„Blumenbilder wollte ich malen, gelandet bin ich im Paradies. Ein Textkobold hat mich gezwickt, darüber auch noch Worte zu verlieren. Der Versuch, über das Paradies etwas in Worte zu fassen, ist ein Unterfangen, an dem man eigentlich nur scheitern kann. Zudem kommt man dabei in Teufels Küche. Doch der Hafer hat mich gestochen, ein Rotkehlchen hat gerufen…“ Von Alois Neuhold.
„In meinem Herzen spielen Paradiese“ (Else Lasker-Schüler)
II.
Es gibt nicht nur die Unheilsgeschichte
So schreie ich nicht mit am Schlechtwettermarkt, ich versitz die kostbare Zeit nicht an den Lamentiertischen der Raunzer und Miesmacher. Ich nehme nicht teil am Ausweiden und Ausmalen, am Ausschlachten menschlicher Scheußlichkeiten und Grausamkeiten. Ins Weltjammergeheule, ins Weltjammergezeter stimme ich nicht mit ein. Ich zelebriere nicht den Untergang. Das tun schon viel zu viele und ziehen auf diese Weise weitere Kühe mit in den Abgrund.
Ich singe und male andere Lieder, andere Bilder, seitdem ich malen und denken kann, seit Jahren, seit Jahrzehnten, eigentlich immer schon, tagein, tagaus. Ich male an gegen eine Düsterwelt, gegen eine Trostloszeit. Ich sehe die Wirkmacht von Bildern. Seit einigen Jahren arbeite ich an Blumenbildern, an Innergärten und Trotzdemblüten. Zuvor töpferte ich an „Unnützbarkeitsgefäßen für ein himmlisches Hochzeitsmahl“. Ich male Gesichter und Antlitze. Ich habe Visionen. Ich halte dem Teuflischen, dem Höllischen ein anderes Gesicht entgegen, denn die Essenz der Welt kann sich nicht im Bestialisch-Grausamen erschöpfen, das uns im Menschen oft so erschreckend nahe vor Augen tritt. Die Höllenfratzen können nicht, dürfen nicht die Endzeitleuchten unseres Lebens sein. Ihnen huldige ich nicht. Ihnen streue ich keine Opfer…
Ich habe vor Zeiten auch einen Garten angelegt rund um meine Malerklause, ein Refugium der Vielfalt, Zufluchtsort für Tiere und Pflanzen, eine schmale Oase, rings umgeben von der Ödnis ausgedehnter, flächenzudeckender Monomaiskultur-Landschaften. Allabendlich fliegt ein Schwarm von Rebhühnern und Fasanen mit Gekreisch und Flügelrauschen ein in dieses Klein-Eden und hält Nachtlager in den Ästen und Wipfeln der Bäume.
Der tägliche Gang durch diesen Garten öffnet tausend Tore. Eine Wunderwelt flackert mir da entgegen, allen Untergangsrufen zum Trotz. In jeder Blüte flammt sie auf. Ich kann sie schnuppern, ich kann sie fühlen, ich kann sie sehen in all ihren Farben, in ihrem Feuer, in all ihren Lichtfarben-Ergießungen, in ihren Lichtfarben-Entfaltungen, in jedem Blatt, in jedem Rindenstück, in jedem Tautropfen. Jeder Erdkrümel, jedes Moosmolekülchen, jedes Spatzentheater spricht davon. Jede Blüte ist eine Botschaft, ein kristallener Lichtbote…
Eine Ahnung lässt sich dabei nicht überhören, nicht übersehen, eine Sehnsucht, ein Seelenschiff: hinter den Schreckenswänden, hinter den Gewehrkolben und Müllhalden dieser Welt blickt uns noch eine andere Welt entgegen. Wir mögen vertrieben sein aus dem Paradies, doch etwas von der Nabelschnur dorthin ist geblieben, dieser Faden, dieser Ur-Mutter-Fadenbezug, Lichtfaden, an den wir alle, wollend oder nicht, nach wie vor geknüpft und geseilt sind, trotz der vielen Verluste, trotz der vielen Vergehen…
Bereits der Blick in eine einzige Blüte, wenn sie zart und lichttrunken ihren Flügelaltar öffnet und ich staunend davorstehe, bestätigt diese Ahnung: ich sehe das Wunder des Lebens, den Zauber des Lebens, ein Buch der Offenbarung, es deckt sich ein Tisch, eine Hochzeitstafel, Ruhe und Frieden, den die Welt nicht geben kann, innerstes Leben, ja Freude, Farb- und Licht-Erfüllung, dieses feinste und kleinste Gewahrwerden eines erfüllten und gefüllten Lebens, kraftvoll, innig und schön, im Ein-Klang mit allem, breitet sich vor mir aus, ein Fenster in das „Allerheiligste“ des Lebens. Da kündet etwas von einer Schönheit, die nicht von einer vom Menschen zurecht gezimmerten, zurecht getüfteltenWelt ist, sondern von einer, die weiser und größer ist und unsere kühnsten Gedankensprünge millionenweit überspringt…
Die Uhren der Schöpfung, die Uhren des Paradieses gehen anders als die zeithackenden, hektisch zerteilenden Uhrmaschinen eines zeitteiligen Zeitalters…
Das Paradies, das ich sehe, ist kein Ferienparadies, keine Urlaubsinsel, kein Luxus- oder Wellnesshotel, kein Einkaufsparadies oder was heute sonst noch alles mit dem modischen Etikett „Paradies“ versehen wird, um damit Kunden und Gaumen zu locken und Umsätze zu steigern. Es ist nicht die mit Egomanie gehätschelte und ausschließende Wohlstands- und Wohlfühl-Oase. Es ist nicht der sauber gepflegte Privatgarten, auch nicht das zurechtgestutzte, unkrautfreie, persönliche Schrebergärtlein, rasenfein geschnitten mit den Gedankengängen eines ausreißenden und aussortierenden Gärtners…
Das Paradies ist nicht die heile Welt.
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Alois Neuhold wurde 1951 in Eggersdorf bei Graz geboren, studierte 1970–1976 Theologie in Graz, wurde 1977 zum Priester geweiht und 1978 suspendiert. Anschließend studierte er bis 1982 an der Akademie der bildenden Künste Wien, Abteilung Grafik, bei Max Melcher. In dieser Zeit fand er Anschluss zur Generation der Neuen Malerei in Österreich und wurde in Ausstellungen europaweit gezeigt. Nach 1987 zog sich Neuhold aus der Kunstöffentlichkeit zurück. Es entwickelte sich ein vollkommen eigenständiges Werk, das an der Grenze von Bildmagie, Kunst und Religion angesiedelt ist.
Der Text entstand zur Ausstgellung: Alois Neuhold: Innergärten und Trotzdemblüten. Verstreute Blütenblätter aus dem Gartenbuch eines verlorenen Paradieses. KULTUM Graz, 15. Mai – 10. Oktober 2020
Die Teile 3-5 folgen an den kommenden Sonntagen.