Theologie, so könnte man meinen, ist die vernünftige Rede über Gott. Von ReligionskritikerInnen, aber auch von manchen TheologInnen, wird manchmal bestritten, dass man überhaupt von Gott reden oder Gott denken könne – und dass man stattdessen über den „Begriff Gott“ nachdenken müsse, jüngst etwa von Magnus Striet. Ludger Jansen plädiert dafür, dass Striets Argument in die Irre führt: Es ist fehlschlüssig und beruht auf einer falschen Prämisse.
Darf, ja kann die Theologie über Gott nachdenken? Nein, antwortet Magnus Striet in seiner jüngsten Streitschrift „Ernstfall Freiheit“. Die Theologie müsse vielmehr, so schreibt er, „über den Begriff Gott“ nachdenken. Er hat dafür ein Argument: Theologie müsse über den Gottesbegriff nachdenken, weil Denken immer ein „Denken in Begriffen“ sei.1 In seiner Streitschrift kommt Striet immer wieder auf diese Reflexion auf die begrifflichen Grundlagen zurück. Da gibt es den Gottesbegriff, den Freiheitsbegriff, den Modernebegriff. Das ist nur konsequent: Wenn Striets Argument schlüssig ist, dann sollte man in der Tat nicht nur nicht über Gott nachdenken können, sondern auch nicht über Freiheit oder die Moderne. Doch diese Konsequenz hat Folgen, die möglicherweise nicht willkommen sind.
Anfragen an das „Denken in Begriffen“
Erstens können Striets Überlegungen auch auf andere Gebiete übertragen werden. Sein Argument ist so allgemein formuliert, dass es nicht nur die Theologie und das Nachdenken über Gott beträfe. Jegliches Denken soll ja ein „Denken in Begriffen“ sein und würde daher stets über Begriffe nachdenken. Was würde daraus etwa über die Mathematik, die Physik oder die Medizin folgen? Haben dann gar nicht Dreiecke, sondern unsere Begriffe von Dreiecken einen Innenwinkel von 180°? Ist das CERN gebaut worden, um die Begriffe der PhysikerInnen zu beschleunigen? Will die Medizin Begriffe heilen?
Kann man dann zweitens wenigstens über Begriffe nachdenken? Oder nur über den Begriff „Begriff“? Müsste die Theologie dann nicht über den Begriff „Begriff Gott“ nachdenken? Oder, willkommen im infiniten Regress, über den Begriff des Begriffes „Begriff Gott“?
Verfehlt unser Reden nicht seinen Adressaten?
Was ist drittens mit dem Reden über Gott und anderen religiösen Sprechakten? Wenn das Denken Begriffe voraussetzt, tut dies dann nicht auch das Reden? Kann überhaupt jemand über Gott reden, oder können wir nicht anders, als über den Begriff von Gott zu reden? Kann man dann Gott anreden, ihn loben, anflehen, anklagen? Sollte es der Fall sein, dass wir stattdessen den Begriff von Gott anreden, loben, anflehen oder anklagen – verfehlt unser Reden dann nicht seinen Adressaten?
Striets These, man könne nur über den Gottesbegriff, nicht aber über Gott nachdenken, könnte also unplausible Konsequenzen haben. Das gibt Anlass genug, sein Argument unter die Lupe zu nehmen. Zu prüfen ist erstens die Prämisse des Arguments: Stimmt es, dass Denken immer ein Denken in Begriffen ist? Zu prüfen ist zweitens die Logik des Arguments: Folgt aus dieser Prämisse tatsächlich, dass Theologie nur „über den Begriff von Gott“ reden kann?
Was meint das Wort „Begriff“?
Zunächst also die Prämisse, Denken sei immer ein „Denken in Begriffen“: Es ist unklar, was Striet mit dem Wort „Begriff“ meint. Ist gemeint, dass wir uns im Denken der Sprache bedienen, dass wir mithin Wörter verwenden? Oder ist damit dasjenige gemeint, was wir uns bei der Verwendung der Wörter denken, also etwas Mentales, aus unserem Geist stammendes? Aber könnten dann zwei TheologInnen denselben Begriff von Gott haben, wenn sie doch auf ihre je eigenen Vorstellungen rekurrieren müssen? Oder ist vielmehr ein abstraktes Gegenstück zu unserem Sprachgebrauch und unseren mentalen Repräsentationen gemeint, einer platonischen Idee gleich, auf das zwei TheologInnen gemeinsam Bezug nehmen könnten?
Denken kommt nicht ohne mentale Repräsentationen aus
Abhängig von der Antwort auf die Frage, was denn nun das Wort „Begriff“ bedeuten solle, kann man die Prämisse des Arguments anzweifeln. Selbst Platon hätte nicht behaupten wollen, dass jegliches Denken von einem Erfassen der abstrakten platonischen Ideen abhängt, sondern umgekehrt ist für Platon eine große Anstrengung des Denkens erforderlich, um einen Zugang zu den ewigen unveränderlichen Ideen zu erlangen, den Vorbildern und Idealen der Dinge. Denken könnte sodann auch ohne Sprache und ohne Wörter möglich sein, mithin ohne Begriffe in diesem Sinne. Die empirische Forschung zu kognitiven Leistungen von Tieren zeigt, dass Tiere auch ohne Sprache Erstaunliches zu erkennen und zu tun vermögen.2 Allerdings kommt Denken nicht ohne mentale Repräsentationen aus: In unserem Geist muss etwas vorhanden sein, damit in unserem Geist etwas vorhanden ist. Aber sollte die These darauf hinauslaufen, dass die Theologie stets nur über Begriffe in diesem Sinne nachdenkt, fragt sich, worüber TheologInnen streiten, wenn sie über Gott streiten: Ein jeder spricht dann über seinen je eigenen Gottesbegriff, seine je eigene Vorstellung von Gott, die schon aus logisch-begrifflichen Gründen niemand anderes haben kann (so wie auch niemand meine Schmerzen empfinden kann, sondern nur Schmerzen wie die meinen).
Folgt aus der Prämisse tatsächlich die Konklusion?
Prüfen wir zweitens die Logik des Arguments. Folgt aus der Prämisse, dass wir stets in Begriffen denken, tatsächlich die Konklusion, dass die Theologie nur über „den Begriff Gott“ nachdenken könne? Wenn das der Fall sein sollte, darf Striets theologiemethodische Konklusion nicht falsch sein können, wenn seine denktheoretische Prämisse wahr ist. Nehmen wir, um das zu prüfen, doch einmal an, Striets Prämisse – in welcher Lesart auch immer – würde zutreffen, und Denken wäre tatsächlich immer ein „Denken in Begriffen“. Muss Theologie dann zwingend „über den Begriff Gott“ nachdenken? Zwei Einwände drängen sich auf. Erstens ist fraglich, warum wir von einem Gottesbegriff im Singular ausgehen sollten. Gibt es dann nicht Gottesbegriffe nur im Plural? Oder gar Götterbegriffe? Zu unterschiedlich scheinen die Vorstellungen der Religionen, oder auch nur die Vorstellungen christlicher Theologie, von Gott oder den Göttern zu sein. So unterschiedlich, dass man fragen möchte: Was macht diese Vorstellungen (oder Begriffe) eigentlich alle zu Gottesvorstellungen, zu Vorstellungen von Gott (oder eben zu Begriffen von ihm)?
Begriffe sind Medium des Denkens, nicht sein ausschließlicher Gegenstand.
Verräterisch ist zweitens die Grammatik, wenn aus einem „Denken in Begriffen“ folgen soll, dass Theologie auf ein Denken „über den Begriff Gott“ beschränkt ist. Warum wechseln hier die Präpositionen? Warum sollte aus einem „in“ ein „über“ folgen? Polemisch formuliert: Warum sollte jemand, der in Freiburg nachdenkt, nur über Freiburg nachdenken können? Richtig, hier wechselt das „in“ seine Bedeutung: War es in Striets Prämisse instrumentell gemeint, habe ich es örtlich verwendet. Aber der Einwand zielt genau darauf: Wenn „Denken in Begriffen“ stattfindet, dann wird damit ein Mittel, ein Medium, des Denkens zum Ausdruck gebracht – und nicht sein Gegenstand.
Der Schluss vom Instrument auf den Gegenstand ist nicht zulässig.
Dass das Medium selbst die Botschaft ist, wie Marshall McLuhan formuliert hat, ist nur eine pointierte Übertreibung. Zweifelsohne schränkt das Medium ein, welche Botschaften formuliert werden können oder zur Übermittlung ausgewählt werden. Im Medium der Musik können wohl keine dogmatischen Aussagen formuliert und verteidigt werden. Aber auch McLuhan würde nicht bestreiten, dass mediale Aussagen einen Gegenstand haben können, der von ihnen verschieden ist. Das Denkinstrument oder -medium beeinflusst die Auswahl der Denkgegenstände, es ist aber nicht selbst Gegenstand. Der Schluss vom Instrument („in Begriffen“) auf den Gegenstand („über den Begriff Gott“) ist somit nicht zulässig. Wenn man Suppe stets mit Löffeln essen muss, folgt daraus ja auch nicht, dass man nur Löffel essen kann.
Theologie geht nicht im Nachdenken über das Wort „Gott“ auf.
Ohne Zweifel sind Begriffe – seien damit nun Wörter oder Vorstellungen gemeint – wichtig für das Denken. Keineswegs geht Theologie aber im Nachdenken über das Wort „Gott“ auf. Ebensowenig kann Theologie nur mit Hilfe des Wortes „Gott“ über Gott nachdenken. Jesaja, Origenes und Thomas von Aquin haben über Gott nachgedacht, ohne ein einziges Wort der deutschen Sprache zu beherrschen, so dass ihnen das Wort „Gott“ völlig fremd war. Freilich hatten Sie in ihrer Sprache ein jeweils äquivalentes Wort für Gott. Was diese Wörter im hier gemeinten Sinne äquivalent macht, das ist: ihre Bedeutung. Platon könnte sagen: Sie stehen für dieselbe Idee. Was wir nicht sagen können, ist aber, dass sie für dieselbe mentale Repräsentation stehen. Denn die mentalen Repräsentationen des Jesaja sind nicht die mentalen Repräsentationen von Origenes oder Thomas (so wie niemand anderes meine Schmerzen erleiden kann).
Theologie kann nur im Medium der Sprache stattfinden.
Richtig ist, dass die Theologie sich der Wörter bedienen muss. Denn die Aufgabe der Theologie ist gerade kein privates Beackern der je eigenen mentalen Vorstellungen von Gott. Theologie ist stets ein kommunikativer Zusammenhang. Es ist die Aufgabe der Theologie, Gott in dem Sinne auf den Begriff zu bringen, dass sie über ihn redet, indem sie unsere Vorstellungen von ihm expliziert in dem doppelten Sinne der Versprachlichung und der Erklärung. Tieren mögen kognitive Leistungen ohne Sprache möglich ein; Gott mag sich manchen Menschen in Theophanien zu vermitteln, die gänzlich ohne Sprache auskommen. Aber Theologie, das reflektierte Sprechen auch über einen so erschienenen Gott, kann nur im Medium der Sprache stattfinden. Eine kommunikative Öffentlichkeit würde auch in Bild und Musik hergestellt, den Medien der Kunst. Diese erlauben aber nicht die reflektierte Auseinandersetzung. Sie erlauben weder die Präzisierung von Aussagen, noch ihre argumentative Prüfung. Eine gemalte oder musizierte Dogmatik oder Fundamentaltheologie stehen daher nicht zu erwarten.
Weil Sprache für die Theologie wichtig ist, gibt es eine lange Tradition der theologischen Reflexion über das Reden von Gott. Theologie muss über die Grenzen und Möglichkeiten des Sprechens über Gott aufgeklärt sein. Auch eine Reflexion auf die kognitiven Grundlagen des menschlichen Denkens und die Beschränkungen, die endlichen Wesen beim Nachdenken über ein unendliches Wesen auferlegt sind, kann nicht schaden. Keineswegs folgt aber, dass man nicht über Gott, sondern etwa nur über den „Begriff Gott“ nachdenken und sprechen könne.
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Autor: Ludger Jansen ist Privatdozent für Philosophie an der Universität Rostock. Er vertritt derzeit den Lehrstuhl für Philosophisch-Theologische Grenzfragen an der Ruhr-Universität Bochum. Buchveröffentlichungen: Tun und Können (2. Aufl. 2016), Gruppen und Institutionen. Eine Ontologie des Sozialen (2017), Biomedizinische Ontologie (hg. mit Barry Smith, 2008), Philosophische Anthropologie in der Antike (hg. mit Christoph Jedan, 2010), Peter van Inwagen. Materialism, Free Will and God (hg. mit Paul Näger, 2018).
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