Bernd Hante ist auf einem Hof aufgewachsen und plädiert für die Förderung einer familiären bäuerlichen Landwirtschaft. Als Priester gilt seine Leidenschaft der Verkündigung des Evangeliums und dem Einsatz für Menschen und Natur in den ländlichen Räumen.
In Berlin beginnt die Messezeit eines jeden Jahres immer mit der Grünen Woche, Landwirtschaft und Ernährung. Produkte aus 72 Ländern werden präsentiert. Die Erzeugerinnen und Erzeuger sind stolz auf ihr Können, die Landwirtschaft ist stolz auf ihre Erfolge, die Ernährungssicherheit mit höchsten Qualitätsansprüchen zu garantieren. Die Frage ist immer, wie Qualität definiert wird. Kontrollsysteme versuchen, einwandfreie und gesunde Erzeugnisse sicher zu stellen. Gesundheit ist ein wichtiger Blickwinkel, unter dem ich Qualität der Produkte betrachten kann. Damit kann ich meine Nichten und Neffen allerdings nicht überzeugen. Sie erwarten eine andere Tierhaltung: Tiere sollen artgerechter gehalten werden, die Bedingungen in der Fleischbranche deutlich verbessert werden. Also erweitern sie die Sichtweise auf die Qualität eines Lebensmittel.
Vier Wochen Tierhaltung, Naturschutz, Biodiversität, Klimawandel und Gott
Zur Zeit bin ich in einem Vier-Wochen-Kurs mit jungen Bauern und Bäuerinnen. Wir thematisieren die brennenden Themen: Tierhaltung, Naturschutz, Biodiversität und Klimawandel. Mit all diesen Themen verbinden wir die Frage: Wie siehst du deine Zukunft? Und alle ahnen und wissen: es wird und muss sich einiges verändern. Sie machen ihren Beruf mit Freude und Leidenschaft. Sie brauchen Sicherheit, klare Rahmenbedingungen, in denen sie ihre Vorstellungen entwickeln können. Auch sie erweitern den Begriff Qualität: Mit den Produkten, die sie erzeugen, wollen sie gesicherte Lebensbedingungen erreichen, sie wollen eingebunden sein in Freundeskreise, sie wollen in Zukunft auch eine Familie. Der 122. Internationale LVHS-Hauptkurs 2020 wendet sich unter dem Moto „Möglichkeiten entdecken – Chancen nutzen – Zukunft gewinnen!“ an aufgeschlossene junge Menschen ab 18 Jahren aus „Grünen Berufen“. Angesprochen sind besonders künftige Betriebsleiter*innen, Hofnachfolger*innen, junge Erwachsene, die zur Landwirtschaft und zum ländlichen Raum eine enge Beziehung haben. Gemeinsam wird nach Antworten gesucht, wie ein Leben mit Qualität gelingen kann.
Diese Beispiele zeigen, dass wir die Qualität von landwirtschaftlichen Erzeugnissen über den Aspekt der Gesundheit hinaus erweitern müssen. Qualitätsansprüche müssen ökologischer, sozialer, nachhaltiger werden. Die jungen Bauern und Bäuerinnen brauchen die Unterstützung der Gesellschaft, brauchen die Sicherheit seitens der Politik und eine zukunftsorientierte Diskussion zum Erhalt familiärer bäuerlicher Landwirtschaft.
Lebensmittel und bäuerliche Haltung
Im Folgenden möchte ich Ihren Blick auf Lebensmittel und auf bäuerliche Haltungen wenden. Lebensmittel, die wir im Supermarkt oder in einer Direktvermarktung erwerben, müssen den Kriterien der Nachhaltigkeit in sozialer, ökologischer und ökonomischer Hinsicht entsprechen. In der Vergangenheit ist das Produkt überwiegend aus der Perspektive der Ökonomie betrachtet worden. Vom Prinzip des Marktes ist das auch logisch, er regelt sich durch Angebot und Nachfrage. Dieses Prinzip eines Tauschgeschäftes ist bestimmt von Freiheit und natürlichen Regelmechanismen, die ich nicht klein reden will. Doch wir merken, dass der Markt einige Dinge, die auf Dauer und Kontinuität angelegt sein müssen, nicht selber regeln kann. Aus dieser Perspektive hat sich die soziale Marktwirtschaft entwickelt. Heute stehen wir an einem Punkt, wo wir dringlicher denn je kreativ und zukunftsfähig Antworten auf die ökologischen Fragen entwickeln müssen. Die Balance der Schöpfung ist schon lange in die Schieflage geraten. Junge Menschen gehen für das Klima auf die Straße, sie haben die Zeichen der Zeit erkannt.
Lebensmitteltransferordnung
Ökologie und Soziales müssen in unseren Erzeugnissen abgebildet werden. Dafür brauchen wir Leitplanken für den Handel. Wer da Bedenken hat, dem kann ich nur sagen, dass wir Branchen haben, in denen wir schon lange mit Vorgaben umgehen. Autos müssen Kriterien erfüllen, um in Städte fahren zu dürfen. Wir brauchen eine Lebensmitteltransferordnung, die sich dem Nachhaltigkeitsdreieck u.a. in Anbau, Veredelung und Beschäftigungsverhältnissen bzw. -bedingungen verpflichtet. In der Qualitätsfrage geht es um mehr als Gesundheit und Hygiene, es geht um die ganzen Prozesse der Produktion und der Wertschöpfungskette. Wir brauchen ökologische und soziale Standards, die in einem Wechselverhältnis zueinander stehen. Ist das Soziale bedacht, sind ökologische Fortschritte einfacher zu gehen.
Beruf: Bäuerin/ Bauer
Eine Berufsbezeichnung für den Landwirt/die Landwirtin ist aus der Mode gekommen: Bauer/Bäuerin. Junge Menschen werden zu Betriebsfachagrarwirt*innen ausgebildet. Ein sehr fachlich und sachlich formuliertes Berufsbild. In der Bezeichnung „Bauer/Bäuerin“ steckt für mich sehr viel mehr Emotion und Beziehung, eine Haltung nachhaltiger Wirtschafs- und Lebensweise. Drei Grundzüge einer Bäuerlichkeit möchte ich hier aufführen:
Mensch und Tier
Im Alltag meiner Kinder- und Jugendzeit stand die Arbeit mit den Tieren und dem Land im Mittelpunkt. Die Tiere bestimmten den Tagesrhythmus, die Ackerkultur, das Jahr. Schöpfung und Leben waren auf das Engste verbunden. Wir mussten von dem Betrieb als Familie leben. Wir wussten, das, was wir pflegen, gibt uns auch die Existenzgrundlage. Doch das stand im alltäglichen Leben nicht im Vordergrund. Zunächst galt den Tieren unsere Sorge, auch wenn klar war, es ist nur für eine begrenzte Zeit. Bäuerlichkeit pflegt eine besondere Beziehung zu Tier und Land. Das gilt auch heute für die Bauern und Bäuerinnen. Die technische Entwicklung erleichtert viele Arbeiten und Prozesse auf dem Hof, und zugleich ersetzt sie nicht die Beziehung zwischen Bauer/Bäuerin, Tier und Land. Auf den Höfen haben wir es mit natürlichen Lebensprozessen zu tun. Kein Tier läuft vom Band wie ein Auto. Dass diese Arbeit sich abbilden muss in den Preisen für die Erzeugnisse, muss jedes Glied in der Wertschöpfungskette realisieren. Der/die Konsument*in ist das letzte Glied in dieser Kette, das Einkaufsverhalten kann dennoch Wirkung zeigen.
Hof und Familie
Viele Höfe werden seit Generationen betrieben. Jede/r Hoferbe/Hoferbin arbeitet daran, die Weitergabe des Hofes zu realisieren. Mit der Hofübernahme beginnt der Prozess der Hofübergabe: Wie kann ich Boden- und Wasserqualität schützen und steigern, wie kann ich Eigentum schützen, welche Entwicklung braucht der Hof, wie bleibt der Hof eingebunden in die Sozialstruktur des ländlichen Raumes? Das sind wichtige und verantwortungsvolle Fragen und Aufgaben. Sie sind genährt durch ein Bewusstsein, es ist der Hof der Familie über Generationen.
Das Familienbild hat sich verändert. So eng die Generationen auch mit dem Hof verbunden sind, sie brauchen auch ihre Zeit und ihren Raum für sich, ihre Freundschaften, ihre Zeit für gesellschaftliches Engagement, wie z.B. Landjugend, Nachbarschaft, Urlaub. Was mache ich dann mit den Tieren, wenn ich mit Familie, Freunden und Freundinnen Urlaub mache? Die Erfahrung zeigt, es müssen mindestens zwei Familien von einer Hofstelle leben können. In unserer Zeit bedeutet das eine gewisse Betriebsgröße. Die Größen der siebziger und achtziger Jahre reichen nicht aus. Wichtig bleibt immer: Hof und Familie sind untrennbar verbunden.
Schöpfung und Schöpfer
Eigentum verpflichtet. Mit Eigentum übernehmen Menschen Verantwortung für die Schöpfung und ihre Lebensräume. Das wird am anschaulichsten beim Berufsstand der Bauern und Bäuerinnen. Den Boden, den sie beackern, haben sie ja nicht selbst geschaffen. Die Schöpfung ist Ergebnis einer Evolution, die ihren Grund in einem tiefen Sein hat: Gott, dem Schöpfer allen Lebens. Der Glaube gehört eng zum Lebens- und Kulturelement der Landwirtschaft. Kaum ein anderer Beruf erlebt in der täglichen Arbeit diese existenzielle Grundlage. Ein wichtiges Fest bis heute ist das Erntedankfest. Es wird wie selbstverständlich weitergegeben an die junge Generation. In vielen Pfarreien des Bistums Münster wirken Landjugendliche an der Gestaltung des Festes mit. In dieser Glaubenskultur einer bäuerlichen Familie bin ich aufgewachsen. Wie die Arbeit gehörte das tägliche Gebet als Bitte und Dank zum Ablauf eines Tages. Glauben habe ich nicht durch Katechese gelernt, sondern durch leben. Glaube schenkt Sicherheit und Gelassenheit, gibt Vertrauen in und Verantwortung für Schöpfung und Geschöpf. Ich kann mir kein Berufsethos in der Landwirtschaft ohne eine Rückbindung an den christlichen Glauben vorstellen.
Die drei Grundzüge bäuerlicher Lebenskultur verlangen, ständig daran und an der eigenen Persönlichkeit zu arbeiten. Ich weiß auch, dass es nicht immer so rund läuft, wie ich es dargestellt habe. Zugleich brauche ich eine sinngebende bäuerliche Lebenskultur für eine nachhaltige Landwirtschaft. Ich bin überzeugt: Wir brauchen diese bäuerliche Lebenskultur für eine nachhaltige Gesellschaft, um Lebensräume in Stadt und Land zu erhalten. Diese Lebenskultur kann ausstrahlen, wie die Attraktivität der Grünen Berufe zeigt. Die Grüne Woche beginnt am 16. Januar. Ich hoffe, dass es um die Qualität der Landwirtschaft geht. Sie braucht neue Wege.
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Text: Bernd Hante, Diözesanpräses für Katholische Landjugendbewegung (KLJB) und Katholische Landvolkbewegung (KLB) im Bistum Münster, geistlicher Rektor der Landvolkshochschule (LVHS) Freckenhorst, Schwerpunkte der Arbeit: Bildung, Verbände, ländlicher Raum, Internationales, Agrar und Ökologie/Nachhaltigkeit.
Bild: Birgit Hoyer