Zu den Grenzen der Theologie. Von Daniela Feichtinger.
Einige Jahre war ich Theologin im traditionellen Sinn. Damals habe ich im Rahmen meiner Dissertation schriftlich an der Schrift gearbeitet und meine Ergebnisse niedergeschrieben. Das erschien mir alternativlos: Erstens bin ich ein zutiefst schriftverliebter Mensch, und zweitens kann die Rede von Gott nur aus Wörtern bestehen. Oder?
Es blieb das Gefühl, zu wenig gesagt zu haben. Ganz gleich, wie viel ich sagte. Deus semper maior, hätte ich denken und es dabei belassen können. Schließlich ist Theologie das Studium der Grenzen des Sagbaren. Aber ich wusste, ich tat nicht mein Bestes – ich brachte mein Bestes in diesen Sprachspielereien gar nicht unter.
Dann erfuhr ich durch Oliver Sacks Buch „Der Mann, der seine Frau mit einem Hut verwechselte“ von Menschen, die an Aphasie leiden. Ihr Sprachzentrum ist stark beeinträchtigt oder zerstört. Doch gerade deshalb entlarven sie Lügen wesentlich besser als Gesunde: Sie lassen sich nicht von der Sprache irreführen. Ich frage mich seither, wie sie auf manche Predigt, manchen Religionsunterricht, manche theologische Vorlesung reagieren würden. Denn heute ist zwar oft die Rede von der hohlgewordenen Sprache des Glaubens. Aber ihre Hohlheit liegt meiner Erfahrung nach seltener am Analphabetismus des Publikums als an den Sprechenden, die nicht meinen, was sie sagen.
Der Dichter Tony Hoagland beschreibt den Selbstwiderspruch, um den es mir geht, sehr treffend in einem Text. Er fragt: „Wenn du von Liebe sprechen willst, warum nicht bei den Ringelblumen anfangen, / die du zu gießen vergessen hast?“[1]
Mittlerweile arbeite ich seit zwei Jahren mit Jugendlichen. Diese Arbeit ist für mich eine Manege der Glaubensperformance und ein gnadenloser Glaubwürdigkeitstest. Denn Jugendliche erahnen das Schicksal meiner Topfpflanzen. Sie messen meine Autorität an meiner Authentizität. Wahrscheinlich tun das Erwachsene auch. Aber sie schweigen darüber eher als ein frecher Teenager.
Mir liegt nichts an den großen Wörtern des Glaubens. Aber ich bin nicht willens aufzugeben, was sie bezeichnen. Ich will nicht in einer Welt leben, die Gnade nicht mehr erfahren, nicht mehr erkennen, nicht mehr erhoffen kann, und deshalb versuche ich mich an ihrer Menschwerdung. Wenn in mir etwas aufleuchtet, das in einem guten Sinn sprachlos macht, werden sich Worte finden. Schließlich sind Wörter wie „Muckefuck“ ausgestorben, weil es nicht mehr gibt, was sie bezeichnen.[2]
Seit dem Ende meiner akademischen Laufbahn gilt mein theologisches Interesse also der Pantomime und ihrer Reflexion. Einerseits beschäftigen mich Künstlerinnen und Künstler, die Gott bereits in genialer Weise unter den Bedingungen unserer Zeit ausgesagt haben, beispielsweise der Fotograf Ricard Terré[3] oder die Pop Art Künstlerin Corita Kent. Andererseits bewegt mich die Frage, wie subjektive Erfahrung zu einer Quelle der Theologie werden kann („Wrestling with the Unspeakable“).
Neuerdings hat sich eine weitere Möglichkeit ergeben, den Zusammenhang von Sprache und authentischem Vollzug zu bedenken. Gemeinsam mit Markus Schlagnitweit schreibe ich an einem Buch über den politischen Jesus. Der genaue Titel steht noch nicht fest, aber der Name Jesus wird wohl vorkommen. Er ist eine der größten Worthülsen unserer Zeit. Ganz gleich, wie interessant das Buch tatsächlich wird, entfremdet uns doch allein der Titel schon von einem großen Teil der Menschheit. Ich möchte niemanden irreführen, indem wir das Buch „Sex, Drugs and Rock’n’Roll“ nennen, und es am Ende doch wieder um Jesus geht. Aber ich fürchte, „Jesus“ ist als Titel für ein Jesus-Buch nicht weniger irreführend.
Jedenfalls ist das der nächste Zirkus, in dem ich als Pantomimin ein Tänzchen mit Gott wagen will. Im Sinne der Kunst hoffe ich, damit dem Unsichtbaren Gestalt zu geben.
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Daniela Feichtinger ist promovierte Alttestamentlerin und Autorin.
Bild: privat, Grafik: Juliane Maiterth
[1] Hoagland, Tony: Real Estate, in: Priest Turned Therapist Treats Fear of God, Minneapolis: Graywolf Press 2018, 64. Übersetzung der Autorin.
[2] Im Fall von „Muckefuck“, einer kaffeeähnlichen Substanz, ist wahrscheinlich auch niemandem leid darum.
[3] Der Beitrag erscheint demnächst im Sammelband zur Grazer Ringvorlesung „Kunst trifft Theologie“.