Die Synodenforen stellen das christliche Zeugnis in den Kontext von Macht und Gewaltenteilung, Dienst und Amt in der Kirche. Die Brüder Norbert und Heinz-Theo Arntz haben Josef Ratzingers Beitrag „Das katholische Priestertum“ in Robert Sarahs neuer Publikation gelesen und Anmerkungen formuliert.
In der gegenwärtigen Kirchenkrise liegt die Chance, über ein neues Verständnis ursprünglicher Formen geistlichen und liturgischen Zusammenlebens nachzudenken und diese ohne Klerikalismus und dubiose Reinheitsphantasien umzusetzen.
Melodramatische Schwärmerei von kultischer Reinheit und Enthaltsamkeit sowie klerikale Falschmünzerei, die schon in Ankündigung, Aufmachung und publizistischer Begleitmusik der gemeinsamen Veröffentlichung von Robert Sarah und Josef Ratzinger anklingen, prägen auch die Argumentationsstruktur des Beitrags von Josef Ratzinger, wenngleich sich dieser im Nachhinein von der Aufmachung der gemeinsamen Veröffentlichung durch seinen Sekretär distanzieren ließ. Immerhin enthält Ratzingers Argumentationslinie in sich Bruchstellen, die bei genauerer Betrachtung auch gegen die Intention und Argumentation des Autors nutzbar gemacht werden können.
Melodramatische Schwärmerei von kultischer Reinheit und Enthaltsamkeit.
So gibt Ratzinger in seiner einführenden Herleitung aus der Schrift zu, dass die urchristliche Bewegung wie der jüdische Pharisäismus als laikale Bewegungen auftreten und keine Ansätze für ein sazerdotales Priestertum aufweisen, verschweigt aber, dass es in der Jesusbewegung keinen Hinweis auf einen sazerdotalen Anspruch Jesu gibt, Jesus sich vielmehr als Rabbi und Meister anreden lässt. In dem vieldeutigen Titel „Menschensohn“ klingt höchstens ein messianischer Anspruch im Sinne prophetischer Kultkritik an.
Des weiteren verschweigt Ratzinger, dass das sazerdotale Priestertum der Sadduzäer im Judentum mit der Katastrophe der endgültigen Zerstörung des zweiten Tempels zu Jerusalem im Jahre 70 n.C. bis heute unwiederbringlich untergeht und alle diesbezüglichen Reinheits- und Enthaltsamkeitsvorschriften ihre Funktion verlieren. Das nachbiblische Judentum erneuert sich rabbinisch und pharisäisch. Der Titel „Cohen“ überlebt nur als Familienname. Abkömmlinge priesterlicher Familien mit diesem Namen haben im synagogalen Gottesdienst keine besondere Funktion mehr, geschweige denn kultische Reinheitsverpflichtungen, ihnen werden in historischer Reminiszenz höchstens gewisse ehrenhafte Bevorzugungen erwiesen.
Außerdem ist der Antiklerikalismus Jesu im Gleichnis vom barmherzigen Samariter und anderswo unüberhörbar deutlich neben der äußerst scharfen Kritik Jesu an klerikalem Gehabe von Pharisäern und Schriftgelehrten. Schwerwiegender für die Reform der christlichen Kirchen im Interesse der Einheit der Christen dürfte jedoch sein, dass sich die Mahlpraxis Jesu und selbst Form und Inhalt des Abendmahls nur begrenzt im Sinne eines christlichen Kultes mit entsprechenden Ritual- und Reinheitsvorschriften vereinbaren lassen. Es ist kein Wort Jesu bekannt, das in diesem Sinne ausgedeutet werden könnte.
Der Antiklerikalismus Jesu ist unüberhörbar.
Die Übertragung hohepriesterlicher Attribute auf Jesus durch apostolische bzw. nachapostolische Generationen kann durchaus antiklerikal verstanden und interpretiert werden. Zwar haben es die ersten Christen an Ehrerbietung gegenüber dem Tempel, solange er existierte, nicht fehlen lassen, die Entwicklung eines tempel-ähnlichen Kultes lässt sich jedoch in der frühen Christenheit schwerlich aufweisen.
Die Mahlgemeinschaft der ersten Christen hat ihren Platz in der Hauskirche wie das Sabbatmahl der jüdischen Familie – ohne sazerdotale Sonderfunktion.
Der spätere basilikale Kult kann den memorialen Charakter der Eucharistie nur unvollständig wiedergeben. In der gegenwärtigen Kirchenkrise bietet sich die Chance, im Sinne der Entschlackung über ein neues Verständnis ursprünglicher Formen geistlichen und liturgischen Zusammenlebens nachzudenken und diese zeitgemäß umzusetzen ohne Klerikalismus und dubiose Reinheitsphantasien.
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Text: Norbert Arntz, Pfarrer em., Heinz-Theo Arntz, Diplomtheologe, Kleve.
Bild: Deutsche Bischofskonferenz (DBK)
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