Berenike Jochim Buhl schreibt über Zwischenbereiche im Leben mit Kindern, in der Wissenschaft und der Theologie.
Warum ich Theologie, Latein und Philosophie studiert habe? Ich wollte „Futter für den Geist“. Die Vielseitigkeit der Fächer, die sich interdisziplinär ergänzten, reizte mich. Ich war als Zwischenläuferin fragmentarisch und fluide unterwegs, aber zufrieden. Zudem machte ich die Erfahrung, auf der Grenze kann man geschickt die Seiten wechseln: wurde angesichts einer verwitterten Inschrift die Latinistin in mir befragt, war ich eigentlich primär Theologin, forderte der Stammtisch Rechenschaft von mir, warum der Papst Kondome verbiete, konnte ich mich in die Rolle der Philologin retten, und der Joker Philosophie: geht immer.
Dann das Staatsexamen. Schule oder nicht Schule, das war die Frage. Und nach der interdisziplinär ausgerichteten Zula, die sich als Keimzelle einer Dissertation entpuppte, wurde das Dazwischenstehen das erste Mal zum Problem. Meine Vielseitigkeit war unpassend. Leider war ich nicht ganz Theologin. Leider musste ich nachsitzen. Mehrere Semester „Ergänzungsstudium“ folgten. Ich war gelinde gesagt genervt. Rom wanted it all, I wanted it now.
Lehrerin, darunter kann sich jede*r etwas vorstellen. Promovierende Alttestamentlerin jedoch erzeugte fragende Gesichter. Und was macht man damit? Nun ja, es gibt Berufe für Ehre und Brot. Berufe für Ehre und Berufe für Brot. Und dann gibt es die Theolog*innen. Ich bin gefühlt sowohl als auch und weder noch, bin genau richtig da, wo ich bin und zugleich fehl am Platz. Die Anfragen, die in den ratlosen Gesichtern derer stehen, die mein Beruf verwirrt, die stelle ich doch selbst an die Community, an die Theologie, an Kirche.
Zum Kaleidoskop der fragmentarischen Identität gesellte sich eine neue Rolle hinzu: Mutter zu sein. Das Gefühl zwischen Welten zu wechseln, ist seither stärker denn je. Dabei mache ich auch hier die Beobachtung, dass nicht ich diejenige bin, die sich ungenügend fühlt, nein, die Hölle, das sind die anderen. „Othering“ bringt das Problem gut auf den Punkt. Kompromisse aushalten, augenscheinlich Widersprüchliches akzeptieren, erfahren, dass Reibungen Spannendes hervorbringen, das habe ich selbst im Lauf der Zeit bei meinen Grenzgängen gelernt. Andere jedoch nicht.
Ich berichte in geselliger Runde davon, dass mein Sohn bald in die Kita geht, weil ich wieder arbeite. Entsetzte Gesichter. „Warum?!“ fragt mich entgeistert eine der Mütter am Tisch. Ob das Kind nicht wenigstens Großeltern habe, zu denen ich (=Rabenmutter) es geben könne. Die Mütter in der Krabbelgruppe sind merklich irritiert, wenn ich davon berichte, dass ich in Schlafpausen des Kindes einen Artikel schreibe. Ob das zu meiner Arbeit gehöre? Oder privat für mich sei? Ich scheitere an der Erklärung, als Wissenschaftlerin mein Hirn nie ganz auf privat stellen zu können. Und ich muss zugeben, beim Vorbereiten eines Vortrags zum Thema „Misogynie“, das sich über Monate in Stillpausen, zwischen Pekipkursen und Hausarbeit abspielt, ist die Absurdität nicht zu leugnen.
Sind wir in unserer Gesellschaft zwar bei einer kompromissbereiten postheroischen Identität angelangt, die flexibel verschiedene Erzählungen über sich selbst vereinen kann, werden bereits allzu triumphale Opfer-Stilisierungen in Theologie und kirchlicher Praxis überdacht[1], so steckt Mutterschaft offenbar noch mitten im Morast des Heroischen fest. Sei gefälligst für dein Kind da, du Opfer!
Das Toxische des „Otherings“, das mir von außen Kategorien überstülpt und meine Selbstzuschreibung subtil unterläuft, beschreibt Linda Martín Alcoff in Bezug auf Rasse und Rassismus. Gerade für „mixed identities“, bei denen widersprüchliche Körper-, Identitätskonzepte und Erwartungshaltungen in Konflikt geraten, konstatiert Alcoff eine besondere Sensibilität. Automatisch werden Hierarchisierungen und Fremdwahrnehmungen in das eigene Selbstbild übernommen, Diskriminierungen als Tatsache akzeptiert und verinnerlicht.[2]
Was Alcoff bezüglich Rassismus offenlegt, gilt auch für andere Diskriminierungen. Praktiken des Sehens und Sichtbaren führen zu verinnerlichtem „Konsens“-Wissen. Wie will ich gesehen werden und wie ist mein eigener Blick auf andere(s)? Bin ich im Dazwischen angreifbar, weil tendenziell als Fremdkörper im Blickfeld? Habe ich ein besonders geschultes Auge, weil ich es gewohnt bin, unterschiedliche Brillen zu tragen? Oder bin ich auf einem Auge blind, weil mein Sehnerv vor lauter Hin- und Herschweifen nicht mehr scharf stellen kann?
Vielleicht ist es kein Zufall, dass meine Doktorarbeit sich mit einem besonderen Dazwischen, einer biblischen Grenzgängerin auseinandersetzt: Lots Frau, die zwischen Rettung und Untergang zur Salzsäule erstarrt. Sie sieht und schert aus. Und wird fortan stereotyp als Negativbeispiel für fehlenden Gehorsam gesehen.
Ja, das innere Ringen zwischen Muttertier und gesundem Egoismus ist anstrengend. Ja, die permanente Rechtfertigung ad intra et ad extra ist nervenraubend. Nun aber bleiben Effizienz, Fokus, Dank, diese drei: ein effizientes Zeitmanagement, denn babylose Minuten sind teuer, eine fokussierte Theologie, denn das von Elternsein gefärbte Glas bündelt den Brennpunkt auf Sinnfragen hin und zuletzt die Dankbarkeit, als Grenzgängerin all diese Wege als Mama, Theologin, Wissenschaftlerin gehen zu dürfen.
Steine im Weg können heilsam sein: beim Stolpern, Stoßen, Anhalten schaut man sich um. Nicht alles, was nicht passt, muss passend gemacht werden. Egal ob Elternschaft, Wissenschaft mit praktischer Relevanz oder Kirche der Zukunft – ich wage weiter zu hoffen: Zwischenbereiche zahlen sich aus.
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Berenike Jochim-Buhl ist wissenschaftliche Assistentin am Lehrstuhl für Altes Testament der Katholisch-Theologischen Fakultät in Tübingen.
Bild: privat
Grafik: Juliane Maiterth
[1] Vgl. Michael Schüßler, Befreiung im Dazwischen. Postheroische Transformation von Caritas- und Diakonietheologie, ZPTh, 39. Jahrgang (2019-2), 151-170 online: https://www.uni-muenster.de/Ejournals/index.php/zpth/article/view/2730.
[2] Vgl. Linda Martín Alcoff, Visible Identities. Race, Gender, and the Self, Oxford 2006, 189-194.