Reformvorschläge für die Kirche gibt es viele. Doch nun melden sich Ordensleute mit eigenen Beiträgen zu aktuellen kirchlichen Debatten. Katharina Karl diskutiert diese Impulse aus Klöstern und Ordensgemeinschaften.
Der vielfach zu hörende Appell an die Kirchenleitung, endlich echte Reformen anzupacken, wird auch von den Orden aufgegriffen. „Kirche, reformiere dich! Anstöße aus den Orden“ – so ist ein im Herderverlag erschienener Sammelband mit Beiträgen von verschiedenen Autor*innen überschrieben, die bis auf wenige Ausnahmen Mitglieder von Ordensgemeinschaften sind.
Impulse aus den Ordenstraditionen
Unter dem Titel „Erfahrungen“ finden sich Texte mit unterschiedlichem Abstraktionsniveau. Während einige aktuelle Praxiserfahrungen beschreiben, sind andere eher als Reflexion von Erfahrungen zu charakterisieren und bieten Anregungen zu einem differenzierteren Diskurs. Gemeinsames Ziel ist, Impulse aus den Ordenstraditionen als Anregung für heutige Kirchenreform anzubieten. Allen Erfahrungen von eigenen Krisen, Sterbeprozessen und dem vielbeschworenen Niedergang der Orden zum Trotz sprechen die meisten Texte mit ungebrochenem Idealismus. „Wir sind mal wieder im Wandel und machen der ‚großen Kirche‘ vor, dass nicht alles beim Alten bleiben muss“ (41), postuliert Katharina Kluitmann.
Reform – mal als Renovation, mal als Innovation
Ein Aspekt, der besonders instruktiv erscheint, ist das jeweilige Selbstkonzept von Ordensleben der Autor*innen. Der Kirchenhistoriker Hubert Wolf unterscheidet in seinem Beitrag „Vollmacht durch Nachfolge. Ordensgeschichte als Quelle für Kirchenreformen“ zwei Stränge von Reformverständnis in der Ordensgeschichte. Reform wird hier mal als Renovation, mal als Innovation verstanden: „Reform bedeutet ursprünglich als reformatio in pristinum zurückformen, einen früheren Zustand wiederherstellen, der abhandengekommen ist. Reform als reformatio in melius bedeutet dagegen die radikale Umgestaltung oder gar Neuerfindung von nie dagewesenen Konzepten“ (37). Beide Formen sind in der Geschichte der Kirche bis heute gleichzeitig zu finden und beide sind in den Texten des vorliegenden Bandes in vielfältigen Nuancen und Schattierungen präsent. In manchen ist der Reformimpuls der Orden als Rückkehr zu einem Ideal des Anfangs gedacht – das Bild von Orden gilt als Gegenüber der Kirche und als Idealform kirchlichen Lebens –, in anderen wird die Reform prozesshaft-prospektiv und innovativ konzipiert – Orden sind Akteure des Wandels und erneuernde Kraft in der Kirche.
Orden entstehen als Antwort auf Krisen.
Im erstgenannten Konzept, das Orden als Gegenüber der Kirche und Idealtypus kirchlich-christlichen Lebensversteht, wird auf die Gründung vieler Gemeinschaften als Antwort auf eine Krise der Kirche rekurriert. Der Reformauftrag ist per se in ihre DNS eingeschrieben und immer wieder neu einzuholen. „Jede Institution“, so Anselm Grün, „ist in Gefahr, sich dem Zeitgeist anzupassen“ (108). Eine Distanzierung vom Zeitgeist, hier verstanden als etwas, das vom ursprünglichen Ideal abbringt, ist gefordert.
Identität in Abgrenzung wäre zu wenig.
Auch im Erfahrungsbericht von Teresa Zukic klingt dies an: „Unsere Bischöfe, Pfarrer und Gemeinden können anscheinend ruhig schlafen, obwohl immer weniger Menschen und kaum Kinder in die Kirche kommen. […] Wir haben Jesu Auftrag ernst genommen“ (157). Bei aller Wertschätzung eines prophetischen Gegenentwurfs christlicher Lebensgestaltung, den die Orden zweifelsohne anbieten, liegt in einer Überspitzung dieses Selbstkonzepts eine Gefahr. Wo sich die eigene Rolle vornehmlich über Abgrenzung definiert, kann sich ein bewusst oder unbewusst formuliertes Elitedenken etablieren. Die Frage, was die jeweilige Zeit und ihre Zeitgenoss*innen auch den Ordensgemeinschaften Neues zu sagen haben, wie es Ulrich Engel in seinem Beitrag „Verkündigung im Dialog“ einfordert, wird dann nicht gehört. Impulse bleiben einseitig.
Orden als Kraft der Transformation.
Der zweite Typus versteht Orden als erneuernde Kraft der Transformation. Viele der gesammelten Beiträge berichten von ihrer „best practice“, etwa im Umgang mit Themen wie Interkulturalität und Ökumene (Frère Alois), der Abschied von Werken (Katharina Kluitmann), die christliche Gestaltung des Alltags und einer „shared economy“ (Carmen Tatschmurat) oder die Gestaltung von Räumen (Ruth Pucher). Aber auch strukturelle Fragen werden berührt: das Ringen von Frauen um ihren Platz in der Kirche (Katharina Ganz) oder Formen der Übertragung der Beichtvollmacht an Ordensleute oder kirchlicher Leitungsvollmachten ohne Weihe als kirchengeschichtliche Phänomene (Hubert Wolf).
Lernende Organisation entsteht in Brüchen.
Beim Durchblick durch die Beiträge lässt sich eine Leestelle ausmachen: ein Selbstkonzept, das Gemeinschaft als lernende Institution versteht. Denn Innovation geschieht häufig, so lehren Erkenntnisse aus der Organisationsforschung, an Bruchstellen. Wenn neben den Idealen auch das Lernen aus den Krisen, die Annahme oder Reibung an Brüchen und eigene Ambivalenzen reflektiert werden, sind die Erfahrungen der Orden gerade im gegenwärtigen Umbruchs- und Transformationsprozess für die Kirche relevant. Dies wird etwa im Beitrag von Klaus Mertens deutlich, der zeigt, wie sich aus der Missbrauchskrise im Jesuitenorden neue Formen und Strukturen der Transparenz und Teilhabe entwickeln (51-60), die sicher im eigenen Haus nicht unumstritten sind. Nicht nur die „Kirche sollte von den Orden lernen“ (Müller, 135), sondern die Orden lernen selbst an den eigenen Umbruchserfahrungen – auch von anderen Institutionen in und außerhalb der Kirche.
Wenig Aufmerksamkeit für eigenes Scheitern.
Erfahrungen aus diesen Lernprozessen in die Reformdebatte einzubringen, wäre wegweisend. Ansätze, die eigene Rolle und auch das eigene Scheitern selbstkritisch zu hinterfragen, finden sich im vorliegenden Band jedoch nur an wenigen Stellen. Über interne Defizite wird, sofern sie thematisiert werden, recht schnell hinweggegangen. Die konstruktiven Beiträge und Ressourcen würden aber nicht an Gewicht verlieren, sondern gewinnen, wenn sie benannt und reflektiert würden.
Orden könnten als Laboratorien fungieren.
Der kirchliche Reformbeitrag von Orden zielt sicher auf Renovation als auch als Innovation, also darauf, Ideale am Leben zu erhalten sowie neue Impulse zu entwickeln. Glaubwürdig wird beides dann sein, wenn deutlich wird, dass sich Orden auch als lernende Institutionen verstehen. Weil die Orden kleiner und damit beweglicher sind als die Kirche als Ganze sind sie Laboratorien und können experimentell reformbedürftige Teilaspekte christlicher Lebenskultur bearbeiten.
Modelle solidarischen Mitseins.
Dabei liegt der Ort der Orden nicht bloß in einem Gegenideal zu Kirche und Gesellschaft, sondern im solidarischen Mitsein und Dazwischensein, um Nachfolge in Fragmenten und Brüchen zu leben. Katharina Kluitmann macht die Notwendigkeit und Bereicherung der Vernetzung der Orden untereinander stark (46). Dieser Gedanke lässt sich auch über die Orden hinweg erweitern. Denn die Orden teilen als Teil der gegenwärtigen Kirche und Gesellschaft in vielem das Los ihrer Zeitgenossen*innen. Ihre Erfahrungen und Kompetenzen werden als Stärke in der Schwachheit gebraucht, sind aber nur dann ernst zu nehmen, wenn Lernprozesse transparent gemacht werden und wechselseitig sind.
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Autorin: Katharina Karl, Lehrstuhl für Pastoraltheologie und Religionspädagogik an der PTH Münster, Leiterin des Pastoralseminars zur Ausbildung von Ordenspriestern, Leiterin des Jugendpastoralinstituts Don Bosco in Benediktbeuern.
Literaturhinweis: Hanspeter Schmitt OCarm (Hg.): Kirche, reformiere dich! Anstöße aus den Orden, Herder Verlag, Freiburg/B. 2019, 20,00 €.
Foto: Timon Studler / unsplash.com