Das Buch des ersten hauptamtlichen Militärbischofs der Evangelischen Kirche in Deutschland regt zu weiterführenden Debatten an. Florian Schiffbauer stellt es vor.
Mit Sigurd Rink ernannte die Evangelische Kirche in Deutschland 2014 ihren ersten hauptamtlichen Militärbischof. Zuvor wurde diese Aufgabe – ähnlich der katholischen Seite – von einem Landesbischof oder Kirchenpräsidenten nebenamtlich ausgeübt worden. Der Militärbischof hat Ende Mai dieses Jahrs ein Buch mit dem Titel „Können Kriege gerecht sein?“ veröffentlicht. Im politischen Sinne könnte dieses als Tätigkeitsbericht sowie als erster Aufschlag für die Friedenssynode der EKD im Herbst dieses Jahrs gesehen werden.
Wenn ein solches Buch in einer Sitzungswoche des Bundestages Anfang Juni dieses Jahrs von der (damaligen) Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen der Presse wollwollend vorgestellt wird, so gibt bereits dies zu denken. Die wohlwollenden Worte der Ministerin unterstreichen einerseits die Unterstützung der Politik gegenüber der Militärseelsorge, andererseits ist damit aber auch die Gefahr einer Vereinnahmung gegeben.
Militärseelsorge steht an der Seite der Einzelpersonen.
Im Sinne der einzelnen Soldatinnen und Soldaten wäre der Wehrbeauftragte der Bundesregierung oder der Bundeswehrverband besser als Laudator für eine Buchvorstellung geeignet gewesen. Die Militärseelsorge steht in ihrem seelsorgerlichen Auftrag an der Seite der Einzelpersonen. Dieses Verständnis findet sich zumindest auch im vorliegenden Buch wieder.
Das in einem Publikumsverlag erschienene Buch wendet sich an ein breites Publikum. Zu hohe Erwartungen bezüglich Reflexionen zu politischen oder ethischen Fragen dürfen aufgrund der Konzeption fairerweise nicht gestellt werden. Dafür ist die Lesbarkeit auch ohne Vorkenntnisse vollumfänglich gegeben.
Zwei wesentliche Stärken des Buches möchte ich hervorheben.
Die auf den ersten Anschein provokante Frage des Buchtitels, ob Kriege gerecht sein können, wird gewendet. Der Autor widmet sich den Voraussetzungen für einen gerechten Frieden. Wer das Buch liest, erhält hier einen guten Überblick über die Geschichte der evangelischen Friedensethik.
Überblick über die evangelische Friedensethik
Der Überblick macht es dem evangelischen Fundamentalpazifismus bereits schwer, militärische Einsätze im Ausland unter bestimmten Voraussetzungen als Ultima Ratio in der Welt, wie wir sie heute kennen, grundsätzlich abzulehnen. Dass in gewissen Situationen ein Nicht-Handeln unmöglich ist, wird im Biografiekapitel des Buches deutlich. Sigurd Rink wendet sich unter dem Eindruck des Völkermordes in Ruanda 1995 der Verantwortungsethik zu. Den Synodalen der Friedensynode der EKD im kommenden Herbst kann als vorbereitende Lektüre – sofern keine Vorkenntnisse gegeben sind – der Überblick über die evangelische Friedensethik von Nutzen sein.
Berichte von Besuchen bei Militäreinsätzen
Eine andere Stärke des Buches sind die Berichte von Besuchen bei Militäreinsätzen der deutschen Bundeswehr und deren politische Einordnung. Die einzelnen Einsätze werden sehr systematisch beleuchtet. An manchen Stellen wäre ein tieferes inhaltliches Eintauchen wünschenswert gewesen. Die politische Einordnung fördert zu Tage, dass die wenigsten Auslandseinsätze der Bundeswehr solche mit „robustem Mandat“ sind. Häufig bestehen die Aufgaben in Beobachtung, Wahrnehmung polizeilicher Aufgaben oder der Ausbildung der Sicherheitskräfte in Staaten, in denen das Gewaltmonopol nicht vollständig beim Staat liegt.
Dies gilt bspw. für den Einsatz der Bundeswehr in Mali. Hier patrouilliert sie im Norden Malis und unterbindet Geschäfte der organisierten Kriminalität im Sinne eines Peacekeepers. Zugleich berät die Bundeswehr die militärische Führung des Landes und bildet malische Streitkräfte aus. Sie ist auf Bitten der Regierung im Einsatz. Kampfhandlungen mit malischen Streitkräften finden nicht statt. Nur unter bestimmten Voraussetzungen zur Selbstverteidigung oder zum Schutz von Zivilisten darf Gewalt angewendet werden. So gibt es einige Einsätze der Bundeswehr, die in ihrem Auftrag und ihrer Ausgestaltung ethisch verantwortbar sind und deren Nutzen nachvollziehbar ist. Zumindest können diese Einsätze Voraussetzungen für einen Frieden schaffen. Ohne eben aus sich selbst heraus, wie es in Afghanistan zu beobachten ist, Frieden zu vermitteln.
Wenn eine Friedensperspektive im Vorfeld einer militärischen Intervention fehlt…
Zugleich schimmert gelegentlich auch Kritik an der Politik durch: Wenn eine Friedensperspektive im Vorfeld einer militärischen Intervention fehlt, die völkerrechtliche Begründung auf wackligen Beinen steht, die Ausstattung der Bundeswehr ungenügend ist oder die Anerkennung der durch den Deutschen Bundestag entsandten Parlamentsarmee fehlt. Besonders der letzte Punkt zieht sich als roter Faden durch das Buch. Zugleich bleibt die Kritik nachvollziehbar ohne parteipolitisch Position zu beziehen.
Daneben werden die Arbeit des Militärbischofs an Auslandsstandorten sowie die Berichte von Militärgeistlichen dargestellt. Damit gibt der Autor einen Einblick in die Welt der Bundeswehr und deren Herausforderungen im Ausland. Deutlich wird auch, dass sich Soldatinnen und Soldaten rege Gedanken machen und auch politisch Haltung zeigen. Die Notwendigkeit von Militärseelsorge, die ja immer zugleich inner- und außerhalb der Bundeswehr steht – wird unverkennbar. Als Beispiel sei hierfür die Schilderung eines Gottesdiensts im Camp Novo Selo im Kosovo genannt, der wenige Tage nachdem sich ein Soldat während des Dienstes aus persönlichen Gründen das Leben genommen hatte, gefeiert wurde.
Schwächen des Buches
In der vorliegenden Form hat das Buch verschiedene Schwächen. Das erste Kapitel, die Biografie Rinks im Kontext der Friedensethik, hätte ich mir kürzer und prägnanter gewünscht, allenfalls schlaglichtartig in Verbindung mit der damaligen Friedensbewegung. Dadurch wäre Raum entstanden für die Zukunftsfragen im letzten Kapitel. In der jetzigen Form kommen diese leider etwas zu kurz.
Nachdenklich hat mich ein Satz in der Einleitung gestimmt, in dem Rink dem Rat der EKD und deren Vorsitzenden für „die Freiheit, abweichende Meinungen und Debattenbeiträge formulieren zu können“, dankt. Aus evangelischer Perspektive dürfte diese Freiheit selbstverständlich sein und keines besonderen Dankes bedürfen.
Fazit:
In dieser vorliegenden Konzeption des Buches hätte ich mir einen stärkeren Schwerpunkt auf die Berichte von Einsätzen und daraus folgende Reflexionen für die Militärseelsorge wie auch für die Gesellschaft gewünscht. Damit verbunden hätten auch ekklesiologische Anfragen aufgenommen werden können, wie sie bspw. Sylvie Thonak 2015 im Deutschen Pfarrerblatt (11/2015) geäußert hat. Die Frage nach der aus einer evangelischen Perspektive selbstverständlichen synodalen Struktur der Militärseelsorge steht seit dem Einsatz eines hauptamtlichen Militärbischofs zentral im Raum. Auf katholischer Seite ist die Ekklesiologie durch das hierarchisch strukturierte Militärordinariat, das rechtlich den Diözesen angeglichen ist, abgebildet.
Friedenssynode der EKD im Herbst 2019
Die Debatte um die Bedeutung der Bundeswehr und die Militärseelsorge ist mit diesem Buch des ersten hauptamtlichen evangelischen Militärbischofs erst ansatzweise eröffnet. Im Herbst steht die Friedenssynode der EKD an und die Veröffentlichung ist in diesem Zusammenhang zu sehen. Jedoch fällt auf, dass nur einen Monat nach Erscheinen des Buchs von Sigurd Rink der katholische Militärbischof Franz-Josef Overbeck einen weiteren Diskussionsbeitrag zum Thema vorlegte: „Konstruktive Konfliktkultur. Friedensethische Standortbestimmung des Katholischen Militärbischofs für die Deutsche Bundeswehr“. Die kurz hintereinander veröffentlichten Bücher lassen den Schluss zu, dass es keine inhaltlichen oder thematischen Absprachen gegeben hat. Dies erscheint mir als verpasste Chance, sollten die Militärbischöfe doch fester Bestandteil des Diskurses in der Friedensethik sein.
___
Florian Schiffbauer studiert den Masterstudiengang Religion und Kultur an der Theologischen Fakultät der HU Berlin und ist ein ehemaliges Mitglied des Leitenden Gremiums des Studierendenrats Evangelische Theologie (SETh).
Beitragsbild: patrick fore / unsplash.com
Buch: Rink, Sigurd: Können Kriege gerecht sein? Glaube, Zweifel, Gewissen – Wie ich als Militärbischof nach Antworten suche, Berlin 2019. ISBN: 978-3-550-200004-5, 288 S., 19,99€.