Andreas Heek, Männerseelsorger, über die Herausforderung der neu entdeckten Männlichkeit für die Kirche. Und über katholische Männerarbeit.
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„Wir müssen unsere Männlichkeit wiederentdecken. Denn nur wenn wir unsere Männlichkeit wiederentdecken, werden wir mannhaft. Und nur wenn wir mannhaft werden, werden wir wehrhaft, und wir müssen wehrhaft werden, liebe Freunde.“ Dies raunte Björn Höcke auf der aufsehenerregenden Parteitagsrede der Alternative für Deutschland (AfD) schon 2015. Man könnte solches Reden als leeres, ja dummes Gerede abtun, als ein „typisch männliches“ Sich-in-die-Brust-Werfen eines überholten Männlichkeitsbildes und es belächeln. Aber leider ist es bitterer Ernst. Denn: in einem Spektrum der Gesellschaft, dessen Anteil um die zwanzig Prozent geschätzt wird, sind besonders Männer zumindest aufgeschlossen für solches Gedankengut.
Gefahr, dass eine überholt gedachte Männlichkeit des starken, gefühlsresistenten und rücksichtslosen Mannes wiederbelebt wird.
Für die Kirche und mithin für die katholische Männerarbeit brisant sind diese Diskussionen um ein neu erstarkendes „traditionelles“ Männerbild aus zweierlei Gründen: Erstens besteht die Gefahr, dass eine überholt gedachte Männlichkeit des starken, gefühlsresistenten und rücksichtslosen Mannes wiederbelebt wird. Zweitens stützt die Kritik an der als „Genderideologie“ diffamierten Diskussion über Geschlechtlichkeiten indirekt ein Männerbild, das zwar nicht so radikal ist wie das eines Björn Höcke, aber doch in mancher Hinsicht gefährlich anschlussfähig.
Gründe genug also, eine wachsame, einfühlsame und konsequent divers gedachte katholische Männerarbeit zu formulieren.
Katholische Männerarbeit ist schon lange keine „Ständeseelsorge“ mehr
Aus der Geschichte der katholischen Männerarbeit lernen
Eine Geschichte der katholischen Männerarbeit ist leider noch nicht geschrieben worden. Auch vielleicht aus dem Grund, weil eine geschlechtshomogene Pastoral für Männer in einigen Bistümern als ein Auslaufmodell angesehen wird. Dabei wird übersehen, dass katholische Männerarbeit schon lange keine „Ständeseelsorge“ mehr ist, sondern von den Gründungsjahren an, Stichwort Alfred Delp SJ, mit großem Schwung dann nochmals seit den 80er Jahren des letzten Jahrhunderts an der „Entgiftung“ toxischer Männlichkeitsbilder maßgeblich mitgearbeitet hat. Es wird leider auch manchmal übersehen, dass sich innerhalb der Kirche eine Männerpastoral etabliert hat, die dezidiert die gesellschaftlichen Umbauprozesse innerhalb der Geschlechterverhältnisse (gelebte, warmherzige Väterlichkeit, Beziehung zur Partnerin auf Augenhöhe, Bewusstwerdung der eigenen Verletzlichkeit, um nur einige Stichworte zu nennen) mitgestaltet hat. Die Früchte dieser beharrlichen Kommunikation mit Männern werden mittlerweile als selbstverständlich angesehen, sind aber einer geduldigen und beharrlichen Männerseelsorge zu verdanken.
Sosehr die Analyse der alten, toxischen Männlichkeit für deren Sichtbarmachung existentiell ist, so komplex ist gleichzeitig die Etablierung neuer Formen von Männlichkeit.
Diese Arbeit ist aber auch heute noch nötig. Dies hat einen einfachen Grund. Entgegen der Forderung einer radikalen „Dekonstruktion“ alter Männerbilder scheint es in der Realität vielmehr so, dass Männerbilder, die zum Teil über viele Jahrhunderte hinweg entstanden sind und die im kulturellen Gedächtnis eines jeden Mannes präsent sind, nicht einfach „auseinanderzuschrauben“ sind und anschließend zu einem neuen Mann „zusammengesetzt“ werden könnte. Eine solche Sicht wäre eine mechanistisch-männliche Sicht und ignoriert klassischerweise die Unsichtbarkeit von komplexen seelischen Prozessen. Sosehr die Analyse der alten, toxischen Männlichkeit für deren Sichtbarmachung existentiell ist, so komplex ist gleichzeitig die Etablierung neuer Formen von Männlichkeit. Dazu braucht es Einübung, Schutzräume der geschlechtshomogenen Gruppe, Vorbilder und einfache, gute Erfahrungen. Dies ist das Kerngeschäft katholischer Männerarbeit.
Männerphantasien
In der Neuauflage des Klassikers „Männerphantasien“ beschreibt Klaus Theweleit, wie die „Zurichtung“ des Mannes von der Entstehung der deutschen Nation nach 1871 bis hin zum zweiten Weltkrieg erfolgte.[1] Zurichtung wofür? Für die Schwächung der zaghaften Demokratieversuche, für die Errichtung einer Diktatur, für den Krieg, kurz: fürs Töten.
Appelle an „wahre“ Männlichkeit packen so manchen Mann bei seiner „Ehre“.
„Wahre“ Männlichkeit
So weit, wie Höcke es 2015 forderte, „der Mann“ müsse wieder wehrhaft werden, also „männlich“ in seinem Sinne, sind wir zum Glück noch nicht. Aber die Gefahr ist real, dass wieder sagbare „Männerphantasien“ anschlussfähig werden an das eben beschriebene kulturelle Erbe sehr lange gelebter Männlichkeit und Erwartungen an Männlichkeit, die nicht aus dem Langzeitgedächtnis entfernt werden können und somit stets abrufbar sind. Appelle an „wahre“ Männlichkeit packen so manchen Mann bei seiner „Ehre“. Hat „mann“ solches nicht noch von Vater und Großvater selbst erzählt und vorgelebt bekommen? Seine oftmals körperlich den Frauen überlegene Kraft ist ein verführerisches Symbol der Erinnerung an eine Männlichkeit, die Europa mindestens zwei Mal schon in die Katastrophe von Weltkriegen geführt hat. Herausgekommen sind verstümmelte und seelisch versehrte Männer, deren Nachkommen wir Männer sind und bleiben.
Frauenfeindlichkeit
Die auch heute wieder die Demokratie gefährdenden Männerbilder haben leider noch einen anderen, gravierenden Nebeneffekt, der bei den Freikorpssoldaten zwischen den Weltkriegen gut zu beobachten war: die Verachtung von Frauen, herrührend von einer verklemmten Angst vor allem Weiblichen. Dass die Verachtung von Frauen letztlich nur das Spiegelbild des Selbsthasses war, ist das Ergebnis einer selbstentfremdenden Männlichkeitserziehung. Ein sich selbst hassender Mann ist aber „praktischerweise“ eher gewalt- und zur Selbstaufopferung bereit.
In der rechtsradikalen Szene … Männerphantasien, wo man hinblickt.
In der rechtsradikalen Szene kann man das heute schon beobachten. Männerphantasien, wo man hinblickt. Dies allein könnte man als Randphänomen abtun und vom Verfassungsschutz beobachten lassen. Aber leider gibt es Anschlüsse, die bis weit in die Mitte unserer Gesellschaft hineinreichen.
Zum Beispiel macht sich in Teilen der Väterrechtsbewegung, die sich für die – berechtigte – gleichberechtigte Elternverantwortung nach Trennung und Scheidung einsetzt, mitunter ein verstörender Hass auf Frauen u.a. in sozialen Netzwerken breit. Dort wiederum verbreiten sich frauenfeindliche Texte einiger deutscher und nicht-deutscher Rapper, die im wahrsten Wortsinn unter die Gürtellinie (von Frauen) gehen und zurecht als psychische Gewalt einzustufen sind.[2]
Corona-Leugner
Bei den Demonstrationen gegen die Corona-Maßnahmen, insbesondere gegen die Maskenpflicht, sieht man nicht selten fitnessstudiogestählte Männer oder „Naturburschen“, die sich unangreifbar fühlen. Auch einige Männer an der Macht, Donald Trump (USA), Victor Orban (Ungarn), Recep Tayyip Erdogan (Türkei) oder Jair Bolsonaro (Brasilien) brüsten sich damit, keine Gesichtsmaske zu brauchen, weil sie „echte Männer“ sind. Alles Männerphantasien, die mit der Realität freilich nichts zu tun haben. Solche Männer knüpfen an ein Männerbild an, das längst überholt schien, aber noch abrufbar ist. Das Gefährliche ist eben, dass diese prominente Performanz von Männlichkeit wieder gesellschaftsfähig wird. So karikaturhaft diese Männer auch erscheinen, so wenig dürfen die Bilder und Sprüche, die diese verbreiten, unterschätzt werden.
Kurshalten im differenzierenden Sprechen über Männlichkeiten im Plural
Was ist zu tun?
Zunächst muss katholische Männerarbeit Kurs halten. Kurs halten in ihrem differenzierenden Sprechen über Männlichkeiten im Plural[3]. Dies ist ein probates „Gegengift“ gegen Vereinfachungen und Zuspitzungen. Kurs zu halten gilt es auch beim Diktum, dass nur der sich selbst bewusste Mann in der Lage ist, autonome Entscheidungen zu treffen, seine individuelle Männlichkeit zu leben, zerstörerische Kräfte abzuwehren und so resistent gegen den Missbrauch eines vermeintlichen männlichen Kollektivs (Stichwort: Volksgemeinschaft) zu sein. Das ist und bleibt Aufgabe christlicher Männerarbeit.
Aber das ist noch nicht alles. Wir als katholische Kirche müssen uns fragen, ob wir nicht zu einem Teil alte Männlichkeitsbilder triggern, wenn wir ohne Umschweife von der biologischen Geschlechtlichkeit auf die sozialen Rollen schließen und an diesen dogmenhaft festhalten. Wir müssen die Abgrenzung der Frauen von den Macht- und Lehrstellen der Kirche überwinden. Wir dürfen indirekt keine Männerphantasien beflügeln, wenn wir beispielsweise von „Genderideologie“ sprechen, anstatt uns konstruktiv auf den Geschlechterdiskurs einlassen. Sonst besteht die Gefahr, Vereinfachern in die Hände zu spielen, die Männer (wieder) „mannhaft“ machen und Frauen auf die Rolle der (potentiellen) Mutter reduzieren wollen.
In einigen Ländern Europas, z.B. in Polen, erklären sich immer mehr Städte und Regionen zu sogenannten „LSBTI-freien Zonen“.[4] Auch in Deutschland gibt es trotz weitgehender Liberalisierung in Bezug auf geschlechtliche Diversität immer noch Vorbehalte queeren Lebensformen gegenüber, auch und besonders am rechten Rand des politischen Spektrums. Auch innerhalb der katholischen Kirche werden immer noch zum Teil verstörende Vorurteile schwulen und lesbischen Menschen gegenüber gepflegt. Viele dieser negativen Klischees entspringen unter anderem einer maskulinistischen Sicht. Darin wird Männern schlichtweg abgesprochen, das eigene Geschlecht begehren zu dürfen, diese Begehrensform sogar als „weibisch“, auf jeden Fall aber als unmännlich diffamiert, was indirekt natürlich frauenfeindlich ist. Ein Normativitätsanspruch aber, welcher der offiziellen Lehre der Kirche befremdend nahekommt.
Die empathische Seite von Männlichkeit ist eine grundlegend menschliche Eigenschaft.
Aus dieser stichwortartigen Analyse ergeben sich für die katholische Männerarbeit drei aktuelle Aufgaben. Erstens setzt sie den zerstörerischen Männlichkeitskonzepten von gefühlskalter Härte und Unverletzlichkeit ein Männerbild entgegen, das sie in Jesus Christus findet, nämlich die empathische Seite von Männlichkeit, die eine grundlegend menschliche Eigenschaft ist. Jesus ist als der „neue Mann“ Garant für die verändernde Kraft moderner, vielfältiger Männlichkeitskonzepte. Jesu Leben der Liebe und die Anerkenntnis der eigenen Verletzlichkeit ist Leitbild für diese Arbeit.
Zweitens setzt sich Männerpastoral klar für die Rechte von Frauen als Teilhaberinnen von Macht und Einfluss in Gesellschaft und Kirche ein und wendet sich ausdrücklich gegen jedwede Art von Frauenfeindlichkeit.
Drittens macht sich katholische Männerarbeit stark für die Anerkennung der Diversität von Geschlechtlichkeit, die für die Anerkennung homosexueller Lebensformen und für die Inklusion von trans- und intergeschlechtlichen Menschen und Transpersonen eintritt.
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Autor: Dr. Andreas Heek leitet die Arbeitsstelle für Männerseelsorge und Männerarbeit in den deutschen Diözesen e.V. in Düsseldorf.
Beitragsbild: Pixabay
[1] Theweleit, Klaus, Männerphantasien, Berlin, 22020.
[2] Vgl. https://www.unhate-women.com/de/
[3] Vgl. in diesem Zusammenhang das exzellente Themenheft Maskulinitäten, Theologische und religiöse Aufgaben, hrsg. von Susan Abraham, Geraldo de Mori und Stefanie Knauss, in: Consilium, Internationale Zeitschrift für Theologie, 2, 2020.
[4] https://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2020-02/polen-lgbt-zone-pis-diskriminierung-eu-kritik
Vom Autor auf feinschwarz zur Thematik erschienen: