Viele fragen sich, ob man die Kirche überhaupt verändern darf. Andere zweifeln, dass das geht. Daniel Bogner beschreibt den theologischen und handlungstheoretischen Kontext, in dem der Raum für wirklichen Wandel entstehen kann.
Wer einen Sensus für Sprache hat, stößt sich am gedoppelten Namen – „Synode“ bedeutet bereits „gemeinsamer Weg“. Wer institutionell denkt, verweist auf den amorphen kirchenjuristischen Status der Veranstaltung. Und viele, die in der pastoralen Praxis unterwegs sind, zweifeln an der Wirksamkeit dieses Projekts, das die deutschen Bischöfe gemeinsam mit dem Zentralkomitee der deutschen Katholiken lanciert haben. Anlass für die Suche nach neuer Orientierung ist die Krise dieser Kirche, die durch den Missbrauch so deutlich wie bisher kaum je vor Augen steht. Was, wenn nicht der Missbrauch, zwingt einen dazu, grundsätzliche Fragen zu stellen?
Ein Weg mit schweren Hypotheken
Wer von außen auf die deutsche Kirche blickt, wird sich verwundert die Augen reiben: Da entwindet sich aus der Mitte einer von Beharrungskräften durchzogenen Institution ein Prozess, der Bewegung verspricht, aber in Genre und Adresse verschwommen bleibt: Mehr als kollektive Gesprächstherapie will man sein, aber nicht aus sich heraus verpflichtend. Die Empfehlungen des Projekts sollen verbindlich werden, aber in Kraft setzen muss sie jeder einzelne Bischof für seine Ortskirche – und darin ist er vollkommen frei. Es gibt riesige Erwartungen und ebensolche Befürchtungen. Typisch deutsch wiederum ist es, wie perfekt dieses institutionelle Gebilde administrativ aufgegleist ist: Mit eigenem Logo und professionellem Gremienmanagement weiß der deutsche Kirchenbetrieb Eindruck zu machen. Man könnte meinen, der bürokratischen Finesse entspräche auch eine Klarheit in Mandat und Vision. Immerhin „evangelisierend“ will man in den Bemühungen sein, darauf können sich alle einigen. Aber wohl auch dazu gibt es divergierende Hintergrundannahmen.
Das alles sind die schweren Hypotheken, die diesen Weg belasten. Vielleicht ist es Teil des Unbehagens, das jemand wie der emeritierte Papst Benedikt empfindet, wenn er an die deutsche Kirche denkt und man ihn wollwollend deuten mag. Als Theologe, zumal wenn man nicht unmittelbar selbst eingebunden ist, wird man vielfach gefragt: Was hältst Du denn von diesem Vorhaben? Und viele schieben ihre eigene Meinung gleich hinterher: Es ist doch eigentlich von vornherein zum Scheitern verurteilt! Defaitismus aber verbietet sich, denn so schwierig die Ausgangslage sein mag, so wenig gibt es eine bessere Alternative. Wie wollte man diesen Versuch nicht wenigstens wagen?
Zwei Fragen
Mir scheint, es ist eine Doppelfrage, die über dem Projekt des „Synodalen Weges“ schwebt. Die beiden Facetten dieser Frage stehen für die unterschiedlichen Lager in der Kirche: jene, die Reformen als notwendig erachten, um die frohe Botschaft überhaupt wieder spürbar werden zu lassen. Und jene, die meinen, echte Veränderung komme allein aus innerer Haltung und einer entschiedenen Umkehr zum Evangelium. Beide Lager sind getrieben von einem „primären Zweifel“ – der Frage, die sie umtreibt und welche die eigene Optik beinahe vollständig bestimmt.
Die einen fragen: Was kann das alles denn noch bewirken?
Die anderen zweifeln: Dürfen wir überhaupt etwas Grundständiges verändern?
Es sind die zwei Seiten derselben Medaille „Kirchenerneuerung“. Viele jener Menschen, die seit langem für Reformanliegen streiten und sich vielleicht noch einmal mit letzter Hoffnung in die Debatten unserer Zeit einbringen, tun dies nur noch mit der Verzweiflungshoffnung einer desillusionierten Erwartung. Sie glauben eigentlich nicht daran, dass aus dieser Kirche noch etwas werden kann. Und die anderen sind bewegt von der echten Sorge darum, etwas Wesentliches zu verlieren und preiszugeben, ohne dafür die Autorität zu besitzen. Vor Augen ist mir noch der Pfarrer meiner Jugendzeit, der im Pfarrgemeinderat angesichts der Reformwünsche so mancher Gemeindemitglieder in Gewissensnöte kam und ausrief: Ja, aber wer gibt mir denn das Recht, das anders zu machen, als es vorgeschrieben ist?!
„War die DDR ein Unrechtsstaat“? Eine Debatte als Metapher
Vor einiger Zeit konnte man in der politischen Öffentlichkeit eine Debatte verfolgen, die Schlüsse auf die aktuelle Situation der Kirche zulässt. Es ging um die Frage: War die DDR ein Unrechtsstaat? Die einen sagten: Natürlich war sie das, denn Mauerbau, Schießbefehl und die massiven Einschränkungen bürgerlicher Freiheiten lassen gar kein anderes Urteil zu. Die anderen wandten ein: So einfach ist es nicht, denn eine solche Sicht wird den Menschen, die in diesem Staat gelebt haben, nicht gerecht. Die Vokabel „Unrechtsstaat“ ist eine pauschale Abwertung der gesellschaftlichen und privaten Erfahrungswirklichkeiten in toto und deshalb fehl am Platz.
Für die gegenwärtige Lage der Kirche lassen sich beide Positionen übersetzen: Ja, in dieser so heftig umstrittenen, schuldig und damit ungerecht gewordenen Kirche gibt es auch Menschen, Orte und Gelegenheiten, durch die wirklich das spürbar ist, wovon Kirche zeugen soll – Gegenwart Gottes, seine befreiende Nähe, die zu befreiendem Handeln ermutigt. Und zugleich ist evident: Nein, diese Kirche hat ganz offensichtlich die falschen Kleider an – ihre Strukturen und Funktionsweisen, ihr Recht und ihre amtliche Raison d’être sind vielfach ungeeignet, um die ihr anvertraute Botschaft bestmöglich zur Geltung zu bringen. Die Folge ist, dass alle, die sich in den Dienst der Botschaft stellen, immer wieder gegen die gewaltigen Kräfte anarbeiten müssen, die von dieser formalen Gestalt der Kirche ausgehen. Pfarrer und Laien, einfache Gemeindemitglieder und reformorientierte Bischöfe, sie sind alle gefangen in dieser Logik. Es ist die Logik einer scheinbar fugendichten, kirchenrechtlich besiegelten Kohärenz, in der viele das Gefühl gewinnen: Man muss gegen den äußeren Rahmen ankämpfen, um dem Geist der biblischen Botschaft Raum zu schaffen.
Dass die Form der verfassten Kirche das unterstützt, ist jedenfalls eine reichlich idyllische Vorstellung, fern der pastoralen Wirklichkeit einer durchschnittlichen Ortsgemeinde heute. Und deshalb trifft auch das Urteil mit dem ‚Unrechtsstaat’ aus dem politischen Vergleich in gewisser Weise zu: Ja, für sehr viele Gläubige fühlt sich die Kirche in ihrer verfassten Art und Weise nicht so an, als ob man in ihr den biblischen Glauben auf angemessene Weise leben könnte. Wie wollte man die Geschlechterdiskriminierung im Ämterzugang, die hierarchische Differenzierung zwischen Klerus und Laien oder die monarchistische Verfassungsordnung der Kirche mit dem Glauben an einen befreienden, gerechten und barmherzigen Gott zusammenbringen?
„Unerträglich ungerecht“. Die Radbruchsche Formel
Das führt zur Frage zurück, die viele Menschen bewegt: Was dürfen wir eigentlich verändern? Dürfen wir überhaupt an das rühren, was doch über Jahrhunderte gewachsen, vom höchsten Lehramt in juridisch-dogmatischer Amalgamierung mit Ewigkeitsklauseln versehen wurde und gar für „definitiv beantwortet“ erklärt wurde (Papst Johannes Paul II. in seinem Apostolischen Schreiben Ordinatio sacerdotalis von 1994 über die nur Männern vorbehaltene Priesterweihe)? Die Debatten um Reform und Erneuerung in der Kirche versandeten oftmals an dieser Stelle. Denn aufgrund eines nicht entwickelten Begriffs von ‚Gehorsam’ und ‚Treue’ findet man sich schnell in der Sackgasse der falschen Alternative wieder: Nicht einverstanden sein – und dann gehen müssen. Oder drinnen bleiben – und dann alles „schlucken“.
Generationen von Katholikinnen und Katholiken sind in den vergangenen Jahrzehnten über diesen Leisten geschlagen worden und daran mit ihrem Glauben beinahe auf Grund gelaufen. Betroffen sind davon beide Seiten, denn hier wie dort fallen Kosten an für ein nicht integriertes Verhältnis von Form und Inhalt, wie es der römische Katholizismus einem abverlangt. Die ins innere oder äußere Exil Gegangenen leiden, weil ihnen die notwendige Gemeinschaft abgeht und sie auf sich gestellt sind mit ihrem Glaubensbedürfnis. Die Verbliebenen spüren still und verborgen, wie ein institutionell sachfremd und überregulierter Glaube ausblutet und fremdbestimmt ist.
Wie entkommt man einer solchen Sackgasse, in der immer wieder landet, wer nur ansatzhaft die Legitimität bestehender Ordnung anfragt? Eine Figur aus der Rechtsethik hilft weiter. Die sogenannte „Radbruchsche Formel“ bezieht sich auf Konflikte zwischen dem positiven Recht und der Gerechtigkeit. Der Rechtsphilosoph Gustav Radbruch (1878-1949) hatte für Fälle, in denen das Gesetz Forderungen aufstellt, die vor dem Maßstab materieller Gerechtigkeit offenkundig als „unerträglich ungerecht“ empfunden werden müssen, dem Recht die Bindungswirkung abgesprochen und Bürgerin und Bürger vom Rechtsgehorsam befreit.[1]
Bestimmte Gesetze, auch wenn sie auf dem dafür vorgesehenen Wege zustande gekommen ist, entbehren der Rechtsnatur und können nicht als Recht gelten, wenn sie einen Sinngehalt aufweisen, der in keiner Beziehung mehr zum Rechtsgrund der Gerechtigkeit steht. Die Radbruchsche Formel gilt in Rechtswissenschaft und Rechtspraxis als grundlegende Möglichkeit, um überhaupt zwischen geltendem Recht und Gerechtigkeitspostulaten zu unterscheiden, die doch im Recht zum Ausdruck kommen sollen. In der Rechtsprechung von Bundesgerichtshof und Verfassungsgericht ist mehrfach, auch explizit, auf diese Formel zurückgegriffen worden, so im Fall eines desertierenden Wehrmachtsoldaten, in einem Urteil zur Nürnberger Rassengesetzgebung des NS oder später bei den sogenannten Mauerschützenprozessen.
Gesetzliches Unrecht und übergesetzliches Recht in der Kirche?
Der Vergleich ist für den Kontext der Kirche weniger fremdartig, als es den Anschein haben mag. Denn mit der rechtsethischen Formel wird jene Natur des freiheitlichen Rechtsstaates sichtbar, die den Vergleich mit der Glaubensgemeinschaft erlaubt: Auch der Rechtsstaat hat eine Wahrheit, die unverhandelbar und bindend ist – der Maßstab einer größeren Gerechtigkeit, die sich im Prinzip der gleichen Würde aller Bürgerinnen und Bürger manifestiert. Und wie in der Religion bedarf der Staat natürlich institutioneller Konstruktionen, Verfahren und Strukturen, mit denen er dieser, seiner Wahrheit bestmögliche Geltung verschaffen will. Aber dabei kann es vorkommen, dass ebendies misslingt, ja vorsätzlich verfehlt wird. Die Radbruchsche Formel ist ein Mittel des Rechts, um dessen Funktion dort zu korrigieren, wo es zum Ausfall kommt. Und die Funktion des Rechts ist es, der Gerechtigkeit zu dienen.
Das Anregungspotential für die kirchliche Lage der Gegenwart liegt auf der Hand. Nichts wäre nötiger als theologische und kanonistische Figuren, die als Korrektiv einer sich überschätzenden und dann fehlgehenden kirchenamtlichen Auslegungskompetenz dienen können. Viele sind pessimistisch, dass aus dem bestehenden kirchlichen Recht selbst Derartiges geschöpft werden könnte, so jedenfalls klingt es in den Analysen von Norbert Lüdecke durch. Eine strikt hierarchisch konzipierte Kirchenverfassung mit dem Anspruch einer im geweihten Amt bevollmächtigen Heilsrepräsentation und –vermittlung kann keine „übergesetzliche“ Relativierung ihrer Strukturen kennen. Roma locuta causa finita.
Befreite Freiheit als Auslegungskriterium kirchlichen Handelns
Kann solches noch länger Bestand haben? Angesichts der Lage dieser Kirche darf man es sich immerhin erlauben, jenseits der skizzierten Logik zu denken, indem man die biblischen Quellen des Glaubens in den Blick nimmt. „Zur Freiheit hat uns Christus befreit“, heißt es im Galaterbrief (Gal 5,1). Und damit ist das Grundthema des biblischen Monotheismus aufgenommen und zur christologischen Entfaltung gebracht: Wir glauben an einen Gott, der Menschen dazu ruft, sein Volk zu werden. Diesem Volk bietet er einen Bund an, der darin besteht, dieses Volk in die Freiheit – und darin zur Erlösung von den Kräften des Todes – zu führen. „Ich bin der HERR, dein Gott, der dich aus dem Land Ägypten herausgeführt hat, aus dem Sklavenhaus“ (Ex 20,1f.). Es ist eine Freiheit, die in immer neuen Akten der Befreiung erstritten werden muss und dann erfahren werden kann.
Was könnte das biblische Verständnis von Freiheit heute bedeuten? Es ist die Aufforderung, die eigene Lebenswirklichkeit in allen ihren Kontexten immer wieder darauf hin zu prüfen, wo man sich „fremden Mächten und Gewalten“ (Kol 2,15) unterwerfen muss. Wo bin ich, wo sind wir als Glaubende daran gehindert, die in Gott zugesprochene Befreiung real erfahren und in verantwortlichem Handeln und Gestalten umsetzen zu können? Wo dies hingegen möglich ist, erfährt der Mensch, was der Psalmist bekennt: „Du hast den Weg vor mir frei gemacht. Nun kann ich ohne Straucheln vorwärts gehen.“ (Ps 18,37 / Gute Nachricht Bibel)
Damit ist gesagt, was die norma normans, der leitende „Verfassungsgrundsatz“ jeder Nachfolgegestalt und damit auch Kriterium für den Erneuerungsprozess der Kirche sein sollte. Steht sie, mit ihren Regularien, mit ihrem zum Teil unter dem Namen „göttliches Recht“ geschickt als notstandsfest bewehrten Rechtsrahmen, ihren Auslegungstraditionen wirklich im Dienst an dieser befreienden Botschaft der biblischen Verkündigung? Selbstverständlich sind Traditionsbestände, religiöse Routinen und amtliche Interpretationspfade wichtig und auch wertvoll. Aber sie müssen sich am Leitkriterium der Botschaft vom befreienden, Freiheit schenkenden, jede und jeden in seine eigene Freiheit einsetzenden und damit zu eigener Verantwortung rufenden Gott messen lassen. Das ist der im kanonischen Recht zwar nicht positivierte, aber immerhin biblisch geoffenbarte Basissatz allen Kirche-Seins …
Entsprechend zur Radbruchschen Formel müsste man dann sagen: Wenn Kirche, und sei es in Gestalt ihres amtlichen Handelns, diesem Grundsatz deutlich und fortdauernd zuwider handelt, können ihre Satzungen und Normen kein bindendes Recht darstellen.
Aus größerer Treue: neu einsetzen, neues Recht setzen, neu Kirche sein
Der an diesem ersten Adventswochenende 2019 von vielen von vornherein für überflüssig oder wirkungslos apostrophierte „Synodale Weg“ kann dann erfolgreich sein, wenn er die bleibende Differenz zwischen dem Anspruch biblischer Offenbarung und der Realität kirchlicher Konkretion in den Blick nimmt und die kirchlichen Wirklichkeiten, die es zu erneuern gilt, als das einordnet, was sie sind: historisch gewachsene, nicht vom Himmel gefallene, damit stets erneuerungs- und überholungsbedürftige Nachfolgegestalten. Sie mit allerlei theologisierender Finesse auf einer bestimmten Etappe solchen Nachfolgens „einzufrieren“, wird dem Anspruch der zu bezeugenden Botschaft nicht gerecht.
Auf einige der im Vorfeld dieses Weges geäußerten Anfragen und Zweifel kann man somit entgegnen:
- Kirchenrechtlich sei der Synodale Weg ein Nullum. „Man spielt Synode, aber es ist keine Synode“ – so sagt es der Kanonist Thomas Schüller. Sachlich ist das richtig, aber nur in einem engeren Sinne. Natürlich erfüllt der Synodale Weg nicht die im geltenden Kirchenrecht enthaltenen Kriterien für das Instrument einer teilkirchlichen Synodalversammlung. Um diese Kirche zu erneuern, darf man sich aber gerade nicht auf die im existierenden Recht vorgesehenen Verfahren beschränken. Wenn Kardinal Woelki, mit ganz anderem Interesse als Thomas Schüller, ausspricht, was geltende Rechtslage ist („Laien beraten, Geweihte entscheiden“), dann atmet das auf eine provokant-zynische Weise den Geist der „alten Zeit“. Vieles spricht dafür, dass das kanonische Recht selbst Reflex und Teil einer Gesamtproblematik ist und es deshalb notwendig ist, einen Denk- und Handlungshorizont jenseits dieses kirchlichen Ordnungsrahmens zu eröffnen. Der Synodale Weg kann dies bewirken, wenn Mut und Weitsicht zusammenkommen.
- Ein Reform- und Erneuerungsprozess, der die bestehende Kirchenverfassung selbst als Problemquelle und nicht als Hilfestellung sieht, benötigt sogar eine vornehmlich politisch geprägte Wegstrecke vor einer dann wieder rechtsförmig gebahnten Weiterarbeit. Im Bereich der Staatsgründung spricht man vom „pouvoir constituant“, die dem „pouvoir constitué“ immer vorausgeht: Es ist die verfassungsgebende Versammlung, die nicht selbst schon rechtlich legitimiert ist, weil sie die Aufgabe hat, neues Recht zu setzen. In der Kirche steht genau dies an: Eine Verständigung der Glaubensgemeinschaft darüber, welches die Ordnungen sein sollen, um in dieser Zeit ihrem Auftrag, Volk Gottes zu sein, gerecht werden zu können. Diese Rolle könnte der Synodale Weg annehmen.
- Der Synodale Weg kann und sollte nur einen Ausschnitt des viel breiteren Ringens der Glaubensgemeinschaft um die Zukunft ihres Kirche-Seins darstellen. Als solcher ist diese Initiative richtig und notwendig. Friedrich Kronenberg, der schon an der Würzburger Synode maßgeblich beteiligt war und eine ziemlich lange Wegstrecke der jüngeren deutschen Kirchengeschichte überblicken kann, hat dies unterstrichen: Der Synodale Weg ist eben das im Augenblick zur Verfügung stehende Instrument der Erneuerung, deshalb sollte man ihn nutzen. Irrtümlich aber wäre es, nicht darüber hinaus zu denken. Das Zentralkomitee der deutschen Katholiken repräsentiert nur einen Teil des Gottesvolkes und man hätte sich eine ganz andere Besetzung der Arbeitsgruppen vorstellen können: bunter, um mehr Diversität bemüht und auch ergänzt um manch spitze Stimme von außerhalb des deutschen Gremien- und Ordinariatskatholizismus.
Jeder andere Wunsch als der nach einem fruchtbaren und geistgewirkten Verlauf für den beginnenden Weg wäre fehl am Platz, auch wenn „von der Papierform her“ man wohl eher pessimistisch sein muss. Darf man überhaupt etwas verändern? Was kann das alles denn noch bewirken? Die beiden Fragen lassen sich nur im Bezug aufeinander beantworten. Es ist die Schwelle, an der sich der Erfolg des Unterfangens entscheiden wird. Bringt man den Mut auf, Neues zu denken, dafür die Gefäße zu schaffen und die Debatte in der Weltkirche voranzubringen? Wenn das so ist, wird man die „alte Ordnung“ an entscheidenden Stellen produktiv (auf-) brechen müssen.
Fragen an die Synodalen
Könnte man die Sprache der christlichen Religion heute noch vernehmen, wenn jene, die man als Mystiker bezeichnet, nicht durch eine kühne und gefährliche Arbeit mit den überlieferten Sätzen aus Lehre und Frömmigkeit eine Kunst „auf eigene Rechnung“ betrieben hätten und so die Religion wieder „zum Reden“ bringen konnten?
Würden wir heute noch eine Kirche haben, die Diakonie und Caritas zu ihren Kernvollzügen zählt und für Randständige, Ausgeschlossene und Flüchtende einsteht, wenn nicht ein Francesco aus Assisi im beginnenden 13. Jahrhundert gegen alle Selbstverständlichkeiten in Kirche und Gesellschaft aufgetreten wäre und das Evangelium mit einer höchst persönlichen Autorität neu gelesen und gegen die „herrschende Meinung“ interpretiert und gelebt hätte?
Hätte es jemals in der Geschichte der Menschheit eine erfolgreiche Revolution gegeben, wenn Menschen es nicht gewagt hätten, die alte Ordnung hinter sich zu lassen, den Platz zurückzuweisen, der ihnen von den etablierten Autoritäten zugewiesen wurde, und ihren tiefsten Impulsen nach Gerechtigkeit und gleicher Würde gefolgt wären?
[1] Vgl. Gustav Radbruch, Gesetzliches Unrecht und übergesetzliches Recht. SJZ 1946, 105-108. Der Text ist hier verfügbar: http://wcms.itz.uni-halle.de/download.php?down=34979&elem=2798224.
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Daniel Bogner ist Professor für Moraltheologie und Ethik an der Universität Fribourg und Mitglied der Redaktion von feinschwarz.net. Bild: Rosenkranzschatulle, Italien 2019 – © Autor.
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