weil sein Leben nunmehr Christus ist.“ (M 7, 1, 196)
Dieser Prozess der Selbsterkenntnis ist darin – in der Erfahrung der Einung mit Jesus Christus – Gotteserkenntnis, höchster Vollzug der „vita contemplativa“. Das ist für Teresa eingebettet in die Praxis des Gebets, Stundengebet, Gottesdienst, Meditation, was ihrem Leben als Karmelitin die Struktur gegeben hat, und vor allem verwirklicht in einem höchst aktiven Leben – ihr Einsatz für die Reform des Karmelordens, die Neugründungen von Frauen- und Männer¬klöstern ist die „Kehrseite“ ihres geistlichen Prozesses, „vita contemplativa“ und „vita activa“ berühren sich hier. „Es ist mein Wunsch“, so schreibt sie am Schluss der „Moradas del castillo interior“ (M 7, 4, 212), daß wir danach streben, so weit zu gelangen, und dies nicht, um zu genießen. Nein, wir wollen es herbeisehnen und uns dem Gebet hingeben, um diese Kräfte für den Dienst zu empfangen.“ Und dann bezieht sie sich auf das von ihr mehrfach interpretierte Gleichnis von Maria und Martha (Lk 10,38-42): „Glaubt mir, Martha und Maria müssen beisammen sein, um den Herrn beherbergen zu können und ihn immer bei sich zu behalten; sonst wird er schlecht bewirtet sein und ohne Speise bleiben. Wie hätte Maria, die immer zu seinen Füßen saß, ihm etwas zu essen gegeben, wenn die Schwester ihr nicht beigesprungen wäre?“ „Ich sage es nochmals: allein mit Gebet und Beschauung könnt ihr eurer Fundament nicht legen. Wenn ihr nicht nach Tugenden trachtet und euch nicht tätig darin übt, werdet ihr immer Zwerge bleiben. Ja, Gott gebe, daß dann das Wachsen nimmer stockt; denn ihr wißt doch: Wer nicht wächst, schrumpft ein. Ich halte es für unmöglich, daß die Liebe sich damit begnügt, ständig auf der Stelle zu treten.“ (M 7,4, 211)
Das innere Gebet – die Entdeckung einer modernen Gestalt (weiblicher) Subjektivität
Die Praxis des „inneren Gebetes“ war in Teresas Zeit zutiefst umstritten, die Inquisition verfolgte die sog. Alumbrados, die „Erleuchteten“, die aus der Freiheit dieses Gebetes und einer unmittelbaren Gottesbeziehung sich von der Autorität der katholischen Kirche lösten und die sakramentale und kirchliche Vermittlung des Glaubens anfragten. Die hier gelebte Gestalt der Gott-Einung, Erfahrung von Subjektivität und Freiheit bettet den Weg der „vita contemplativa“ nicht ein in die „vita activa“, blendet Geschichte und Leiblichkeit aus, ein Weg der „Erkenntnis“, nicht der Erfahrung, wie Teresa ihn in der „inneren Burg“ vorschlägt.
Das Gebet ist für Teresa der Weg zu innerer und äußerer Freiheit, in der sich Selbst- und Gotteserkenntnis verbinden. Es ist ein Weg vom Außen zum Innen, hin zu einer Wohnung, einem „Diamant“ gleich, auf dem die Seele sich immer mehr als „verdankt“ erfährt, angezogen von Gott. Das was sie „ist“, ist Geschenk eines an¬deren, ereignet sich aus der Tiefe der Gottbegegnung, die Begegnung mit dem Freund und Liebeseinung ist. Das „Selbst“ – um Ricoeurs Formulierung aufzugreifen -, ist „comme un autre“; Identität, Subjektwerdung ereignet sich in den unterschiedlichen Vollzügen, in denen das „Selbst“ steht, die in der Tiefe aus der Gottesbegegnung erwachsen und sich an ihr orientieren. „Sólo Dios basta“ – das ist nicht ein Ausklammern der Wirklichkeit, sondern ein Betrachtung der Wirklichkeit „coram Deo“.
Die „Moradas del castillo interior“ sind eine Metapher für die weiten Räume der Seele, sie sind „Anleitung“ zum Gebet, ein biographischer Text, erwachsen aus Teresas eigener Erfahrung, aber sie sind gewiss nicht bloße „spirituelle Ratgeber“ für die Schwestern¬kom¬munität, sondern Gestaltwerdung einer modernen mystischen Theologie. Teresa geht es in ihr zu¬nächst darum – und darin ist sie Vorläuferin einer anthropologisch gewendeten, biographieorientierten und erfahrungsbezogenen Theologie, wie sie erst im 20. Jahrhundert in der Schule des transzendentaltheologischen Ansatzes Karl Rahner wachsen wird -, die „Seele“ des Menschen zu erkunden. Sich die und der Seele zu vergegenwärtigen, das ist über das Gebet möglich. Die „innere Burg“ – und auch die anderen Schriften Teresas – sind immer wieder neue Versuche, das, was Gebet ist, zu beschreiben. Im Gebet stellt sich der Mensch vor Gott, erkennt er an, dass er Geschöpf ist. Die verschiedenen „moradas“ entsprechen dabei unterschiedlichen Weisen des Gebetes, sie führen vom „äußeren“ („mündlich gesprochenen“) zum „inneren“ Gebet. Teresa achtet das gesprochene Gebet nicht gering – wie könnte sie auch, ist es doch strukturierendes Moment ihres Lebens als Ordensfrau –, aber um sich der Seele zu vergegenwärtigen, ist der Weg von den gesprochenen Worten zu denen im Inneren der Seele von Bedeutung, Worten, die nicht mehr aus ihr selbst stammen, sondern „wie aus einer Tiefe“ kommen, „noch weiter innen“ (M 4,2, 68). Im vierten Buch der „moradas“ verwendet Teresa zwei verschiedene Bilder eines Brunnens, um den Unter¬schied zwischen dem „äußeren“ und „inneren“ Gebet zu verdeutlichen.
„Bei dem einen kommt das Wasser von weither durch viele Röhren, mittels kunstvoller Vorrichtungen; das andere aber ist unmittelbar dort erbaut, wo das Wasser entspringt, und es füllt sich völlig lautlos.“ (67) Das Wasser, das durch Röhren hergeleitet wird – und so das Gebet, für das viele Übungen aufgebracht werden -, bringt Nutzen, das Wasser, das „unmittelbar vom Quellort… nämlich von Gott“ zuströme, bewirkt dagegen „Freuden und Wonnen“. „Dieses Wasser quillt… friedvoll und mit größter Ruhe und Sanftheit aus dem tiefsten Inneren unseres eigenen Wesens empor – ich weiß weder wo noch wie… Dieses Wasser läuft über und durchströmt alle Wohnungen und Seelenkräfte, bis es zum Körper gelangt. Darum sagte ich, daß es in Gott beginnt und in uns endet; denn wirklich, der ganze äußere Mensch genießt dieses Wohlgefühl und diese Sanftheit, wie derjenige wissen wird, der es erfahren hat.“ (68) „Es scheint also, daß das himmlische Wasser jener Quelle, von der ich sprach, wenn es der Tiefe unseres Wesens entquillt, sich ausbreitet, unser ganzes Inneres ausweitet und vielerlei Güter hervorbringt, die sich nicht nennen lassen. Nicht einmal die Seele kann verstehen, was es ist, das ihr da geschenkt wird. … Denn es gehört nicht mehr zu dem, was man sich einbilden kann. Wir mögen uns noch so sehr anstrengen, so können wir es doch nicht erlangen. Und an eben dieser Tatsache ist zu sehen, daß es nicht von unserem Metalle ist, sondern aus jenem allerreinsten Gold der göttlichen Weisheit.“ (M 4,2, 69)
In diesem inneren Gebet bzw. dem Gebet der inneren Sammlung erkennt sich die Seele als von Gott erkannt; wenn sie sich im Gebet selbst vergegenwärtigt, wird Gott in ihr gegenwärtig. „Doch… ich habe den Eindruck“, so Teresa, „daß es (M.E. dieses Gebet) etwas ist, das nicht im Herzen entspringt, sondern anderswo, noch weiter innen, wie aus einer Tiefe. Ich nehme an, daß es im Zentrum der Seele sein… Denn wahrlich, ich sehe Geheimnisse in uns selbst, die mich oft erschreckt haben… Oh, mein Herr und mein Gott, wie groß ist Deine Herrlichkeit.“ (M 4,2, 68) Damit bereitet sie den Weg zum Gebet der Beschauung vor und damit die – sich in unterschiedlichen Schritten in den fünften, sechsten und siebten Wohnungen vollziehende – Einung mit Gott. Ihr Gebet, wenn es Worte sind, ist Antwort auf den, der sie anredet, wenn sie betet, betet Gott in ihr.
Die „Moradas del castillo interior“ sind faszinierender Ausdruck einer modernen Gestalt der Mystik, sie geben Zeugnis von einem Weg der Subjektwerdung, auf dem sich ein modernes „Ich“ meldet. Teresa erfährt sich als „Subjekt“, als „Selbst“, das Identität gewinnt über den anderen, in der Gottes- und Christusbegegnung. „Für Teresa von Avila“, so der spanische Philosophiehistoriker Pedro Cerezo Galán, „konstituiert sich das Subjekt in der dialogischen Beziehung mit dem absoluten Anderen“; „Gott selbst ist das Subjekt der Erfahrung, die die Seele mit Ihm hat, und sie ordnet sich dieser unter. In einer zirkulären Beziehung realisiert das theresianische Subjekt die unendliche Erfahrung seiner selbst in Gott und findet die Gotteserfahrung in sich selbst. Diese dialogische oder kommunikative Zirkularität ist das charakteristische Siegel der Mystik Kastiliens.“ Damit geht Teresa weit über das über 50 Jahre später formulierte „cogito ergo sum“ eines Descartes und andere moderne Gestalten der Subjektphilosophie hinaus, sie entwirft eine Gestalt der Sub¬jektivität, die sich über die Alterität konstituiert, ein Prozess, den erst die Phänomeno¬logie des 20. Jahrhunderts erschließen wird. Das ist für Teresa jedoch nicht philosophische „Spekulation“, sondern auf dem Hintergrund ihres Weges als Karmelitin im Kloster der Menschwerdung in Avila gewachsen. Der „Andere“ hat für Teresa ein „Gesicht“, es ist nicht das bildlose Gott-Erkennen der „Alumbrados“ , sondern eingebettet in die Christusbegegnung und die Erfahrung Jesu als „Freund“ und Weggefährte in der Vielfalt ihrer Begegnungsgeschichten. Die mystische Theologie Teresas ist nicht ohne diese Christozentrik zu verstehen. Teresa bleibt hier ihrem Berufungsweg treu, sie ist in den Karmel der Menschwerdung in Avila eingetreten, die Inkarnation Gottes, dass er, Gott, sich ganz klein gemacht hat, um den Menschen groß zu machen, das ist Zentrum dieser Spiritualität, und wenn sie dann über 20 Jahre später das erste Kloster der Reform San José nennt, so ist darin auch die Kindheitsgeschichte Jesu erinnert. Die Begegnung mit dem Gekreuzigten, dem Gegeißelten, wird zum Wendepunkt ihres geistlichen Weges und der Verdichtung ihres eigenen Weges des „inneren Gebetes“: „Bisher habe ich mein Leben geführt, ab jetzt darf ich wohl sagen, dass das Leben Gottes in mir ist.“ „Ich befliß mich, so gut ich konnte, Jesus Christus, unser höchstes Gut und unsern Herrn, in mir zu vergegenwärtigen; dies war meine Weise innerlich zu beten. Wenn ich irgend ein Geheimnis des Leidens Christi betrachtete, so stellt ich es mir in meinem Innern vor…“ Es ging Teresa darum, sich in den Dienst der Liebe des menschgewordenen Gottes zu begeben, auf dem Wege des Gebetes dem zu folgen, „der uns so sehr geliebt hat“ . Sie erfährt Jesus als ihren Freund und Begleiter. Das innere Beten charakterisiert sie so an anderer Stelle – in ihrer Lebensbeschreibung „Vida“ – als „Verweilen bei einem Freund, mit dem wir oft allein zusammenkommen, einfach um bei ihm zu sein, weil wir wissen, daß er uns liebt. Und sei es auch, daß ihr ihn noch nicht liebt.“ Das moderne Subjekt konstituiert sich – mit Teresa gesprochen – in dieser Begegnung der Freundschaft, die höchster Vollzug der „vita contemplativa“ ist, sich aber darin gerade auch in der „vita activa“ realisiert, in einem Einsatz für ein „gutes Leben“, wie wir heute mit Ricoeur formulieren würden. Der höchste Selbstvollzug dieses Subjektes ist das Gebet, aber darin ist es auch „Praxis“. In der sehr konkreten Sprachform Teresas, ein Wort an ihre Mitschwestern: „Wenn ihr verpflichtet seid, ´äußere´ Aufgaben zu übernehmen, so bedenkt, dass euch der Herr auch in der Küche inmitten der Kochtöpfe nahe ist und euch sowohl innerlich wie äußerlich beisteht.“
3. Die bleibende Aktualität der „Moradas del castillo interior“ – ein Versuch der „Übersetzung“ in das „säkulare Zeitalter“ (Charles Taylor)
Abschließend möchte ich – eher ausblickend – eine „Übersetzung“ in unsere Zeit versuchen: Indem Teresa die weiten Räume der Seele erkundet, deckt sie den Kern der Gottebenbildlichkeit des Menschen auf, sie entdeckt das, was unverfügbar ist im Menschen, was Kern der Menschenwürde ist. Dem Menschen steht nicht – und das ist provokativ in Zeiten sich verschärfender Debatten um Lebensanfang und Lebensende (so die Debatten um Selbsttötung und die aktive Euthanasie – die letzte Verfügbarkeit über sein Leben zu. Das Leben ist – im Letzten – unverfügbar. Weiter kann ein philosophischer Diskurs nicht gehen, aber der theologische: Teresa erschließt diese Unverfügbarkeit mit der „Größe“ und „Fähigkeit“ des Menschen, „antworten“ zu können auf das Geheimnis und den Tiefengrund der Wirklichkeit, auf den unfassbaren und Geheimnis bleibenden Gott, dessen Größe und Ehre aber genau der Mensch ist, den er – Gott – liebt und der – also dieser Mensch – aus dieser Liebe Gott selbst lieben kann. Der Fundamentaltheologe Thomas Pröpper arbeitet in seiner „Theologischen Anthropologie“ die Gottebenbildlichkeit als Wesensmerkmal des Menschen heraus; diese zeigt sich genau in der Ansprechbarkeit des Menschen für Gott: „Gottes Zuwendung qualifiziert ihn unausweichlich zu einem antwortenden Wesen. Der Mensch existiert vor Gott (coram Deo) und als Antwort auf Gottes anrufendes Wort. Das ist die Grundauskunft biblischer Anthropologie…“ Gottebenbildlichkeit, das bedeutet, „… daß der Mensch zumindest insofern sich selbst entzogen ist, als er nicht von sich selbst her und nicht von innen heraus, sondern nur vom anderen seiner selbst her, also von außerhalb seiner zum ´ganzen Menschen´ werden und die reale Identität finden kann, auf die er doch angelegt ist.“ Das ist – ca. 450 Jahre später – nichts anderes, als was Teresa auf dem Weg durch die „Moradas del castillo interior“ erschließt. Gerade darum ist Teresa so modern, gerade darum ist ihr Text ein Schlüsseltext der frühen Moderne und wegweisend auch für unsere Zeit. Hier sind Grundlagen des gemeinsamen christlichen Erbes zusammengefasst, das heute, in den Jahren des Gedenkens an 500 Jahre Reformation, zu erinnern sind – darum kann Teresa, wenn sie aus den vielen Bildern befreit wird, die von ihr gemacht wurden, auch als „ökumenische Heilige“ und gemeinsame Kirchenlehrerin – der Titel, den ihr Paul VI. 1970 verliehen hat – verstanden werden. Thomas Pröpper bezieht sich in dieser Interpretation der Gottebenbildlichkeit auch auf den evangelischen Theologen Gerhard Ebeling: „Das Sein des Mensch als des Ebenbildes Gottes gründet im Gegenübersein Gottes und kann deshalb nur als Sein des Menschen vor Gott erfaßt werden.“ „Er ist eben darin Ebenbild Gottes, daß er als Geschöpf dem Schöpfer entspricht und … in allem Gott ehrt, anstatt für irgendetwas oder auch für das Ganze oder gar für sich selbst die Ehre in Anspruch zu nehmen, die allein Gott gebührt…“ Wenn das Gebet das Wesen des Lebens von Teresa ausmacht, so drückt sich hier genau dies aus. Die „Moradas del castillo interior“ sind ein reifer und faszinierender Ausdruck mystischer Theologie, ein Schlüsseltext der frühen Neuzeit in Europa, in dem zum Ausdruck kommt, was „Kern“ der Menschenwürde und der letzten Unverfügbarkeit menschlichen Lebens ist. Sie sind aber auch ein Dokument, das in den Diskursen der globalen Welt und einem „säkularen Zeitalter“ – um an Charles Taylor anzuknüpfen – im Gespräch der Religionen einzuspeisen ist, als Ausdruck des Ringens um einen „inklusiven Humanismus“ in einer säkularisierten Welt. Die Seele ist der weite Raum – in der Vielfalt ihrer Woh¬nungen, Gemächer, Gärten und Wege -, in dem entdeckt werden kann, dass die Seele in der Tiefe „Antwort“ ist, Antwort auf einen „Größeren“, dem sie sich verdankt weiss, und der ihr ein solches Verhältnis zur Welt ermöglicht, das im Dienst der „Menschwerdung“ – eines inklusiven Humanismus und eines „guten Lebens“, von Menschenwürde und Menschen¬gerechtigkeit – steht.
Die Liebe hat in meinem Wesen
Dich abgebildet treu und klar;
kein Maler lässt so wunderbar,
o Seele, deine Züge lesen.
Hat doch die Liebe dich erkoren
Als meines Herzens schönste Zier:
Bist du verirrt, bist du verloren,
o Seele, suche dich in mir.
In meines Herzens Tiefe trage
ich dein Porträt, so echt gemalt;
sähst du, wie es vor Leben strahlt,
verstummte jede bange Frage.
Und wenn dein Sehnen mich nicht findet,
dann such nicht dort und such nicht hier:
Gedenk, was dich im Tiefsten bindet,
und, Seele, suche mich in dir.
Bildquelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Teresa_von_%C3%81vila