Matthias Möhring-Hesse setzt sich mit dem „Kirchenpapier“ „Unheilige Allianz“ der AfD auseinander. Er zeigt auf, wie hier rechtspopulistisch agiert wird: durch Polarisierung, fundamentalistische Bibelauslegung und Monopolisierung der Wahrheit. Eine Herausforderung für die Kirchen.
Mit dem Rechtspopulismus ist es wie mit einem Pudding, den man an die Wand zu nageln versucht: Weil fluide, weil ideologisch vage, weil institutionell flexibel, fällt es schwer, sich von dieser politischen Strömung, von deren Art und Weise, Politik zu machen, und von deren Inhalten einen genauen Begriff zu machen. Inzwischen hat sich aber bewährt, sie über die Gegenüberstellung von Volk und Elite (»Anti-Elitarismus«), den Alleinvertretungsanspruch für das als kollektives »Wir« konstruierte Volk und den Anti-Pluralismus und eben darin als Rechtspopulismus zu begreifen.
„Kritisiert wird vielmehr, dass sie, die Kirche, nicht – wie sie, die AfD, – auf der richtigen Seite der polar aufgespannten Wahrheiten steht.“
In dem Kirchenpapier »Unheilige Allianz«[1], das die Fraktion der »Alternative für Deutschland« (AfD) im Thüringer Landtag jüngst veröffentlicht hat, wird dieser Begriff vom Rechtspopulismus bestätigt. In diesem Papier zeigt sich der rechtspopulistische Anti-Elitarismus – diesmal mit dem Fokus auf »die evangelische Kirche«: Sie wird in einem »Pakt mit dem Zeitgeist und Mächtigen« gesehen. Sie verrate den christlichen Glauben und nicht zuletzt den Reformator Martin Luther. Mit dem Mächtigen paktiere »die evangelische Kirche«, weil sie korrupt ist, nämlich von den Mächtigen auf das Beste entlohnt wird. Das Papier zeigt auch den rechtspopulistischen Anti-Pluralismus: Zwar wird »der evangelischen Kirche« vorgeworfen, sie habe sich in ihrer »unheiligen Allianz« mit dem Zeitgeist und den Mächtigen nach »linksgrün« hin vereinseitigt und durch Politisierung vom Glauben entfernt. Kritisiert wird aber nicht ein »zu wenig« an Pluralität innerhalb der evangelischen Kirche. Kritisiert wird vielmehr, dass sie, die Kirche, nicht – wie sie, die AfD, – auf der richtigen Seite der polar aufgespannten Wahrheiten steht.
Die AfD ordnet die Kirchen in das feindliche Gegenüber ein.
In Deutschland – anders als in anderen europäischen Ländern – formiert sich aus den christlichen Kirchen heraus Widerspruch gegen den Rechtspopulismus, mehr noch: Die Institutionen der Kirchen, nicht zuletzt ihre Spitzen, haben sich in diesen Widerspruch, öffentlich sichtbar, eingereiht.[2] In Thüringen kommt dieser Widerspruch vor allem aus der evangelischen Kirche.[3] Mit dem Papier schlägt die AfD über ihre Erfurter Landtagsfraktion zurück – und dies über Bande: Man geht nicht in die Auseinandersetzung mit dem Widerspruch aus den Kirchen; stattdessen ordnet man die Kirchen – und in diesem Papier: »die evangelische Kirche« – in das feindliche Gegenüber zur AfD ein. Man stellt sie auf die Seite der Unwahrheit, des »rotgrün-versifften« Milieus (Jörg Meuthen) und der korrupten Volksverräter. Angriff ist bekanntlich die beste Verteidigung.
Weit greift man dazu in die Geschichte der Evangelischen Kirche zurück – bis in die Zeiten der Reformation: Von Beginn an habe sich die Kirche mit dem Zeitgeist und mit der jeweiligen Macht verbrüdert. Drei Epochen werden besonders hervorgehoben, die Kirche im Nationalsozialismus, die »Synthese von Kirche und DDR-Diktatur« (S. 10) und die Unterordnung der Kirche unter den »Iinksgrünen Doktrinarismus der Landes- und der Bundesregierungen unserer Tage« (S. 8). Immer wieder – so wird behauptet – sucht(e) »die evangelische Kirche« die Allianz mit der Macht – und wurde bzw. wird im Gegenzug durch die Mächtigen entlohnt.
Grundlegend für diese Sicht der Dinge ist eine polare Vorstellung des Politischen, dabei die einseitige Zuordnung von Macht an die Mächtigen und deren Verortung im Gegenüber zu sich selbst.
Grundlegend für diese Sicht der Dinge ist eine polare Vorstellung des Politischen, dabei die einseitige Zuordnung von Macht an die Mächtigen und deren Verortung im Gegenüber zu sich selbst. In dieses Gegenüber wird die Evangelische Kirche eingeordnet und dadurch »homogenisiert«, so zu »der evangelischen Kirche« gemacht. Ihr gegenüber sieht sich das Papier im Besitz des wahren, weil biblischen Glaubens. Für die gegenwärtige »Allianz« der Kirche mit dem linksgrünen Zeitgeist wird ausgeführt, dass die Kirche Homosexualität anerkenne, dass sie »Gender-Mainstreaming« betreibe, dass sie Migration befürworte und Migrationskritik kritisiere, dass sie vor dem menschengemachten Klimawandel warne und ein klimasensibles Vermögens- und Immobilienmanagement betreibe – und dass sie dem Rechtspopulismus im Lande und insbesondere der AfD widerspreche.
Dinge und Themen werden vermischt und verkocht, so eine unappetitliche Suppe serviert.
In ihrem historischen Rückblick, wie auch in den angesprochenen Sachfragen ist das Papier wenig informiert und wenig kompetent, daher argumentativ dürftig. Die polaren Oppositionen bekommen dem Papier nicht gut, da man alle angesprochenen Fragen in ein Gegenüber, dabei in eins und auf homogen setzt und dieses Eine dann für grundlegend unwahr und falsch erklärt. Das kann – auf den Inhalt gesehen – nicht gut gehen. Man wirft etwa »Gender-Mainstraming« und »gender study« und »Feminismus« und vieles andere durcheinander – und erfasst nichts von dem auch nur annähernd zutreffend. Die »Bibel in gerechter Sprache« wird für die »evangelische Bibelübersetzung« genommen – und an der revidierten Luther-Bibel verglichen. … Wie in diesen beiden Beispielen werden auch an allen anderen Stellen Dinge und Themen vermischt und verkocht, so eine unappetitliche Suppe serviert.
Der eigene Fundamentalismus wird auf „die Kirche“ projiziert.
Grundlegend bietet das Papier einen biblischen Fundamentalismus, fundamentalistisch in der Setzung der Bibel als Autorität in Glaubensfragen und fundamentalistisch in der autoritären Setzung der eigenen Bibeldeutung. Klar wird, dass man das Erste nicht ohne das Zweite haben kann. Mit diesem Fundamentalismus ist die in dem Papier gebotene Theologie weder theologie-, noch ist sie kirchenfähig, zumal unter den nun einmal gegebenen Bedingungen theologischer und kirchlicher Pluralität nicht. Dabei muss man die von der AfD gebotene Theologie nicht außerhalb der theologisch und kirchlich möglichen Pluralität sehen. Vielmehr ist es so: Die AfD-Theologie widersetzt sich theologischer und kirchlicher Pluralität und unterläuft damit die Geschäftsbedingungen gegenwärtiger theologischer Diskurse, aber auch der von Kirchen, die pluralen Glauben vergemeinschaften. Dass man die eigene und einzige Wahrheit an einem vermeintlichen linksgrünen Doktrinalismus hochzieht, darauf sollte man nicht hereinfallen: Wie in einer Projektion wird der eigene Fundamentalismus dem bösartigen Gegenüber zugeschrieben – und so der eigene Fundamentalismus sowohl ausgelebt als auch legitimiert.
Schwer erträglich wird für viele gestandene protestantische Christ!nnen sein, dass sich eine Landtagsfraktion der »Vogelschiss«-Partei« mit ihrem Papier in der Nachfolge der Bekennenden Kirche stellt. Das muss man theologisch vielleicht nicht sonderlich ernst nehmen, ist diese Nachfolge weniger Bekenntnis als Strategie, nämlich Ausdruck der von der AfD meisterlich beherrschten Opferumkehrung. Womöglich ermöglichen aber auch Uneindeutigkeiten und Übertreibungen im Bekenntnis der bekennenden Kirche diese strategische Nutzung, so biblischer Fundamentalismus und politischer Dualismus nicht hinreichend gut ausgeschlossen werden. Darin läge dann eine theologische Herausforderung für all diejenigen, die das Vermächtnis der Bekennenden Kirche vor dem Zugriff der in der AfD organisierten Christ!nnen bewahren möchten.
Herausfordernd ist die Art und Weise der polaren und wahrheitsmonopolisierenden Kommunikation.
Theologisch herausfordernd ist darüber hinaus, dass man dem von der AfD betriebenen Rechtspopulismus nicht über die dort (selbstverständlich) beheimateten extremen Ideologien, nicht über Menschenverachtung, Rassismus oder Antiislamismus »beikommt«. All dies spielt nämlich in dem Papier keine, zumindest keine offensichtliche Rolle. Herausfordernd ist hingegen die Art und Weise der polaren und wahrheitsmonopolisierenden Kommunikation und die diese Kommunikationsweise begründende Sicht auf »Gott und die Welt«. Man wird sich damit in den Kirchen und auch in der christlichen Theologie auseinandersetzen müssen. Man wird aber in Kirche, wie in Theologie zunächst einmal die eigenen Kommunikationsräume vor der destruktiven Kraft dieser Kommunikationsweise schützen müssen. Gerade die Kirchen in den neuen Bundesländern haben erfahren müssen, wie die Versuche, mit dem Rechten zu reden, zerstörerisch wirkt, – und haben daraus gelernt, die Kommunikationsräume christlichen Glaubens zu bewahren.[4]
In der katholischen Kirche sollte man nicht glauben, das Papier betreffe nur „die evangelische Kirche“.
Eine politische Strömung mit »schwacher Ideologie« und einer Politikweise der Empörung und des Ressentiment bringt sich mit diesem Papier in den Modus christlichen Glaubens. Sie greift damit nicht nur »die Kirche« an, sondern greift – mehr noch – in die Kirche ein. Mit ihrem fundamentalistischen Glauben betreibt man die Spaltung dieser Kirche, treibt sie nämlich in die für den Rechtspopulismus typische Konstellation von dem »wir« mit der einzigen Wahrheit auf der einen und der korrupten Eliten ohne jede Wahrheit auf der anderen Seite. Zumal weil der gespaltene Glauben, die eigene Wahrheit im polaren Gegenüber zur Unwahrheit der anderen, politisch relevant gemacht wird, wird man sich ihn nicht gut in einer Glaubensgemeinschaft und daher auch nicht in einer Kirche vorstellen können. Die »real existierenden« Konfessionen entsprechen dieser von rechts her betriebenen Kirchenspaltung nicht; sie liegen quer zu ihnen. Deswegen soll man im Katholischen nicht glauben, dieses Papier betreffe nur »die evangelische Kirche«.
„Gegenüber einer Ökumene von rechts könnte eine beherzte Ökumene des christlichen Anti-Populismus und darüber eine bunte Einheit von Kirche entstehen.“
Man wird in naher Zukunft vermutlich sehen können, dass diese von rechts her betriebene, also aus dem Politischen heraus kommende Kirchenspaltung verstärkt mit anderen Kirchenspaltungen verbunden wird. (Entsprechend wurden in dem Papier die angesprochenen Themen gewählt.) Womöglich werden sich daraus Organisationsformen von Kirchlichkeit, vielleicht sogar eine Konfession oder Kirche ergeben. (Noch empfiehlt die AfD-Fraktion – am Ende ihres Papiers – den von ihr angesprochenen recht-gläubigen Christ!nnen, »sich nicht aus der Kirche hinausdrängen [zu] lassen« (S. 49).)
Das wären Zukunftsaussichten, die nicht erschrecken müssen: Gegenüber einer Ökumene von rechts könnte eine beherzte Ökumene des christlichen Anti-Populismus und darüber eine bunte Einheit von Kirche entstehen. Durch das – theologisch gesehen – unvermeidbare Schisma käme es dann zu einer – theologisch gesehen – längst überfälligen Vereinigung noch getrennter Kirchen in einem für Vielfalt offenen Glauben. Einige Vertreter!nnen in kirchlichen Ämtern und Gremien müssen allerdings höllisch aufpassen, dass sie bei dieser doppelten Ökumene nicht – mehr oder weniger aus Versehen – in der rechtsgläubigen Ökumene landen.
[1]Online auffindbar hier.
[2]Vgl. jüngst die Arbeitshilfe der Deutschen Bischofskonferenz: »Dem Populismus widerstehen. Arbeitshilfe zum kirchlichen Umgang mit rechtspopulistischen Tendenzen«. Aus der Evangelischen Kirche vgl. etwa »Konsens und Konflikt: Politik braucht Auseinandersetzung. Zehn Impulse der Kammer für Öffentliche Verantwortung der EKD zu aktuellen Herausforderungen der Demokratie in Deutschland« (2017) oder »Orientierungshilfe für Kirchenvorstände zum Umgang mit Rechtspopulismus« (EKHN, 2019). Siehe auch weitere Materialien.
[3]Vgl. etwa »Nächstenliebe verlangt Klarheit. Erklärung des Landeskirchenrates der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland (EKM) vom 6. Februar 2015« sowie »Reden in schwierigen Zeiten. Nächstenliebe verlangt Klarheit«, eine Arbeitshilfe der »AG Kirche und Rechtsextremismus der EKM« (2018).
[4]Vgl. etwa den Offenen Brief Dresdner Theologieprofessor*innen (2016): Neutral bleiben – keine Option für Christen.
—
Autor: Dr. Matthias Möhring-Hesse ist Professor für Theologische Ethik/Sozialethik an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Eberhard Karls Universität Tübingen.
Beitragsbild: Pixabay