Papst Franziskus rief am 30. September 2019 – für die meisten überraschend – einen weltweiten „Sonntag des Wortes Gottes“ aus. Die Reaktionen darauf bewegen sich zwischen „Endlich!“ und „Wozu?“. Elisabeth Birnbaum über begründete Vorbehalte und vorbehaltlose Gründe zum Thema „Bibelsonntag“.
Warum jetzt ein Bibelsonntag?
Als ich die Anfrage von Radio Vatikan erhielt, ein Interview über den vom Papst ausgerufenen Bibelsonntag zu geben, war ich überrascht. Mit einem Bibelsonntag hatte ich nicht gerechnet. Wieder einmal bemerkte ich, dass Bischöfe und offensichtlich auch der Papst dazu neigen, auf Bitten mit einem „anders“ und gleichzeitig „mehr“ zu reagieren: Als das Österreichische Katholische Bibelwerk die Österreichische Bischofskonferenz um die Ausrufung eines Bibeljahres ersuchte, erhielt es gleich drei Bibeljahre. Als die weltweite katholische Bibelföderation CBF den Papst um ein solches Bibeljahr bat, erhielt sie einen weltweit und künftig jährlich stattfindenden Bibelsonntag.
„Bibelsonntag“ oder „Sonntag des Wortes Gottes“?
Aber ist es eigentlich ein „Bibelsonntag“? Von einigen Seiten hörte ich, es gehe hier um mehr als „nur“ um die Bibel, es gehe um das Wort Gottes, das sich in Christus inkarniert hat. Ohne darauf theologisch eingehen zu wollen: Das Dokument des Papstes selbst spricht vom „Wort Gottes“ und der „Bibel“ oder „Heiligen Schrift“ das ganze Schreiben hindurch synonym. Das zeigt, dass der Papst hier offenkundig keinen Unterschied sieht.
Wer sich zu sehr für die Bibel engagiert, verrät also ein Stück weit die katholische Lehre.
Was steht also hinter diesem Unbehagen, es ginge beim „Sonntag des Wortes Gottes“ „nur“ um die Bibel? Vermutlich vor allem Reste eines katholischen, lange Zeit genuin ambivalenten Verhältnisses zur Bibel. Wie beim jüngsten Treffen mit Bibelverantwortlichen aus Mittel- und Osteuropa wieder berichtet wurde, geraten manche von ihnen immer noch in den „Generalverdacht“ kryptoprotestantisch zu sein. Wer sich zu sehr für die Bibel engagiert, verrät also ein Stück weit die katholische Lehre. Verständlich, wenn in solchen Kontexten betont wird, dass es ja gar nicht „nur“ um die Bibel geht. Bedauerlich ist es allemal. Hierzulande, vor allem in Ländern wie Deutschland, wo Ökumene schon aufgrund der Gläubigenzahlen eine Notwendigkeit ist, mag das anders sein. Doch bibelkritisches Denken oder zumindest eine Bibel-Gleichgültigkeit ist gerade bei frommen Menschen nach wie vor nicht selten.1
Jeder Sonntag ein Bibelsonntag?
Andere Kritik am Bibelsonntag kommt von liturgischer Seite. Hier ist es nicht ein Vorbehalt gegen die Bibel selbst, sondern ein Vorbehalt gegen ihre Würdigung in einem Themensonntag. Die Bibel sei (oder sollte sein) ohnehin Bestandteil jedes Sonntags. Das II. Vatikanische Konzil habe der Heiligen Schrift im Gottesdienst einen festen und breiten Raum gegeben. Im Grunde betone der Bibelsonntag also nur das Normale und brächte daher keinen Mehrwert, so die Argumente.
Das ist natürlich richtig. Würde der „Tisch des Wortes“ in den katholischen Kirchen auch in der Praxis so reich gedeckt werden wie der „Tisch des Mahles“, wäre ein Bibelsonntag nicht notwendig. Doch, um im Bild zu bleiben, ist auf diesem Tisch nicht selten das Geschirr achtlos gestapelt, fehlt häufig das Besteck und liegt der Geschirrschwamm auf dem Tischtuch. Der Papst selbst spricht einige konkrete Punkte an, wo sich die Wertschätzung der Bibel in der Praxis zeigen könnte. Daran wird man sich messen dürfen. Werden Lektor/innen genug ausgebildet und dann auch genug gewürdigt? Werden sie feierlich entsandt wie andere, die liturgische Dienste übernehmen?Wie steht es mit der Qualität der Homilien? Sind sie biblisch fundiert, gut vorbereitet und gut vorgetragen? Empfehlen und fördern Pfarrverantwortliche die persönliche Bibellektüre?
Alles Selbstverständlichkeiten, möchte man meinen, aber wie sieht es in der Praxis aus? Wie viele Priester, die den „Tisch des Mahles“ mit Sorgfalt decken, wenden dieselbe Sorgfalt am „Tisch des Wortes“ an?
Die Hostie wird niemals durch einen zeitgeistigeren Dinkelcracker ersetzt
Niemand würde etwa auf den Kelch die Kaffeetasse vom Pfarrcafé stellen. Das Lektionar dagegen dient nicht selten als Unterlage für die Verlautbarungszettel. Die überzähligen Hostien werden ehrfürchtig in den Tabernakel gesperrt. Das Lektionar wird mancherorts nach der Lesung auf einen Stuhl oder bestenfalls auf einen Beistelltisch gelegt. Die Hostie wird niemals durch einen zeitgeistigeren Dinkelcracker ersetzt, die Lesungen aber sehr wohl durch Texte vom Kleinen Prinz und anderer „schmackhafterer“ Nahrung. Der Bibelsonntag ist daher offenkundig notwendig, als Erinnerung an das, was sein sollte, aber nicht ist. So, das gestehen ja auch die Kritiker zu, wie das Fronleichnamsfest seinerzeit notwendig wurde, weil der Umgang mit der Eucharistie im Gottesdienst nicht mehr angemessen war.
Bibelsonntag, ja, aber …
Die oben genannten Vorbehalte machen den Bibelsonntag in meinen Augen nicht entbehrlich, sondern lassen im Gegenteil bedauern, dass es „nur“ ein Themensonntag ist und das Anliegen auf halbem Wege stehengeblieben ist. Zum einen ist es schade, dass die Analogie zum Tisch des Mahles nicht konsequent genug gemacht wurde. Dieser erhielt ein eigenes Fest, jener einen Themensonntag. Das bedeutet vor allem, dass es keine darauf zugeschnittenen Lesungen gibt, sondern die übliche Leseordnung gilt.
Damit stehen aber Gottesdienstleitende vor dem Problem, die Bedeutung der Bibel mit Texten hervorheben zu müssen, die sich mit dem Thema nicht befassen. Die drei Lesejahre bieten sehr unterschiedliche Texte an. Im Lesejahr C finden sich wunderbar geeignete Texte wie Nehemia 8 oder Lukas 4. Das Lesejahr A lässt sich schon schwieriger mit dem Thema des Sonntags verknüpfen. Und im Lesejahr B wird es einiger Inspiration bedürfen, um aus 1 Kor 7 und seiner Mahnung, sich seiner Frau zu enthalten, eine Botschaft für die Wichtigkeit der Heiligen Schrift zu kreieren.
Der Bibelsonntag ist in manchen Punkten nicht zu viel, sondern zu wenig des Guten
Zum anderen ist auch beim Thema „Ökumene“ nur der halbe Schritt getan: Der Bibelsonntag beendet zwar die „Gebetswoche für die Einheit der Christen“ und steht im Kontext des „Tages des Judentums“. Aber er wurde einseitig vom Papst ausgerufen und bleibt eine katholische Angelegenheit. Ökumenisch würde der Bibelsonntag nur dann, wenn die anderen Konfessionen das katholisch gesetzte Datum und die katholisch gesetzte Leseordnung akzeptieren. Noch dazu müssten in manchen Ländern ökumenische Traditionen beendet werden. In Deutschland etwa gibt es seit Jahrzehnten einen ökumenischen Bibelsonntag, aber eben am letzten Sonntag im Jänner. Das kann, muss aber nicht der dritte Sonntag im Jahreskreis sein. In anderen Ländern sind solche gemeinsamen Bibelsonntage rund um das jüdische Fest „Simchat Tora“ im Oktober angesetzt. Die weltweite katholische Einmütigkeit und die regionalen ökumenischen Traditionen lassen sich also nicht so leicht vereinbaren.
Katholische Frömmigkeit und Bibellektüre sind kein Gegensatz mehr
Und dennoch …
Der Bibelsonntag ist in manchen Punkten nicht zu viel, sondern eher zu wenig des Guten. Aber er zeigt zumindest eines: Die Bibel ist in der katholischen Kirche von höchster Stelle gewünscht. Katholische Frömmigkeit und Bibellektüre sind kein Gegensatz mehr. Katholik/innen dürfen und sollen die Bibel hochachten und beachten, sie lesen und bedenken, und zwar weltweit. Das Dokument selbst ist ein begeistertes, hoffentlich auch begeisterndes Plädoyer für die Bedeutung der Bibel in der katholischen Kirche. Dafür ist dem Papst nicht genug zu danken.
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Elisabeth Birnbaum ist Direktorin des Österreichischen Katholischen Bibelwerks und seit Juni 2018 Mitglied der Redaktion von Feinschwarz.
Bildnachweis: privat
- Das gilt auch für viele, die sich Bibel auf die Fahnen heften, vgl. Die Bibel als Mozart der Pastoral. ↩