Die Kolumne für die kommenden Tage 28
Es ist ja schon seit längerem bekannt: Die Kirchen werden gegenwärtig massiv von der Nutzerseite her umgebaut und von einem sakralen Herrschaftsverband zu einer religiösen Dienstleistungsorganisation umformatiert. An Stelle normativer Integration tritt im Bereich des Religiösen situative, temporäre, erlebnis- und intensitätsorientierte Partizipation. Die Kirchen werden also ziemlich anders genutzt, als ihr eigenes Selbstverständnis es gerne hätte. Für die katholische Kirche, die sich in ihrem Recht immer noch als so etwas wie eine religiöse Heilsbürokratie versteht, ist das nicht leicht zu akzeptieren.
In diesen Tagen erleben wir, wie die Erkenntnis, irreversibel unter die Nutzungsbedingungen und Nutzungsmuster der eigenen Follower geraten zu sein, aus den Studierstuben der pastoralen Analytikerinnen und Analytiker in das unmittelbare Erleben der pastoralen Basis wandert. Denn im Internet etwa entscheidet allein der individuell gefühlte Usernutzen über das Klickverhalten.
Meine Frau und ich, auch wir mussten unsere normale, eher traditionelle Ostergestaltung umformatieren. Wir mussten uns an den nicht-konventionellen Angeboten orientieren, die in gar nicht geringer Auswahl zur Verfügung standen, und wir folgten dabei situativ und individuell unseren unmittelbaren Eindrücken. Jetzt, da die Ostertage vorbei sind, können wir sagen: Es war gar nicht so schlecht. Es war sogar überraschend intensiv.
Regelmäßige Spaziergänge zu den geöffneten Kirchen in Gehentfernung, die sich auf kreative Weise auf die jeweiligen österlichen Tage eingestellt hatten, am Karfreitag und in der Osternacht die bischöflichen Liturgien aus dem Grazer Dom am PC, mit der schönen kleinen Zusatzerfahrung, die Glocken des Domes, da wir in seiner Nähe wohnen, hören zu können, würdig gefeiert mit Repräsentanten und Repräsentantinnen der Gemeinde um den Altar und musikalisch gestaltet von Orgel und einem Solistenquartett.
Dann waren da noch die kleinen filmischen Karwochen-Internet-Andachten aus der Gemeinde unseres Zweitwohnsitzes im multikulturellen Bonner Norden und des Papstes Urbi et orbi auf regnerisch-leerem Petersplatz: Alles in allem, schon rein zeitlich, war es eher mehr als sonst und nicht weniger intensiv. Dass wir am Ostersonntagabend auch noch zufällig in Graz Herz Jesu auf einem unserer Kirchgänge dazu kamen, als der Organist Händels Halleluja intonierte, war der Schlusspunkt einer Osterzeit, die wir nicht vergessen werden.
Diese Intensität mag auch dem gesellschaftlichen Ausnahmezustand und der Neuheit der Situation geschuldet sein. Sicher: Andere erleben solches und anderes ganz anders und treffen ganz andere Entscheidungen. Die prekäre Lage, unter die Nutzungsbedinungen und Nutzungsinteressen ihrer Mitglieder gekommen zu sein, bedeutet aber eben nicht nur Kontrollverlust, sondern auch ganz neuen Gestaltungsspielraum. Bisher wurde er kaum geahnt, noch weniger gestaltet.
Denn die klassischen Nutzer, wie wir auch, waren noch mehr oder weniger zufrieden mit den traditionellen Angeboten oder suchten sich eines, mit dem sie zufrieden sein konnten. Jene aber, die das nicht mehr waren und fernblieben, auf sie haben sich die Kirchen liturgisch nicht wirklich eingestellt. Dieses Jahr war es anders: Klassische Nutzer mussten neue religiöse Partizipationsmuster finden und die klassischen Anbieter Neues bieten, da das Alte nicht möglich war. Das setzte auf beiden Seiten Kreativität frei. Das war das Geschenk dieses Ostern.
Vor der Grazer Herz Jesu Kirche, auf ihren Stufen und in einem kleinen Park, lagerten übrigens stets wenn wir vorbeikamen, junge, recht fröhlich wirkende Menschen – selbstverständlich in gebührendem Abstand. Es war eine Freude, sie zu sehen und sich dazuzusetzen. Selbstverständlich in gebührendem Abstand.
Rainer Bucher ist Professor für Pastoraltheologie an der Universität Graz und Mitglied der feinschwarz.net Redaktion. Hier von ihm ein paar Überlegungen zu dem, was das Christentum in Zeiten von Corona zu bieten hat.
Bilder: Rainer Bucher