In der Reihe «Ignatianische Impulse» treffen sich Teresa von Ávila (1515–1582) und Ignatius von Loyola (1491–1556) zu einem fiktiven Gespräch über die Bedeutung der Herkunft für die spirituelle Biografie von Frauen und Männern. Rolf Weibel hat diesem Gespräch aufmerksam zugehört.
«… ich finde unser Gespräch spannend und erhellend. Unsere Herkunft, unsere Lebensform und unser Geschlecht spiegeln sich offensichtlich in unserer Spiritualität. Du warst viel – oft allein – unterwegs, ein Pilger, und dein Angelpunkt war die Suche nach dem Willen Gottes im Hier und Jetzt. In langjähriger Arbeit hast du deine Übungen systematisiert und damit für unzählige Übende zugänglich gemacht.
Dies war weniger meine Art. Ich lebte im Kloster in einer Gebetstradition, die das mündliche Beten betonte – mit der Gefahr, dass das gemeinsame Stundengebet ohne eine echte, spirituelle Gottesbeziehung ‹absolviert› wurde. Das klingt vielleicht etwas despektierlich. Aber ich litt darunter und dies trug wesentlich dazu bei, dass mir das innere Gebet so wichtig wurde. Wir waren also beide aus unterschiedlichen Gründen herausgefordert, eine eigene Spiritualität und Gebetspraxis sozusagen neu zu erfinden.» (27f)
Zu Lebzeiten sind sich die beiden nie begegnet.
So fasst Teresa von Ávila in ihrem fiktiven Gespräch über Geschlecht und Spiritualität mit Ignatius von Loyola zentrale Einsichten ihres Austauschs zusammen. Zu Lebzeiten sind sich die beiden jedoch nie begegnet. Zum Gespräch zusammengeführt werden sie von Karl Graf und Theres Spirig-Huber, die zusammen auch Exerzitienkurse und Seminare für spirituell orientierte Biografiearbeit leiten. In diesem konstruierten Gespräch kennen sich Teresa und Ignatius sehr gut und vor allem kennen sie ihre Schriften, aus denen sie denn auch ausführlich zitieren.
Freundschaftspflege
Im ersten Teil des Gesprächs (biografischer Zugang), erzählen Teresa und Ignatius einander ihr Leben: wie sie aufgewachsen sind, was sie als junge Erwachsene geprägt hat und was in den Grenzerfahrungen der Lebensmitte gewachsen ist. Bei Teresa führten Krankheit und innerliche Krise zum inneren Beten, was für sie nichts anderes ist als «Verweilen bei einem Freund, mit dem wir oft allein zusammenkommen, einfach um bei ihm zu sein, weil wir sicher wissen, dass er uns liebt» (25). Ignatius wurde durch seine schwere Verwundung im Kampf um Pamplona in eine Krise und zu einer grundlegenden Neuorientierung geführt. Auch für ihn wurde es sehr wichtig, mit Christus im Gespräch zu sein wie mit einem Freund. Während für Teresa das Verweilen wesentlich war, ging es für Ignatius zentral darum zu erkennen, was er für Christus tun soll. Darum entwickelte er die Methode der «Geistlichen Übungen» mit dem Ziel, Gott und seinen Willen zu suchen und zu finden bzw. Christus «mehr zu erkennen, um ihm mehr zu dienen und nachzufolgen» (26).
Auf diesem Weg gestalteten beide nicht nur ihre persönliche Spiritualität, sondern prägten darüber hinaus das Ordensleben.
Verweilen bei einem Freund.
Ignatius entwickelte mit seinen Gefährten nach und nach die Satzungen der Gesellschaft Jesu, eines nicht kontemplativen «Ordens», der in Kirche und Welt seelsorglich wirken wollte. Der Kontakt zu den Menschen verlangte Mobilität, zeitliche Flexibilität und Nähe zu den Menschen. Teresa baute in den neu gegründeten Klöstern eine alternative Gemeinschaft auf, «in der Frauen gleichberechtigt, unabhängig vom Stand und von ihrer religiösen Herkunft zusammenleben konnten, geschützt vor patriarchalen Zugriffen von Männern» (57). Zusammen mit dem jungen Karmeliten Juan do Santo Matía, der nach einem radikaleren kontemplativen Ordensleben suchte, gründete sie das erste teresianische Kloster für Männer; in der Einweihungsfeier erhielt der junge Karmelit den Namen Juan de la Cruz, Johannes vom Kreuz.
Teresianische und ignatianische Mystik
Nachdem sie sich im ersten Teil des Gesprächs über ihre biografischen Hintergründe ausgetauscht haben, sprechen sie im zweiten Teil über ihre Spiritualität. Dabei orientieren sie sich zum einen am Übungsweg, wie ihn Ignatius in seinem Exerzitienbuch ausgearbeitet hat, und zum andern am spirituellen Weg, wie ihn Teresa in ihrer Schrift «Wohnungen der inneren Burg» dargestellt hat. Ihr besonderes Interesse gilt den Gemeinsamkeiten und Unterschieden und wie sie sie mit ihrem Frau- bzw. Mannsein und ihrer Herkunft in Verbindung bringen. Dabei wissen sie sehr wohl, dass Unterschiede zwischen ihnen nicht nur mit ihrer Herkunft und ihrem Geschlecht, sondern auch mit ihrer Persönlichkeit zu tun haben.
Gemeinsamkeiten und Unterschiede – verbunden mit dem Frau- bzw. Mannsein
Das zeigt sich beispielhaft bei der Auseinandersetzung mit der Tugend der Demut. Teresa war als Frau eine falsche Demut, ein Duckmäusertum beigebracht worden. Ignatius dagegen musste den Stolz überwinden, ein Adliger zu sein, die «honra» (Ehre) und die ritterliche Kampfbereitschaft hinter sich lassen. Beide fanden so auf verschiedenen Wegen zum Bewusstsein, Gottes Geschöpf zu sein mit der Berufung, Gott zu loben, zu ehren und zu dienen.
Vom 21. ins 16. Jahrhundert und wieder zurück
Das Gespräch zwischen Teresa und Ignatius kann heutigen Menschen bei ihrer Suche nach einer authentischen Spiritualität hilfreiche Anregungen geben. Zum einen zeigt es die biografische Grundierung der Spiritualität grosser Vorbilder auf und kann so dazu ermutigen, bei der Suche nach einer eigenen Spiritualität die eigene Lebensgeschichte ebenfalls ernst zu nehmen. Zum andern eröffnet das Gespräch einen gleichsam anschaulichen Zugang zu zwei grossen Traditionen christlicher Spiritualität. Anders als bei einer ideengeschichtlichen Abhandlung lässt das Gespräch nie vergessen, dass es konkrete Menschen sind, in deren Leben die Ideen Gestalt gewinnen und Wirkung entfalten können.
… bei der Suche nach einer eigenen Spiritualität die eigene Lebensgeschichte ebenfalls ernst nehmen.
Dass Ignatius und Teresa als «Kinder unserer heutigen Zeit» reden, wie es in der Einleitung heisst, möchte ich indes relativieren. Wohl sagt Ignatius zu Teresa: «Du verweist gar auf das Buch der Sprüche 8,31 und nimmst damit, wie die Menschen der Moderne sagen würden, eine feministische Perspektive ein, obwohl dir das wohl gar nicht bewusst war» (79). Eine umfassende Übersetzung spiritueller Einsichten des 16. Jahrhunderts ins Heute müsste auch die Erfahrungen von damals mit heute möglichen Erfahrungen konfrontieren und abgleichen. Abstrakt ist das wohl kaum zu schaffen, weshalb die einzelne Leserin oder der einzelne Leser dazu herausgefordert ist.
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Rolf Weibel, Dr. theol., war Redaktionsleiter der «Schweizerischen Kirchenzeitung» und arbeitet nachberuflich weiterhin als Fachjournalist.
Bild: Franziska Loretan-Saladin
Das Buch:
Karl Graf / Theres Spirig-Huber, Mit Charme gewinnen – kämpfend vorangehen. Teresa von Ávila und Ignatius von Loyola im Gespräch über Geschlecht und Spiritualität, Reihe «Ignatianische Impulse», Band 87, Echter Verlag, Würzburg 2020, 109 S.
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