Die wissenschaftliche Gemeinschaft betrauert den Tod einer der Nestorinnen historisch-theologischer Frauenforschung: Elisabeth Gössmann verstarb am 1. Mai. Von Irmtraud Fischer.
Elisabeth Gössmann studierte von 1947-52 Katholische Theologie an der Universität Münster und promovierte 1954 in München mit der Arbeit Die Verkündigung an Maria im dogmatischen Verständnis des Mittelalters bei Michael Schmaus, als dessen Schülerin sie sich lebenslang verstand. Die Habilitation wurde ihr 1963 verweigert, da Laienhabilitationen nicht erlaubt wurden. Erst 1978 gelang ihr die Habilitation an der philosophischen Fakultät in München.
Diese verweigerte Karriere prägte ihr Selbstverständnis. So schreibt sie in ihren Memoiren „Wie des öfteren betont, schließt bei mir der berufliche Werdegang, man kann auch sagen, die Nicht-Karriere im eigenen Land, Probleme ein, die wie Stolpersteine auf einem Hindernislauf sind. Das ist vielleicht typisch für die Situation einer Frau, die bemüht ist, sich in einen neuen Lebens- und Arbeitsbereich zu integrieren, und insofern ein Wiederholungsfall. Wenn es nicht zu hoch gegriffen ist, so spiegelt mein Fall aber auch einen Abschnitt deutscher Universitätsgeschichte.“ (Geburtsfehler: Weiblich. Lebenserinnerungen einer katholischen Theologin, München 2003, 9.)
Elisabeth Gössmann musste für ihre Professur nach Japan gehen, wo sie ab 1955 teils sogar in Japanisch lehrte und – nachdem alle Rückkehrversuche auf eine Professur nach Deutschland gescheitert waren – an der Abteilung für Westliche Philosophie der Seishin-Universität in Tokyo bis zu ihrer Pensionierung forschte.
Ihr zentrales Lebenswerk hat sie in dem von ihr gegründeten Archiv für philosophie- und theologiegeschichtliche Frauenforschung hinterlassen. Diese Forschungen stellen einen Meilenstein der historischen Frauenforschung dar und zeigen auf, wie viel Material noch zu bearbeiten ist und was der herkömmlichen Geschichtsschreibung komplett fehlte. Als Mediävistin, deren Werk einer archäologischen Grabung gleichkommt, setzte sie sich immer wieder mit misogynen theologischen Konzepten auseinander, die letztlich auch ihr eigenes Schicksal bestimmten.
Dabei ging es der Wissenschaftlerin Elisabeth Gössmann nie nur darum, eine Kompensationsgeschichte zu schreiben. Es ging ihr immer auch um die kritische Beurteilung und Neudeutung der Quellen, wie sie etwa in ihrem Werk Mulier Papa zur Rezeptionsgeschichte der Päpstin Johanna (Mulier Papa. Der Skandal eines weiblichen Papstes. Zur Rezeptionsgeschichte der Gestalt der Päpstin Johanna, Archiv für philosophie- und theologiegeschichtliche Frauenforschung 5, München 1994) in Bezug auf die Traditionen um die Päpstin Johanna anschaulich zum Ausdruck kommt.
Elisabeth Gössmann bleibt dabei keineswegs bei mittelalterlichen Dokumenten stehen, sondern setzt sich mit Rezeptionen bis in die Gegenwart auseinander. So hat sie etwa die unkritische Rezeption des auflagenstarken Romans von Donna Cross zur Figur der Päpstin durch das deutsche Publikum „erschreckt“. Ein weiteres einflussreiches Projekt, in das sie viel Herzblut legte, war das 1991 u.a. von ihr herausgegebene Wörterbuch der feministischen Theologie im Gütersloher Verlag, das damals ein erstes Resümee der theologischen Frauenforschung darstellte.
Die deutschsprachige universitäre Theologie, die ihr die Früchte ihrer Arbeit vorenthalten hat, indem sie ihr die Annahme einer qualitativ exzellenten Habilitationsschrift an theologischen Fakultäten aus sachfremden Gründen wegen des „Geburtsfehlers weiblich“ verweigerte und ihr in mehr als dreißig Bewerbungsverfahren eine Absage erteilt wurde, erwies ihr in Anerkennung ihrer wissenschaftlichen Verdienste allerdings mehrfach späte Ehren. Sie wurde mit fünf Ehrendoktoraten dekoriert (1985 zur 400-Jahr Feier der Universität Graz; 1994 Universität Frankfurt; 2003 Universität Bamberg und Universität Luzern; 2017 an der Universität ihres Geburtsortes Osnabrück). Die deutschsprachige universitäre Theologie tat damit das, was nach ihren eigenen Worten die schließlich an der Philosophischen Fakultät erfolgte Habilitation im späten Jahr 1978 getan hat: Es war nicht nur eine Habilitation, sondern eine Re-Habilitation (siehe: Geburtsfehler: weiblich, 351)
Die Festschrift, die man ihr zum 65. Geburtstag überreicht hat, trägt den für ihr Leben und Werk bezeichnenden Titel „Theologie zwischen Zeiten und Kontinenten“ (Schneider, Theodor/Schüngel-Straumann, Helen, Hg., Theologie zwischen Zeiten und Kontinenten, Festschrift für Elisabeth Gössmann, Freiburg u.a. 1993). Sie drückt damit sehr anschaulich das Spannungsfeld von Gössmanns Existenz aus: Zwischen der Ausbildung in Westeuropa und der Lehrtätigkeit im äußersten Osten Asiens, von der vorkonziliaren Theologie über alle Hoffnungen, die das Zweite Vatikanum in ihrer Generation entfacht hat, bis zur nachkonziliaren Ernüchterung, die in der Katholischen Kirche gerade in Frauenfragen bis heute anhält.
Die Grazer Theologische Fakultät hat zu Ehren ihrer Ehrendoktorin einen nach Elisabeth Gössmann benannten Preis für hervorragende Arbeiten zur Frauen- und Geschlechterforschung gestiftet. Er ist gerade als Jubiläumspreis anlässlich des 25-jährigen Bestehens des fakultären Forschungsschwerpunkts Frauen- und Geschlechterstudien ausgeschrieben. Mit der Überreichung im Herbst wird dieser Preis durch den Tod Elisabeth Gössmanns zu einem Gedenkpreis werden, der die Erinnerung an diese große Theologin, der nicht nur die feministische Theologie viel verdankt, wachhalten wird.
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Irmtraud Fischer ist Universitätsprofessorin am Institut für Alttestamentliche Bibelwissenschaft an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Karl-Franzens-Universität Graz und Koordinatorin des fakultären Forschungsschwerpunkts Frauen- und Geschlechterstudien.
Foto: Dekanat der Kath.-Theol. Fakultät der Universität Graz