Feminismus in Ost- und Westdeutschland – dieses Thema stellen wir in einer Interview-Reihe in den nächsten Wochen immer mittwochs vor. Es geht um Anfänge, Aufbrüche und Aktuelles. Eva Harasta interviewte für feinschwarz.net Feministinnen aus Ost und West. Heute im Gespräch mit Angelika Engelmann.
Angelika Engelmann, 1950 in Dresden geboren, studierte 1971-76 evangelische Theologie in Greifswald und Leipzig.
Nach einigen Jahren im Pfarramt promovierte sie 1984 und arbeitete dann bis 1991 als Dozentin an der Ausbildungsstätte für Religionslehrerinnen in Radebeul. 1986 nahm sie als Delegierte des Bundes Evangelischer Kirchen in der DDR an der Gründungskonferenz der Europäischen Gesellschaft für theologische Forschung von Frauen (ESWTR) in Magliaso (Schweiz) teil. In der Folge wurde sie eine wichtige feministisch-theologische Stimme im Raum der DDR. Beruflich führte es sie nach der Friedlichen Revolution an das Haus der Kirche in Dresden (Theologische Leiterin, 1992-1995), an die Evangelische Hochschule für Soziale Arbeit in Dresden (Professorin, Rektorin, 1995-2005) und an ein Dresdner Gymnasium (Religionslehrerin, 2005-2015).
Harasta: Wie kamen Sie zur feministischen Theologie?
Engelmann: Mitte der 1980er Jahre war ich als Dozentin an der Ausbildungsstätte für Religionslehrerinnen in Radebeul. Die Direktorin der Ausbildungsstätte war Evamaria Taut und schon lange feministisch engagiert. Sie machte mich 1985 auf die erste „Feministisch-Theologische Werkstatt“ aufmerksam, eine Tagung in Hirschluch bei Berlin. Das war meine erste Begegnung mit feministischer Theologie und mit den Frauen, die sie in der DDR betrieben. Die Initiatorinnen der Werkstatt waren Elisabeth Adler (1926-1997) Direktorin der Evangelischen Akademie in Berlin -Brandenburg, Gudrun Althausen (1930 – 2007) Theologische Referentin der Frauen- und Familienarbeit in Berlin -Brandenburg und Annemarie Schönherr (1932 – 2013) Mitglied im Präsidium des Evangelischen Kirchentages und des Koordinierungsausschusses des Ökumenischen Forums Christlicher Frauen Europas.
Feministisch-Theologische Werkstatt – Faszination und Irritation zugleich
Zur Feministisch-Theologischen Werkstatt kamen etwa 60 Theologinnen und Studentinnen aus allen evangelischen Landeskirchen der DDR zusammen, das war schön und eindrücklich. Ich fuhr hin als promovierte Alttestamentlerin und war fasziniert und irritiert zugleich! Da wurden biblische Texte erfahrungsorientiert gelesen und darüber gesprochen. Ich war damals ganz in der historisch-kritischen Exegese verortet und lernte nun neue Zugänge der Bibellektüre und Hermeneutik kennen. Es gab bis 1989 insgesamt drei Feministisch-Theologische Werkstätten. Sie führten zu einer DDR-weiten Vernetzung untereinander und brachten Erfahrungsaustausch sowie Engagement für mehr Geschlechtergerechtigkeit in der Kirche.
Noch eine zweite Begegnung hat mich zur feministischen Theologie geführt. Im Juni 1986 durfte ich als eine von zwei Delegierten des Bundes der Evangelischen Kirchen in der DDR an der Gründungsversammlung der Europäischen Gesellschaft für theologische Forschung von Frauen (ESWTR) in Magliaso (Schweiz) teilnehmen. Das war für mich eine sehr besondere Reise, auf der ich die wissenschaftliche Seite feministischer Theologie kennenlernte. Durch die Begegnungen mit europäischen Kolleginnen wurde mir in eindrücklicher Weise mein Kontext DDR bewusst, der sich deutlich von dem in westeuropäischen Ländern unterschied. In der DDR gab es nicht nur keinen Zugang zu feministischer Literatur, keine Reise- und Meinungsfreiheit, sondern es gab auch nur bedingt einen Austausch zwischen säkularen und christlichen Frauen zu Themen der Geschlechterfragen. Wunderbar an den Begegnungen und dem Austausch in Magliaso war, dass Kontakte und Freundschaften entstanden sind, die mir bis heute wichtig und wertvoll sind.
In der zweiten Hälfte der 1980er Jahre gab es neben der Feministisch-Theologischen Werkstatt auch Kirchentage der Landeskirchen und den gesamtdeutschen Theologinnenkonvent, der einmal jährlich in Berlin stattfand und alle drei Veranstaltungsformen waren Orte des Aufbruchs in feministisch-theologisches Denken und Handeln, das mich geprägt hat.
Feministisch-Theologischer Arbeitskreis als wichtigste Einrichtung ab 1987 in der DDR
Von der ESWTR-Gründungsversammlung 1986 kam ich sehr inspiriert zurück und fragte auf der nächsten Feministisch-Theologischen Werkstatt in Hirschluch nach Mitstreiterinnen, die in einem feministisch-theologischen Arbeitskreis in der DDR mitarbeiten wollten. So begann der Feministisch-Theologische Arbeitskreis im Oktober 1987 seine Arbeit.
Harasta: Wie wurde der Feministisch-Theologische Arbeitskreis aktiv? Wie war insgesamt die Lage für feministische Theologie damals?
Engelmann: Wir wollten einerseits feministische Theologie im Raum der DDR bekannter machen und andererseits dazu beitragen, dass sich feministisch-theologisch interessierte Frauen in der Kirche untereinander vernetzen. Und zugleich war eine Untergruppe des Arbeitskreises die ESWTR-Sektion in der DDR. Mitglieder waren Theologinnen und Pfarrerinnen, aber auch interessierte Laiinnen. In der kleinen Republik war die feministisch-theologische Szene überschaubar, aber wir waren aktiv! Wir gründeten vier Arbeitsgruppen, die relativ eigenverantwortlich vorgingen: „Themen feministischer Theologie“, „Bibellesende Frauen“, „Frauengerechte Sprache im Gottesdienst“ und schließlich „Soziale Umwelt von Frauen in der DDR“. Die Arbeitsgruppen bestückten auch unseren gemeinsamen Informationsbrief „Das Netz“, den wir von Januar 1988 bis Mai 1993 etwa jährlich veröffentlichten. Wobei „veröffentlichen“ gar nicht so einfach war.
In der DDR wurden alle Veröffentlichungen zensiert. Jedoch die Kirche hatte die Möglichkeit auf eigenen Vervielfältigungsgeräten Materialien herauszugeben, die mit dem Vermerk „Nur für den innerkirchlichen Dienstgebrauch“ gekennzeichnet werden mussten. Es gelang mir, einen Oberlandeskirchenrat in meiner Landeskirche, der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Sachsens, davon zu überzeugen, dass er zustimmte, unser „Netz“ zu drucken. Der betreffende Oberlandeskirchenrat war kein feministischer Theologe, aber er unterstütze uns und ähnlich positive Erfahrungen machten auch andere Theologinnen.
Dennoch waren die evangelischen Kirchen im Raum der DDR ähnlich wie die meisten damals in der alten Bundesrepublik sehr patriarchal geprägt. Zwar verstand sich der SED-Staat als „Musterland der Emanzipation“, aber die Realität, das Leben, sah differenzierter aus.
„Musterland der Emanzipation“? Das (schwierige) Eingeständnis einer Ungleichbehandlung
Der Staat DDR ermöglichte die Vereinbarkeit von Beruf und Familien. Es gab Kinderkrippen, Kindergärten und auch Kinderhorts, so dass Frauen berufstätig sein konnten. Und genau deshalb war es wohl für Frauen in der DDR schwieriger als für Frauen im Westen, sich einzugestehen, dass es eine Ungleichbehandlung gab, dass auch in der DDR in einer gewissen Weise Diskriminierung von Frauen stattfand und es die sogenannte gläserne Decke gab.
Erst nach dem Herbst 1989 konnte man(n) und frau offen darüber sprechen, dass die Propaganda vom „Musterland der Emanzipation“ nur bedingt stimmte. Es entstanden überall in den sogenannten neuen Bundesländern Gleichstellungsstellen in den Rathäusern und Universitäten. In den neu gegründeten Frauenzentren und Frauenbildungshäusern wurde und wird über Geschlechtergerechtigkeit reflektiert und an manchen Universitäten entstanden Gender Studies.
Harasta: Wie sehen Sie heute Ihr feministisch-theologisches Engagement? Und wo sehen Sie heute feministisch-theologische Herausforderungen?
Engelmann: Für mich ist Feminismus eine Frage des Bewusstseins, eine Frage der Bewusstseinsbildung. Feministisches Bewusstsein steht für mich in einem Zusammenhang mit anderen Gerechtigkeitsthemen, mit Bewusstseinsbildung für ökologisch nachhaltiges Handeln, für wirtschaftliche Gerechtigkeit und für Frieden. Heute würde ich keinen feministisch-theologischen Arbeitskreis gründen! Der Arbeitskreis war damals richtig und wichtig. Aber heute haben jüngere Frauen und jüngere Theologinnen entweder ein gewisses feministisches Bewusstsein oder sie entscheiden sich in bewusster Abgrenzung gegen feministische Fragen. Das ist einfach so und vielleicht merken manche Frauen und Theologinnen biographisch später, welche persönliche Weiterentwicklung ihnen feministisch-theologisches Denken bringen kann. Für unbedingt notwendig halte ich allerdings eine kritische Auseinandersetzung mit dem, was vor allem rechtskonservative Kreise heute unter Genderwahn verstehen.
Es geht mir heute um ein grundlegendes Bewusstsein für Gerechtigkeit
Für mich war das feministisch-theologische Engagement in einer bestimmten Lebensphase sehr stark. In der Folge haben sich dann die Gewichte verschoben. Aber die Erkenntnis, die eigene Erfahrung ernst zu nehmen und in das eigene theologische und politische Denken einzubeziehen, die verdanke ich der feministischen Theologie. Diese Erkenntnis prägt mich bis heute. Mir ist immer wichtiger geworden, dass man das Frauenthema nicht isoliert betrachten kann. Es geht mir heute um ein grundlegendes Bewusstsein für Gerechtigkeit. Ich will wahrnehmen, wo es besondere Gerechtigkeitsfragen gibt.
Heute sehe ich als Theologin eine besondere Herausforderung im christlich-jüdischen Gespräch und der Auseinandersetzung mit den unterschiedlichen Formen des Antisemitismus und des Rechtsradikalismus. Deshalb bin ich im Vorstand der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit in Dresden tätig und organisiere und veranstalte mit anderen entsprechende erfahrungsbezogene Bildungsangebote.
Das Interview führte PD Dr. Eva Harasta, Studienleiterin für Theologie, Politik und Kultur an der Evangelischen Akademie Sachsen-Anhalt e.V. in Lutherstadt Wittenberg.
Interessierte am Thema sind bereits jetzt herzlich zur Tagung „Ohne Frauen ist kein Staat zu machen. Frauenbewegungen in Ost und West“ (7. bis 9. Mai 2021) eingeladen – u.a. mit Angelika Engelmann.
Weitere Informationen – und Scans des Rundbriefes „Das Netz“ – finden sich im Digitalen Deutschen Frauen-Archiv: https://www.digitales-deutsches-frauenarchiv.de/akteurinnen/angelika-engelmann
Beitragsbild: Rolf Walter, Robert-Havemann-Gesellschaft
Foto: Angelika Engelmann, privat