Als Corita die berühmten Campbell-Suppendosen von Andy Warhol zum ersten Mal sieht, ist das für sie wie eine Epiphanie. Daniela Feichtinger über eine fast vergessene Nonne und Künstlerin.
Wir schreiben das Jahr 1962. Corita besucht mit einer ihrer Klassen das Museum. Sie ist zu diesem Zeitpunkt dreiundvierzig und seit einem Vierteljahrhundert Nonne in der Gemeinschaft Immaculate Heart of Mary, wo sie als Kunstlehrerin tätig ist.
Aufgewachsen in Iowa und Kalifornien als Tochter einer irisch-katholischen Arbeiterfamilie, geht der Ordenseintritt für die erst Achtzehnjährige damals mit einem Namenswechsel einher: Aus Frances Elizabeth Kent wird Schwester Mary Corita. Auch zwei ihrer Geschwister fühlen sich zu einem geistlichen Leben berufen. Ihr Bruder wird Priester, ihre ältere Schwester ist bereits einige Jahre zuvor in dieselbe Gemeinschaft eingetreten.
Aushängeschild einer progressiven Kunstschule
Corita studiert Kunst und beginnt bald, am Immaculate Heart College zu unterrichten. Jahre später wird sie das Kunst Department der Schule leiten, doch noch hat Schwester Magdalen Mary das Heft in der Hand. Sie leitet die Einrichtung geschäftstüchtig und mit Weitsicht, indem sie nicht nur eine bedeutende Volkskunstsammlung anlegt, sondern auch Coritas künstlerische Tätigkeiten fördert. Schon bald gewinnt die junge Nonne erste Preise und avanciert zum Aushängeschild der progressiven Kunstschule.
Seit ihrem Masterabschluss 1951 befasst sich Corita mit Siebdrucken. Sie ist fasziniert von der Möglichkeit, große Auflagen zu produzieren, die zu erschwinglichen Preisen gekauft werden können. Noch widmet sie sich der eher gegenständlichen Darstellung klassisch-religiöser Szenen. Als sie 1962 jedoch Warhols Suppendosen sieht, ändert sich ihre Herangehensweise grundlegend. Ganz im Sinne der Pop Art fängt sie an, die Konsumkultur als Quelle und Ausdrucksmittel der Kunst zu sehen.
Vielleicht kann man die Psalmen nicht verstehen, ohne die Zeitung zu verstehen – und umgekehrt.
Ihre Drucke ähneln nun Plakaten: Die gegenständlichen Elemente treten hinter grelle Farben und einnehmende Schriftzüge zurück und verschwinden schließlich ganz. Die religiösen Themen, mit denen sie sich zeitlebens beschäftigt hat, bringt sie nun ganz selbstverständlich mit Snoopy-Zitaten, Slogans für Brot oder Beatles Songs in Verbindung. Bewegt vom politischen Klima der Zeit, engagiert sich Corita ab den 60ern auch an dieser Front und greift Themen wie den Vietnamkrieg auf. Über das Verhältnis des Religiösen zum Profanen sagt sie:
Vielleicht kann man die Psalmen nicht verstehen, ohne die Zeitung zu verstehen, und umgekehrt. Vielleicht klingt es deshalb so gut, wenn man eine Zeile aus der Zeitung nach jeder Zeile eines Psalms einfügt und vorliest. Vielleicht waren sie nie getrennt gedacht… Wir entscheiden uns dafür, das LEBEN die ganze ZEIT über ANZUSCHAUEN, und obwohl wir begreifen, dass sie [sc. die Zeitungen] in gewisser Hinsicht Comics für Erwachsene sind, sind sie auch voller Dinge, die sprechen. Ein Foto eines verwundeten Soldaten wird zum Andachtsbildchen.[1]
Als die Pop Art 1962 eine neue Künstlerin gewinnt, eröffnet Papst Johannes XXIII. das Zweite Vatikanische Konzil. Aufregende Zeiten brechen an – so sieht das auch die Frauengemeinschaft vom unbefleckten Herzen Mariens im fernen Los Angeles. Ihr gefeierter Star, Schwester Mary Corita, scheint den Geist des Aufbruchs und der Erneuerung zu verkörpern, den die ganze Gemeinschaft atmet. Tragischerweise ist die Erzdiözese Los Angeles jedoch mit einem Kardinal gesegnet, der von der vatikanischen Aufbruchsstimmung nichts wissen will. Wiederholt geraten die Ordensgemeinschaft und James McIntyre aneinander – wiederholt ist die exponierte Pop Art Künstlerin der Stein des Anstoßes.
Im Konflikt mit dem Kardinal
Als Corita der konventionellen Marienikonografie ein Update verpasst und die Gottesmutter als „die saftigste Tomate“ (the juiciest tomato of all, 1964) bezeichnet, ist das Maß wieder einmal voll: Der Kardinal verhängt ein Ausstellungsverbot. Im selben Jahr gestaltet Corita allerdings auch eine Wand des Vatikan-Pavillons bei der Weltausstellung in New York. Ihr guter Freund, der Jesuit Daniel Berrigan, kommentiert: „Sie ist nicht frivol, außer in den Augen derer, die das Leben als Problem betrachten.“[2]
Der Konflikt zwischen der Gemeinschaft und dem Kardinal eskaliert zusehends. Die Schwestern sind überzeugt, das Konzil im Sinne der katholischen Kirche zu verstehen und zu leben. Der Wunsch, den Habit abzulegen, ist dabei nicht der wichtigste Aspekt. Ihnen geht es um eine tiefgreifende Umgestaltung ihres Gemeinschaftslebens. Doch Rom sendet ein vernichtendes Schreiben und delegiert die Entscheidungsgewalt zurück an den Kardinal.
McIntyre wiederum stellt die Nonnen vor die Wahl: Entweder, sie beugen sich seiner strengen Reform, oder es steht ihnen frei, sich von ihren Gelübden entbinden zu lassen. Hunderte Schwestern verlassen die florierende Gemeinschaft und verlieren ihre Arbeit als Lehrerinnen. Auch Corita, die sich 1968 nach jahrzehntelanger Schlaflosigkeit und Überarbeitung ein Sabbatical genommen hat, geht. Unter den fast siebzig Nonnen, die bleiben, ist ihre leibliche Schwester.
In der Selbständigkeit
In den darauffolgenden Jahren muss sich Corita erst in der noch fremden Selbstständigkeit und Freiheit zurechtfinden. Den Namen, unter dem sie bisher Kunst geschaffen hat, behält sie. Unablässig macht sie nun in Boston Siebdrucke, deren Stil sich abermals wandelt. Pastellfarben halten Einzug, das Plakative nimmt ab. Viele ihrer Schülerinnen schwärmen auch noch Jahre nach ihrer Ausbildung bei Corita über deren äußerst fordernde, aber befreiende Unterrichtsmethoden. Mit einer von ihnen, Jan Steward, schreibt sie schließlich Learning by Heart, um ihren originellen Zugang und Geist für die Nachwelt zu bewahren.
Neben den berühmten Siebdrucken hinterlässt Corita noch weitere künstlerische Spuren in der Welt. 1971 kreiert sie mit dem Rainbow Swash, einem 46 Meter hohen Gastank, das größte Copyright-geschützte Kunstwerk der Welt. Ein Jahr vor ihrem Lebensende designt sie noch die Love-Briefmarke für die US-amerikanische Post, die über 700-Millionen-mal verkauft wird. An ihrer Krebserkrankung, die sie zwölf Jahre lang in verschiedenen Formen begleitet, stirbt sie schließlich 1986 im Alter von 67 Jahren.
Die Würdigung ihrer Theologie steht aus.
Schon 1968 heißt es in der New York Times, Corita habe für Brot und Wein getan, was Warhol für Suppendosen getan hat. Trotzdem gerät die Künstlerin, deren Werke sich bis heute weltweit in renommierten Galerien finden, nach ihrem Tod zusehends in Vergessenheit. Erst seit einigen Jahren werden ihr wieder verstärkt Ausstellungen und Publikationen gewidmet. Eine Würdigung ihrer Theologie, die auf Postkarten und Briefen sowie in Form von tausenden Drucken und Aquarellen Millionen Menschen erreicht hat, steht bislang noch aus.
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Daniela Feichtinger ist promovierte Alttestamentlerin und Autorin.
Von ihr u.a. auf feinschwarz erschienen:
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Bild: Thomas Hawk – photographer. Corita Kent – artist. / CC BY (https://creativecommons.org/licenses/by/2.5)
Literatur
Dammann, April: Corita Kent. Art and Soul. The Biography, Angel City Press: Santa Monica 2015.
Pacatte, Rose: Corita Kent. Gentle Revolutionary of the Heart, Liturgical Press: Collegeville 2017 (= People of God).
Siehe auch die homepage des Corita Art Center
[1] Zit. n. Ault, Julie: The Spirited Art of Sister Corita, in: dies.: Come Alive! The Spirited Art of Sister Corita, London: Four Corners 2006, 11-49, 23 (Übersetzung der Autorin).
[2] Zit. n. ebd., 15 (Übersetzung der Autorin).