In einer heftigen Diskussion um den Fortbestand der Katholischen Sozialakademie Österreich (KSÖ) stellt Andreas Novy eine Tagungseinladung für den heutigen Tag (21.9.2020) vor, die die Solidarität mit der Leitung der Einrichtung ausdrückt.
Am 21. September findet eine Tagung ganz besonderer Art statt: „Auswege aus der Mehrfachkrise: Katholische Soziallehre als Kompass“ ist als Dialog zwischen Religion und Wissenschaft geplant. Das ist noch nicht einzigartig, auch nicht, dass Grußworte des Bundespräsidenten und eines ehemaligen Nationalratspräsidenten vorgesehen sind. Einzigartig ist, dass diese Tagung organisiert wird, um sich mit der Katholischen Sozialakademie Österreich (KSÖ), ihrer Leitung und ihren MitarbeiterInnen zu solidarisieren.
Kirchenleitung fordert radikale Neupositionierung
Aus bis heute nicht öffentlich nachvollziehbaren Gründen hat die katholische Kirchenleitung vor, die KSÖ gänzlich umzubauen, sie als „Marke“ (auf welchem Markt?) und als „Kompetenzzentrum“ (mit welchen christlichen Kompetenzen?) neu zu positionieren, so als wäre sie ein Produkt oder Unternehmen wie jedes andere. Vielleicht meint die Kirchenleitung, auf diese Weise zeitgemäß zu sein. Doch begibt sie sich mit dieser Diktion, die mehr einem gewinnorientierten Betrieb als einer ethisch-motivierten Institution entspricht, auf gefährliches Terrain. Zum einen verlässt sie den Boden einer Christlichen Soziallehre die immer kritisch gegenüber der Dominanz eines verengten Denkens in wirtschaftlichen Begriffe ist. So stehen nicht „Kompetenz“ und „Markt“, sondern die Bewahrung der Schöpfung und ein solidarisches Gemeinwesen, in dem alle gut leben können, im Zentrum des Denkens und Schreibens von Papst Franziskus.
Warnung vor der Dominanz des Wirtschaftlichen innerhalb
der kirchlichen Lehre
Und sie steht auch im Zentrum der Bildung und Beratung, die von der KSÖ seit Jahren angeboten. Es ist eine Konstante nicht nur der Enzykliken von Papst Franziskus, sondern der katholischen Soziallehre allgemein, vor genau dieser Dominanz des Wirtschaftlichen, vor falsch verstandenem Eigennutz-Denken und Gier zu warnen. Der Wirtschaft ihren Platz zuzuweisen als einem gesellschaftlichen Bereich, der unsere gemeinsame Lebensgrundlage sichert, ist das Thema zahlreicher päpstlicher Enzykliken. Diese Sichtweise, während der Covid-10 Pandemie als „Gesundheit geht vor Wirtschaft“ verkürzt, liegt auch dem Thema obiger Tagung zugrunde, in deren Zentrum Johannes Schasching, einer der Vordenker zeitgemäßer christlicher Soziallehre steht.
Notwendiger Dialog zwischen
Wissenschaft und Religion
Zum anderen distanzieren sich die Bischöfe damit auch von einem kirchlichen Selbstverständnis, wie es Papst Franziskus in den vergangenen Jahren praktiziert – und wie es die Katholische Kirche langsam, aber doch, umzusetzen beginnt. Nehmen wir die aktuelle Covid-19 Kommission des Vatikans, so sehen wir auch dort, dass der Papst den Dialog von Wissenschaft und Religion ernst nimmt. So liefern der Kommission angesehene Wissenschaftseinrichtungen wie das World Resources Institute, das University College London und das Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung Inputs für die Positionierung der Katholischen Kirche angesichts der, wie es im Tagungstitel heißt, „Mehrfachkrise“, in der wir uns befinden: Klimakrise und Verlust der Artenvielfalt, gefährdeter sozialer Zusammenhalt, fehlende globale Solidarität und neue Formen von Krieg und Gewalt. Auch hier ist die KSÖ die wichtigste Einrichtung der österreichischen Katholischen Kirche, um ebendiese Aufgabe wahrzunehmen. So hat die KSÖ jahrelang ein „gutes Leben für alle“ als ihren ethischen Kompass verwendet. 2015 und 2017 war sie Mitveranstalterin und Ideengeberin von zwei großen „Gutes Leben für alle“-Kongressen an der Wirtschaftsuniversität Wien, mit jeweils mehr als 1000 Teilnehmenden.
Eine starke kirchliche Stimme im Dienst der Zivilgesellschaft und des Gemeinwohls
Österreichs Bischöfe müssten erfreut sein, über das Interesse am Dialog von Religion und Wissenschaft. Und sie müssten jubeln, welch angesehene Fachleute sich an diesem Dialog bei der September-Tagung beteiligen – von Anton Pelinka bis zu Christoph Leitl, von Gewerkschaftern bis zu Ordensschwestern.
Die Katholische Bischofskonferenz, wenn sie nicht offen mit den Reformbemühungen von Papst Franziskus brechen will, täte gut daran, diese österreichische Stimme zu stärken, die sich um die Bewahrung der Schöpfung sorgt, sowie im Dialog mit der bunten österreichischen Zivilgesellschaft und einer dialogbereiten Fachwissenschaft steht.
kooperativ, gewaltfrei, solidarisch
Sie sollten rechtzeitig erkennen, dass keine Neuausrichtung notwendig ist: Die KSÖ ist schon heute ein „Kompetenzzentrum“: Sie ist die hörbare Stimme von Papst Franziskus und seiner Sorge um das gemeinsame Haus – wie seine bekannte Enzyklika „Laudato si“ heißt. Sie lebt die Sorge um das gemeinsame Haus, das alle Menschen bewohnen. Und sie ist schon heute eine „Marke“: als katholische Stimme für ein gutes Leben für alle in einem vielstimmigen Chor derjenigen, die die aktuelle Mehrfachkrise kooperativ, gewaltfrei und solidarisch lösen wollen.
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Autor: Andreas Novy ist Leiter des Institute for Multi-Level Governance and Development an der Wirtscahftsuniversität Wien und Präsident der International Karl Polanyi Society.
Informationen zur Tagung: www.ksoe.at
Die Tagung kann online über einen YouTube-Kanal verfolgt werden.
Photo: Jacek Dylag / unsplash.com