Teresa Schweighofer über das Potenzial des „Do it yourself“ an der Nähmaschine, im Alltag und im Glauben.
In den Zwischen-Zeiten des Jahres – etwa in der Sommerpause im August –ist endlich mehr Zeit für das, was man landläufig Hobbys nennt. Meine Zwischen-Zeiten und Pausen verbringe ich seit einigen Jahren bevorzugt an der Nähmaschine. Damit gehöre ich zur sogenannten DIY-Community, deren Konjunktur in den letzten Jahren immer wieder beschworen wird (Vgl. Löffler 2017, 309f.). DIY steht für „Do it yourself“ und vereint eine ganze Reihe von Akteur*innen in einer imaginierten Community: Heimwerker*innen, Bastler*innen, Handwerker*innen und Expert*innen im Experimentieren mit allem, was man zu Hause und im nächsten Baumarkt oder Hobbyladen findet. Anleitungen für das Herstellen von beinahe allem hält das Internet bereit – vom Bau von Musikinstrumenten über Schnittmuster für Wanderrucksäcke und Zelte bis zu Rezepten für selbstgemachte Kosmetik und Putzmittel.
Aber DIY ist mehr als ein Hobby der Mittelschicht. DIY steht für eine Lebenseinstellung. Drei zentrale Charakteristika des DIY seien hier kurz erwähnt: Erstens ist hier der Weg wirklich das Ziel. Der Arbeitsprozess ist wichtiger als das Endprodukt. Dieses erinnert vor allem an die Tätigkeit des Selber-Machens und lässt die DIY-Künstler*innen Stolz empfinden. Dabei stellen – zweitens – Macken und kleine Fehler des Endprodukts geradezu das Markenzeichen des DIY dar. Erst durch die kleinen Ungenauigkeiten – schräge Nähte oder Schrammen jeglicher Art – wird deutlich, dass es ein echtes Einzelstück ist. Den singulären Charakter des DIY unterstreicht drittens das Bekenntnis zu radikaler und individueller Gestaltungsfreiheit, das wie ein Credo in dieser Community ständig rezitiert wird. (Schnitt)Muster und Anleitungen sind nur Empfehlungen, eher Vorschläge und Kreativitätsstützen. „Geheimtipps“ werden freimütig ausgetauscht und abgeändert.
Die Bewertungen des Selber-Machens sind durchaus ambivalent und reichen von der Diagnose Dilettantismus bis zur Bewunderung des originären Selbstausdrucks. Die Ethnologin Klara Löffler hält jedoch fest: „In der langen Geschichte der Diskurse rund um das Selbermachen und das Selbstgemachte haben sich die positiven Zuschreibungen verdichtet: Selbstgemachtes kann für gesunde Ernährung stehen, für nachhaltige Lebensführung, für soziales und politisches Bewusstsein“ (Löffler 2017, 322). Dabei verspricht Selber-Machen Authentizität, Kreativität und Einzigartigkeit – zentrale Werte dieser DIY-Milieus. Die Logik des DIY findet man längst nicht mehr nur in der Bastler*innen-Szene – DIY ist zum Lebensgefühl vieler, vor allem sozioökonomisch potenter Menschen geworden. Es prägt ihren Weltzugang und ihre Identitätsarbeit gleichermaßen. Kreativität wird hier mit Andreas Reckwitz verstanden als „Eigenschaftsbündel einer erstrebenswerten und zugleich allgemein erwarteten Subjektivität, die in der Lage ist, Neues zu schaffen und dabei sich selbst immer wieder auf überraschende Weise zu erneuern“ (Reckwitz 2016, 186f.). Die Pflege und Steigerung der eigenen Kreativität ist heute vielfach zur persönlichen Pflicht geworden und kann sich, so Reckwitz weiter, „potentiell (…) auf alle möglichen Bereiche menschlicher Existenz erstrecken und dort zu höchst diversen Ergebnissen führen.“ (Ebd.) Immer häufiger scheint zu gelten: Die Welt ist ein großes FAB-Lab und die eigene Biografie ist das DIY-Meisterstück.
Auf die DIY-Logik trifft man auch bei religiösen Fragen und in pastoralen Zusammenhängen: Es verstärkt sich der Anspruch, Dinge selbst machen zu wollen, Gestaltungsmacht auszuüben und persönliche Verantwortung zu übernehmen. Blickt man etwa auf die zentralen Konfliktlinien des Synodalen Wegs und vieler Auseinandersetzungen in Pfarren und Diözesen, wird deutlich, dass es häufig um Partizipation und die Forderung des Selber-Machen-Dürfens von Laien – im kirchlichen wie im allgemeinen Wortgebrauch – geht. Gestaltungsfreiheit auf ganzer Linie wird eingefordert: angefangen bei kirchlichen Strukturen bis hin zur autonomen Gestaltung der eigenen Sinnkonstruktionen, des eigenen Glaubens und der damit verbundenen Ausdrucksformen. Ich bin dieser DIY-Logik etwa im Rahmen meiner Promotion über Handlungskonzepte und Selbstverständnis Freier Ritualbegleiter*innen (vgl. Schweighofer 2019) und damit auf dem liturgisch-rituellen Feld begegnet. Dabei fällt auf, dass auch hier die drei skizzierten Merkmale des DIY greifen: Die Vorbereitung der Feier ist mindestens so wichtig wie das Ritual selbst. Es geht nicht um Perfektion, sondern um Singularität. Jede Vorgabe wird lediglich als Ideenlieferantin, Impuls oder Angebot begriffen. Aber nicht nur im außerkirchlichen Kontext funktionieren Rituale heute vermehrt nach diesem DIY-Prinzip. Auch im Kontext kirchlicher Liturgien lässt sich ein solcher Umgang mit dem Rituale Romanum und anderen liturgischen Vorgaben beobachten – ob es der kirchlichen Leitung oder der akademischen Theologie gefallen mag oder nicht. Gerade die letzten Monate haben eine erstaunliche liturgische Kreativität im Kleinen zu Tage gefördert und unter dem Stichwort DIY-Gottesdienste sind im Internet eine ganze Reihe von Anleitungen und Gestaltungshilfen zu finden. Befürchtungen, das würde zu „sektiererische(n) Formen des Christentums“ (Tück, 2020) führen, übersehen die bereits vorhandene Distanz und Trennung vieler Katholik*innen von ‚ihrer‘ Kirche und ihren liturgischen Formen. DIY ist ein lebendiger Teil pastoraler Praxis geworden, wohl nicht zuletzt wegen der DIY-Affinität der verbliebenen Kirchen-Milieus.
Spätestens damit ist die spätmoderne DIY-Idee zu einem theologischen Thema geworden. Viele Fragen sind hier offen: Wie lässt sich der Wunsch nach Selber-Machen im Kontext theologischer Theorien zu Gnade und zur Freiheit des Menschen verorten? Welchen Stellenwert haben die DIY-Theologien der Einzelnen für die akademische Theologie und das kirchliche Lehramt? Wie beeinflussen solche „Laien“-Theologien einander, wie werden sie konzipiert und welche Tutorials werden dafür benutzt? Ich sehe in solchen „Eigen-Theologien“ und ihren Konsequenzen ein interessantes Forschungsfeld, in dem kreative und kompetente Entwürfe ebenso anzutreffen sind wie weitgehend unreflektierte Kompilationen. Dieses Feld sollte vermehrt beobachtet, beschrieben und analysiert werden.
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Teresa Schweighofer ist Juniorprofessorin für Praktische Theologie an der Humbold-Universität zu Berlin.
Foto: Benjamin van Husen
Grafik: Juliane Maiterth
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Literatur:
Löffler, Klara: Bei Bedarf nach Lust und Laune. Das Selbermachen in den Relationen der Lebensführung, in: Langreiter, Nikola / Löffler, Klara (Hg.): Selber Machen. Diskurse und Praktiken des „Do it yourself“, Transcript 2017.
Reckwitz, Andreas: Kreativität und soziale Praxis. Studien zur Sozial- und Gesellschaftstheorie, Transcript 2016.
Schweighofer, Teresa: Das Leben deuten. Eine praktisch-theologische Studie zu Freier Ritualbegleitung, Echter 2019.
Tück, Jan-Heiner: Warum Do-it-yourself-Messen keine Antwort auf die Krise sein können, in: https://www.katholisch.de/artikel/25027-warum-do-it-yourself-messen-keine-antwort-auf-die-krise-sein-koennen.