Wie ‚geht‘ Synodalität? Paul Weß (Innsbruck) greift entsprechende Impulse von Papst Franziskus auf und sucht nach neuen Perspektiven.
Im Rahmen der vor kurzem zu Ende gegangenen Bischofssynode in Rom wurde am 17. Oktober dieses Jahres der fünfzigste Jahrestag der Einführung solcher Synoden in der Kirche gefeiert. In seiner Rede sagte der Papst: „Die Welt, in der wir leben und die in all ihrer Widersprüchlichkeit zu lieben und ihr zu dienen wir berufen sind, verlangt von der Kirche eine Steigerung ihres Zusammenwirkens in allen Bereichen ihrer Sendung. Genau dieser Weg der Synodalität ist das, was Gott von der Kirche des dritten Jahrtausends erwartet. Was der Herr von uns verlangt, ist in gewisser Weise schon im Wort ‚Synode‘ enthalten. Gemeinsam voranzugehen – Laien, Hirten und der Bischof von Rom –, ist ein Konzept, das sich leicht in Worte fassen lässt, aber nicht so leicht umzusetzen ist.“
„Was alle angeht …“
Hier bleibt offen, wie es zu einer „Synodalität“ als einem „gemeinsamen Vorangehen“ kommen kann und welche Funktion dabei Synoden einnehmen. Denn das Wort „Synode“ bedeutet nur „Zusammenkunft“ und sagt nichts darüber aus, was auf diesen Versammlungen geschieht: ob nur über etwas informiert und gesprochen wird oder auch – und wenn ja, wie – gemeinsame Entscheidungen getroffen werden. Von Beschlüssen auf den Synoden spricht der Papst nicht: „Der synodale Weg beginnt im Hinhören auf das Volk, […] gemäß einem Prinzip, das der Kirche des ersten Jahrtausends wichtig war: ‚Quod omnes tangit ab omnibus tractari debet – Was alle angeht, muss von allen besprochen werden‘.“ – Dieses Prinzip sagt in seiner ursprünglichen Fassung wesentlich mehr: „[…] ab omnibus tractari et acceptari debet – […] muss von allen besprochen und gebilligt werden.“ Dieser wichtigere Teil wurde weggelassen.
Papst Franziskus weiter: „Der Weg der Synode setzt sich fort im Hinhören auf die Hirten. […] Und schließlich gipfelt der synodale Weg im Hören auf den Bischof von Rom, der berufen ist, als ‚Hirte und Lehrer aller Christen‘ zu sprechen: […] Die Tatsache, dass die Synode immer cum Petro et sub Petro [mit Petrus und unter Petrus; Anm.] handelt – also nicht nur cum Petro, sondern auch sub Petro – ist keine Begrenzung der Freiheit, sondern eine Garantie für die Einheit.“ Dann nennt der Papst die verschiedenen Ebenen der Synodalität: Als erste die „in den Teilkirchen“ (wobei die Ebene der Pfarrgemeinden übergangen wird), als zweite jene „der Kirchenprovinzen und der kirchlichen Regionen, der Partikularkonzilien und in besonderer Weise der Bischofskonferenzen“. Und „die letzte Ebene ist die der Universalkirche. Hier wird die Bischofssynode, […] zum Ausdruck der bischöflichen Kollegialität innerhalb einer ganz und gar synodalen Kirche.“
Getaufter unter den Getauften
Schließlich kommt der Papst nochmals auf sein eigenes Amt zu sprechen: „Der Papst steht nicht allein über der Kirche, sondern er steht in ihr als Getaufter unter den Getauften, im Bischofskollegium als Bischof unter den Bischöfen und ist – als Nachfolger des Apostel Petrus – zugleich berufen, die Kirche von Rom zu leiten, die in der Liebe allen Kirchen vorsteht.“ Aber als Leiter der Kirche von Rom steht der Papst doch allein auf einer nicht-synodalen Ebene über der ganzen Kirche. Papst Franziskus spürt offenbar die Problematik dieses hierarchischen Amtes und betont „erneut die Notwendigkeit und die Dringlichkeit […], an ‚eine Neuausrichtung des Papsttums‘ zu denken.“ Dabei beruft er sich auf Papst Johannes Paul II. und dessen Enzyklika „Ut unum sint“ (1995). Dasselbe Anliegen hatte er auch in seinem Apostolischen Schreiben „Evangelii gaudium“ (2013) vorgebracht. Sowohl dort als auch in der Rede des Papstes vom 17. Oktober steht im italienischen Originaltext „una conversione del papato“, was mit „eine Neuausrichtung des Papsttums“ übersetzt wurde.
Wie könnte und sollte aber ein solches „konvertiertes“, also umgewandeltes oder „bekehrtes“ Papsttum in der katholischen Kirche aussehen? Wie wäre ein synodales Verhältnis auch zwischen dem Papst und dem (übrigen) Bischofskollegium denkbar, in dem der Papst nicht letztlich allein über den anderen Hirten steht und dennoch die Möglichkeit hat, effektiv für die Einheit der ganzen Kirche zu sorgen? Was wäre eine mögliche Alternative zum jetzigen hierarchischen System, die nicht in das andere Extrem von bloßen Mehrheitsentscheidungen fällt, da diese in Glaubens- und Gewissensfragen nicht möglich sind?
„Einmütig“, nicht „einstimmig“
Hier wäre als Lösung denkbar, dass der Papst im Bischofskollegium sowie das Leitungsorgan in allen synodalen Gremien nicht über den anderen Gliedern stehen, aber die Vollmacht haben, gemeinsame Entscheidungen unter dem Anspruch der Einmütigkeit zu vermitteln und deren Zeichen zu sein. „Einmütig“ heißt hier nicht „einstimmig“, sondern bedeutet, dass alle der Endentscheidung zustimmen, sie mit ihrem Gewissen vereinbaren können, selbst wenn sie diese nicht für die sachlich beste halten. Der Leiter oder die Leiterin kann die Letztentscheidung nicht allein treffen, hat aber das Recht, allen anderen in den betreffenden Gremien ein Mitwirken an einer gemeinsamen Entscheidungsfindung bis zum Erreichen der Einmütigkeit zuzumuten und abzuverlangen.
Ein oft mühevoller Dienst
Die leitende Person kann ihre eigene Meinung nicht den anderen im Gremium aufzwingen, muss aber selbst dem gemeinsamen Ergebnis zustimmen können, das sie umzusetzen und nach außen zu vertreten hat. Auch sie kann ihre Ansicht im Verlauf des Prozesses ändern, aber nicht gegen ihr Gewissen überstimmt werden. Das ist besonders wichtig, wenn es sich um das ordinierte Leitungsamt von Bischöfen oder Amtspriestern handelt, die die Aufgabe und die Vollmacht haben, für die Einheit der Teilkirche oder einer Gemeinde mit der Gesamtkirche zu sorgen. Eine solche gemeinsame Entscheidungsfindung ist ein anspruchsvoller spiritueller Prozess, der eine „gemeinsame Unterscheidung der Geister“ erfordert, und die Leitung eines solchen Vorgangs ist ein oft mühevoller Dienst.
Eine Änderung der Entscheidungsstruktur in der katholischen Kirche vom hierarchischen System hin zu einer gemeinsamen Entscheidung unter dem Anspruch der Einmütigkeit würde eine Korrektur der bisherigen kirchlichen Lehre bedeuten und damit im Widerspruch zu einer Unfehlbarkeit und Unveränderlichkeit derselben stehen. Eine solche Veränderung wäre also sowohl eine konkrete inhaltliche als auch eine grundsätzliche Neuerung, die große Auseinandersetzungen auslösen würde. Doch genau dies war am Beginn der Kirche bereits einmal der Fall.
Im Rahmen der Feier am 17. Oktober, in der der Papst sprach, hielt Kardinal Christoph Schönborn den Festvortrag und ging dabei ausführlich auf das Apostelkonzil als „das Urmodell der Synode“ ein. In diesem wurde der Konflikt um die Anerkennung heidenchristlicher Gemeinden auch ohne Beschneidung und ohne die Übernahme aller jüdischen Gesetze „offen benannt und offen ausgetragen“. Dabei kam es zu „heftigen Auseinandersetzungen“ (Apg 15,2), vermutlich ähnlich jenen auf der letzten Bischofssynode. Auf Grund des Berichts des Petrus sowie des Paulus und Barnabas vom Wirken Gottes unter den Heiden kam es schließlich zur Anerkennung dieser Öffnung der Kirche.
Korrektur kirchlicher Lehren
Kardinal Schönborn zog dann das Fazit: „Und genau das ist der entscheidende Punkt: In Jerusalem ging es nicht um Beratung oder Entscheidung, sondern um das Unterscheidende des Willens und Weges Gottes.“ Aber genau gesehen, ging es damals auf Basis der Unterscheidung auch um eine Entscheidung, nämlich jene, ob auf Grund der positiven Erfahrungen vom Wirken Gottes unter den Heiden ein vom geltenden Gesetz und von der bisherigen Lehre abweichender Weg legalisiert werden kann. Eben dies war die ungelöste Kernfrage der vergangenen Bischofssynode: ob bestehende Gesetze aufgehoben und kirchliche Lehren korrigiert werden dürfen. Das Apostelkonzil hat sie positiv entschieden und damit einen bleibenden Maßstab gesetzt.
Diese Entscheidung wurde nicht von Petrus allein getroffen, sondern von „den Aposteln und den Ältesten zusammen mit der ganzen Gemeinde“ (Apg 15,22), und zwar einmütig: „Als wir einmütig geworden waren, erschien es uns gut …“ (15,25 in genauer Übersetzung). Das wurde auf das Wirken des Heiligen Geistes zurückgeführt: „Der Heilige Geist und wir haben es für gut befunden“ (15,28).
Das könnten eine synodale Kirche und ein „konvertiertes Papsttum“ vom Apostelkonzil übernehmen: dass die Entscheidungen in den Gremien, auch in einer Bischofssynode, gemeinsam getroffen und dabei auch Lehren korrigiert werden können, und dies im Vertrauen auf das Wirken des Heiligen Geistes in Einmütigkeit möglich ist. Es ist ein hoher Anspruch, aber man sollte es zumindest einmal versuchen.
Erstveröffentlichung: Die Furche; Bildquelle: http://w2.vatican.va/content/francesco/it/events/event.dir.html/content/vaticanevents/it/2015/10/17/50sinodovescovi.html