Die Kolumne für die kommenden Tage 41
Ich liebe das Leben, das Denken und offenbar Substantive. Mit den beiden ersten Wörtern im Titel antworte ich jedenfalls seit ein paar Tagen in Mails auf die netten Nachfragen, wie es mir mit Corona geht: irgendwie dazwischen eben. Ich habe das zweifelhafte Vergnügen, die ganze Dynamik der Pandemie als Dekan einer theologischen Fakultät erleben zu können.
Damit bin ich Teil des aktuellen Krisenaktivismus. Vielleicht sollte ich Krisenmanagement sagen, aber das wäre dann eher der Eindruck, den ich nach außen vermitteln will: Also den situativen Aktivismus, der sich von Ereignis zu Ereignis rettet und einzig möglich scheint, als souveränes Management zu kommunizieren. Die Universität unterscheidet sich da wenig von all den anderen Verwaltungen und Exekutiven: Erst mal abwarten, dann die politischen Vorgaben umsetzen, dann irgendwie das entstehende Chaos bewältigen und jetzt die schrittweisen Öffnungen organisieren.
Mir war deshalb während der ganzen Zeit nie langweilig – eher im Gegenteil. Zwischen all die Mails, Telefonaten, Videokonferenzen und Kaffeetassen schleicht sich langsam eine merkliche Dünnhäutigkeit. Liegt wahrscheinlich an der verbreiteten Mischung aus Krisenhamsterrad, familiärem Lagerkoller und bleibender Ungewissheit. „So viel Wissen über unser Nichtwissen und über den Zwang, unter Unsicherheit handeln und leben zu müssen, gab es noch nie“[1], hat Jürgen Habermas wunderbar altersklug formuliert. Ist aber halt anstrengend. Auch im universitären Alltag. Wie viele probiere ich seit Wochen immer neue Formate: Blended Learning, Webinare, Lernplattformen mit allen Gimmicks und mittlerweile sechs Videokonferenzdienste, um den Laden am Laufen zu halten.
„Wir alle sollten mit Aufmerksamkeit, aber auch Geduld und Nachsicht entdecken, was möglich ist und was sich bewährt. Nicht alles wird reibungslos und wohl auch nicht immer völlig gerecht ablaufen können.“ Das schreibe ich zu Veranstaltungsbeginn an Studierende und Lehrende. Und wohl auch an mich selbst. Vom Leitungspersonal werden praktikable und kluge Rahmenentscheidungen erwartet, die möglichst transparent und nachvollziehbar erklärt werden. Das klappt mal besser und mal weniger gut. Wie geht es, erwartungssichere Vorgaben und Prüfungsmodaliäten zu planen, während sich Tag und Tag und Woche für Woche die Bedingungen ändern? Frust und Enttäuschungen lassen sich da nicht vermeiden. Man kann es nicht perfekt, nur möglichst gut machen.
Mir sind biblische Text auch deswegen wichtig geblieben, weil sie eine tröstliche Ehrlichkeit zum Unvollkommenen und Uneindeutigen der Existenz transportieren. An diese Ehrlichkeit erinnern mich aktuell vor allem kleine, seelsorgeartige Ereignisse und Formate (journalistische, kirchliche, künstlerische, zufällige). Durch einen Podcast aus der Reihe „Was mich tröstet“ von Deutschlandfunk Kultur habe ich die ersten Zeilen von Anke Stellings „Schäfchen im Trockenen“ mit neuer Intensität gelesen. Zwischen Krisenaktivismus und Dünnhäutigkeit schiebt sich dann als drittes noch etwas überraschend Tröstliches:
„Hör zu, Bea, was das Wichtigste ist und das Schlimmste, am schwierigsten zu verstehen und, wenn du’s trotzdem irgendwie schaffst, zugleich das Wertvollste: dass es keine Eindeutigkeit gibt. Das muss ich hier zu Anfang, schon mal loswerden – weil ich es immer wieder vergesse. Und vermutlich vergesse ich es deshalb, weil meine Sehnsucht nach Eindeutigkeit so groß ist und die Einsicht, dass es keine gibt, mich so schmerzt. Aber gleichzeitig ist sie auch tröstlich. Wie kann etwas, das weh tut, mich trösten? Da hast du´s schon. Genau so was meine ich.“
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Michael Schüßler ist Professor für Praktische Theologie in Tübingen, Dekan der Kath.-theol. Fakultät und Redaktionsmitglied bei feinschwarz.net.
[1] Jürgen Habermas in der Frankurter Rundschau, https://www.fr.de/kultur/gesellschaft/juergen-habermas-coronavirus-krise-covid19-interview-13642491.html.