Nicht selten haben ökumenische Initiativen eine Vorreiterrolle für neue Visionen und Praxen gerechteren Lebens gespielt. Christine Müller über das Zachäus-Projekt, das im Juli bei der UN vorgestellt wurde.
Aber Zachäus stand auf und sprach zu dem Herrn: „Siehe, Herr, die Hälfte von meinem Besitz gebe ich den Armen, und wenn ich jemanden betrogen habe, so gebe ich es vierfach zurück.” (Lukas 19,8)
Kürzlich berichtete der EU-Abgeordneten Sven Giegold von einer neuen Studie der Europäischen Kommission, die zu dem Schluss kommt, dass die Mitgliedsstaaten der EU im Jahr 2016 rund 46 Milliarden Euro an Steuereinnahmen durch Steuerhinterziehung von Privatpersonen verloren haben. Allein dem deutschen Fiskus entgingen in dem Jahr rund 7,22 Milliarden Euro durch Steuerflucht. Ist es nicht endlich Zeit zu handeln?
Zeit zum Handeln
Den Anstoß zum Handeln will auch eine ökumenische Initiative geben und unseren Blick erneut ganz konkret auf die zunehmende Konzentration des Reichtums in den Händen immer Weniger legen. In den Themenbereichen Steuergerechtigkeit und Wiedergutmachung sehen die kirchlichen Weltbünde, allen voran der Ökumenische Rat der Kirchen (ÖRK), eine zentrale Herausforderung an unsere gegenwärtige weltweite Ordnung und verstehen sie als unverzichtbare Bausteine für die Schaffung einer zukünftigen gerechten Welt.
Unter dem Titel „Wirtschaft im Dienst des Lebens“ versuchten sie bereits seit 2002 Kirchen und Gemeinden zu motivieren, in ihrem eigenen Umfeld Handlungsoptionen für eine Wirtschaft, die dem Leben dient, zu entwickeln.
Im Gefolge der weltweiten Finanzkrise von 2008 stellten die Kirchenbünde bereits fest, dass ein auf Spekulation, gegenseitiger Konkurrenz und unzureichender Regulierung basierendes System die Mehrzahl der Bewohner unserer Welt zu einem Lebensstandard unter ihrer Menschenwürde zwingt.
Eine Wirtschaft, die dem Leben dient
Die Besteuerung ist ein wichtiges Instrument, um Reichtum innerhalb und zwischen Ländern gerecht zu (ver-)teilen sowie Unternehmen und Bürger*innen im Hinblick auf die Wahrung des Gemeinwohls, einschließlich der globalen Gemeingüter, zur Verantwortung zu ziehen. Nicht von ungefähr ist die Diskussion um die Steuern ein wichtiges Themenfeld im Rahmen politischer Auseinandersetzungen zwischen Parteien und Staaten im nationalen wie im internationalen Kontext.
Im Rahmen der Initiative für eine neue internationale Finanz- und Wirtschaftsarchitektur (NIFEA)[1] wurde nun beim Zusammentreffen des Hochrangigen Politischen Forum für Nachhaltige Entwicklung der Vereinten Nationen (kurz: HLPF) am 11. Juli 2019 in New York die Zachäus-Initiative der Öffentlichkeit erstmals vorgestellt. Getragen wird sie vom Weltmissionsrat, dem Lutherischen Weltbund, der Weltgemeinschaft Reformierter Kirchen (WGRK) und dem Ökumenischen Rat der Kirchen.
Restaurative Gerechtigkeit
Worum geht es genau? Steuern sind ein außerordentlich zweckmäßiges Hilfsmittel, um Wiedergutmachung und einen fairen Täter-Opfer-Ausgleich im Sinne restaurativer Gerechtigkeit zu gewährleisten. Nach wie vor scheuen sich aber unsere Kirchen davor, in diese Debatte öffentlich einzugreifen und vor allem Position zu beziehen, obwohl es in der Bibel genug Anregungen dafür gibt.
Zachäus (Lukas 19,1-10) war zu Lebzeiten Jesu Steuereintreiber und somit Teil des damaligen kolonialen Militär- und Finanzsystems. Die Geschichte von der Umkehr des reichen Zachäus ist eine Erzählung von subversiver Kraft, denn ihr geht es um die Doppelfrage, die gerade von vielen Reichen tunlichst vermieden wird: Woher stammt der Reichtum und was macht den Reichtum eines Zollpächters wie Zachäus so problematisch? Wie kann man als ein reich gewordener Mensch wie der Zöllner Zachäus mitten im kolonialen und imperialen Regime Roms ein gerechtes Leben führen? Die Zachäusgeschichte erzählt, wie ein reicher Oberzöllner seine Machtposition dazu genutzt hat, sich ein Vermögen anzueignen. Dieser Mann, der das Willkür- und Gewaltsystem des kolonialen Imperiums personifiziert, bekehrt sich. Zur Wiedergutmachung verspricht er, die Hälfte seines Besitzes den Armen zu geben, und das, was unrechtmäßig erpresst wurde, will er vierfach zurückerstatten (V. 8).
Ein gerechtes Leben mitten in einem systemisch gewaltvollen und ungerechten System
Anders als in der Erzählung von dem Reichen, der sein ganzes Vermögen abgeben soll, wenn er in die Nachfolge Jesu treten will (Lk 18,22), geht es bei Zachäus um die Frage, wie ein gerechtes Leben mitten in einem Kolonialsystem möglich ist, das systemisch gewaltförmig und strukturell ungerecht ist. Die Umkehr des reichen Zachäus besteht in einem doppelten Akt: Sie ist einerseits eine Absage von der willkürlichen Gewalt gegen die Bevölkerung, die Zachäus reich gemacht hatte, und andererseits die Hinwendung zu den ethischen Grundforderungen der Tora und der Hebräischen Bibel insgesamt. Sie fordert Almosen als Ausdruck der Solidarität mit den Armen und die Achtung des Rechts zur Schaffung von Gerechtigkeit, die durch einen Täter-Opfer-Ausgleich geschaffen wird.
Wer Verantwortung in Systemen wie einem Wirtschaftssystem wahrnehmen will, der braucht ethischen Rückhalt durch eine gerechte Wirtschaftsordnung, wenn Verantwortungsübernahme ethisch nicht überfordern soll. Ohne eine gerechte Rechtsordnung für ein Wirtschafts- und Finanzsystem, die den Akteuren die überbordende Last der Verantwortung nimmt, ist die ausschließlich individuelle Verantwortung ein Fehlschluss.
Rein individuelle Verantwortung ethisch überfordernd
Diese Verwandlung bei Zachäus steht sinnbildlich für die notwendigen Veränderungen unserer gegenwärtigen weltwirtschaftlichen Zusammenhänge, damit auch die Benachteiligten an den Früchten unseres Reichtums teilhaben und die Geknechteten und Ausgebeuteten entschädigt werden. Die Kirchen werden eingeladen, die gute Nachricht von Zachäus anzunehmen, sie in ihrem Leben zu vertreten und in ihren jeweiligen Kontexten Zeugnis abzulegen von gerechter Besteuerung und Wiedergutmachung.
Kirchen können und sollten eine wichtige Rolle spielen bei der Durchsetzung nationaler und internationaler Steuersysteme, die einerseits Beschäftigung, Geschlechtergerechtigkeit, ökologische Nachhaltigkeit sowie Umverteilung von Einkommen und Vermögen befördern. Spekulatives, schadstoffreiches sowie ressourcenintensives Wirtschaften andererseits sollen unseren Widerspruch und Widerstand heraus fordern.
Wiedergutmachung von Sklaverei und ökologischen Schulden
Die Zachäus-Kampagne ruft die Kirchen auf, die Fragen der gerechten Besteuerung und der Wiedergutmachung von vergangener sozialer Schuld und ökologischen Schulden durch die Linse der Bundesbeziehungen, in die Gott uns untereinander und mit der Erde gesetzt hat, wahrzunehmen und zu untersuchen.
Die Initiative setzt sich auf lokaler, nationaler und globaler Ebene für Steuergerechtigkeit ein und befasst sich hierbei vor allem mit sozialen und ökologischen Schulden – einschließlich Reparationszahlungen für Kolonialismus und Sklaverei. Dabei soll die Beschäftigung mit der Zachäus-Geschichte Lukas 19,1-10 den biblischen Hintergrund liefern.
Die Forderungen der Zachäus-Kampagne lauten:
- Die Einführung progressiver Vermögenssteuern auf globaler und nationaler Ebene, um die zunehmende Konzentration des Reichtums in den Händen immer mächtigerer Weniger einzudämmen, Hand in Hand mit erhöhten öffentlichen Ausgaben zur Bekämpfung der Armut.
- Ein Ende der Steuerhinterziehung und -vermeidung durch multinationale Konzerne und wohlhabende Privatpersonen.
- Progressive Kohlenstoff- und Umweltsteuern auf verschiedenen Ebenen, um unser einmaliges planetarisches Zuhause zu schützen.
- Die sofortige Einführung einer Finanztransaktionssteuer auf den Handel mit Aktien, Anleihen, Währungen und Derivaten, um schädliche spekulative Aktivitäten einzudämmen.
Das ökumenische Netz „Kairos Europa“ hat seit seinem Bestehen 1990 an den verschiedenen Prozessen der Weltbünde mitgewirkt, sie bekannt gemacht und Anregungen für die Kirchen und die Bewusstseinsbildung in den Gemeinden, Gruppen und sozialen Bewegungen erarbeitet. Zu dem gesamten Prozess (NIFEA) und der Zachäus-Kampagne ist bei „KAIROS-Europa“ soeben ein Heft erscheinen mit Beiträgen deutscher und internationaler Expert*innen und Aktivist*innen. Das Ziel dieses Heftes ist es, Menschen zu ermutigen sich mit dem Thema Steuern/Steuergerechtigkeit in unserem eigenen Land und in der Welt auseinanderzusetzen, sich Gedanken zu machen über ein gerechtes Steuersystem und dieses auch politisch einzuklagen.
Für eine neue internationale Finanz- und Wirtschaftsarchitektur: Das Zachäus-Projekt der weltweiten Ökumene
66 Seiten, € 5,00 zzgl. Versandkostenpauschale
Bestellung formlos über das Büro von Kairos-Europa in Heidelberg
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Christine Müller ist Beauftragte für den Kirchlichen Entwicklungsdienst in der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Sachsens und Mitglied im Vorstand von Kairos Europa.
Bild: PublicDomainPictures / pixabay.com
[1] NIFEA steht als Abkürzung für New International Financial and Economic Architecture, den englischsprachigen Namen der gemeinsamen Initiative der vier ökumenischen Organisationen.