Drei Jubiläen von Erklärungen zu Menschen- und Frauenrechten können in diesem Jahr 2020 gefeiert werden: Die UN-Charta (75 Jahre), die UNO-Frauenrechtskonvention CEDAW (40 Jahre) und die Beijing-Deklaration (25 Jahre). Ist dies tatsächlich ein Anlass zum Feiern? Den steinigen Weg zu den Erklärungen und was weiterhin zu tun bleibt, schildert Doris Strahm.
Am 24. Oktober wird die UN-Charta 75 Jahre alt. Sie wurde 1945 nach Ende des Zweiten Weltkriegs verfasst, um „künftige Geschlechter vor der Geissel des Krieges zu bewahren“, wie es in der Präambel heisst, „um den Glauben an die Grundrechte des Menschen, an Würde und Wert der menschlichen Persönlichkeit, an die Gleichberechtigung von Mann und Frau sowie von allen Nationen zu bekräftigen, um Bedingungen zu schaffen, unter denen Gerechtigkeit und die Achtung vor den Verpflichtungen aus Verträgen und anderen Quellen des Völkerrechts gewahrt werden können“. Als Ziel wird unter anderen definiert, eine „internationale Zusammenarbeit herbeizuführen, um internationale Probleme wirtschaftlicher, sozialer, kultureller und humanitärer Art zu lösen und die Achtung vor den Menschenrechten und Grundfreiheiten für alle ohne Unterschied der Rasse, des Geschlechts, der Sprache oder der Religion zu fördern und zu festigen“. In der UN-Charta wird unter anderem also auch die „Gleichberechtigung von Mann und Frau“ als Ziel postuliert.
Die Entwicklung der Menschenrechte in Bezug auf die Geschlechter
Schauen wir uns anlässlich des Jubiläums der UN-Charta kurz die Entwicklung der Menschenrechte in Bezug auf die Geschlechter an.
Das Konzept der Menschenrechte unterstellt zwar, dass alle Menschen allein aufgrund ihres Menschseins mit gleichen Rechten versehen sind. Das Menschenrechtssystem wurde jedoch vor allem von Männern ausgestaltet und die Menschenrechte galten nicht von Anfang an in gleicher Weise auch für Frauen. Die feministische Kritik an den Menschenrechten gehört denn auch zu den historisch ältesten Einwänden und machte deutlich: Die Menschenrechte gelten nicht universell, sondern haben ein Geschlecht. So schlossen die amerikanische Unabhängigkeitserklärung von 1776 und die französische Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte von 1789 Frauen aus, da sie als nicht gleichwertige, das bedeutet mit gleichen Rechten ausgestattete Menschen verstanden wurden. Die Menschen- und Bürgerrechte galten nur für Männer, bis 1794 auch nur für „weisse“ Männer. „People of Color“ und die indigene Bevölkerung in den Kolonien waren ebenso wie die Frauen von den Menschen- und Bürgerrechten ausgeschlossen.[1]
Olympe de Gouges (1748-1793)
Die französische Frauenrechtlerin Olympe de Gouges (1748-1793) stellte daher schon 1791 der französischen Erklärung eine „Erklärung der Rechte der Frau und Bürgerin“ gegenüber. In dieser forderte sie u.a. die Ebenbürtigkeit der Frau mit dem Mann, die gleichen Rechte der Frau auf Eigentum, Sicherheit und das Recht auf Widerstand gegen Unterdrückung.[2] Doch die Hoffnung auf Gleichberechtigung wurde nicht erfüllt und Olympe de Gouges bezahlte ihren Kampf um Frauen-Menschenrechte mit dem Leben – was auch heute noch in vielen Ländern der Welt der Fall ist.
Erst im 19. Jahrhundert errang die erste Frauenbewegung die Gleichheit der Geschlechter als zentrales menschenrechtliches Anliegen. Dieses zeigte sich in der rechtlichen und verfassungsrechtlichen Niederschreibung der Geschlechtergleichheit in zahlreichen Staaten und im 20. Jahrhundert dann in der Charta der Vereinten Nationen im Jahr 1945.
Die „Allgemeine Erklärung der Menschenrechte“ von 1948
Die „Allgemeine Erklärung der Menschenrechte“ von 1948 stellt in Artikel 1 Freiheit und Gleichheit in einen unauflöslichen Zusammenhang und bezieht sie auf alle Menschen, unabhängig vom Geschlecht: „Alle Menschen sind frei und an Würde und Rechten gleich geboren.“ Durch eine geschlechtsneutrale Formulierung von Menschenrechten, zusammen mit einem Verbot von Diskriminierung aufgrund des Geschlechts, sollten die Menschenrechte auch für Frauen umgesetzt werden. Doch es zeigte sich, dass trotz dieses Übereinkommens die politischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Gegebenheiten Frauen noch immer weitgehend diskriminierten. Ab den 1960er Jahren gab dann die sog. zweite Frauenbewegung neue Anstösse für die Rechte von Frauen, indem sie u.a. einen eigenen Menschenrechtsvertrag für Frauen forderte. Dieser sollte die Lebenswirklichkeit von Frauen einbeziehen, Menschenrechtsverletzungen, die Frauen aufgrund ihres Geschlechts erleiden, in den Menschenrechtskatalog aufnehmen, staatliche Pflichten verdeutlichen und wirkliche Gleichheit herbeiführen.
Das „Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau“ (CEDAW)
Das Jahr der Frau, das die Vereinten Nationen für 1975 ausriefen, die UN-Dekade der Frau und die damit verbundenen Weltfrauenkonferenzen unterstrichen diese Forderung. Im Jahr 1979 wurde das „Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau“ (CEDAW) durch die UNO Generalversammlung verabschiedet und trat 1981 in Kraft. Diese Frauenrechtskonvention ist das bedeutendste Menschenrechtsdokument für Frauenrechte. Sie beinhaltet Diskriminierungsverbote, die annähernd die gesamte Lebenswirklichkeit von Frauen betreffen, und verbietet direkte und indirekte Diskriminierungen.
Für die Entwicklung der völkerrechtlich garantierten Menschenrechte ist CEDAW ein Meilenstein, weil die Konvention die Unrechtserfahrungen von Frauen in einer menschenrechtlichen Sprache formuliert und auf dieser Grundlage die menschenrechtlichen Pflichten der Staaten konkretisiert.[3] So sind die Staaten verpflichtet, „alle geeigneten Massnahmen“ zu treffen, „um einen Wandel in den sozialen und kulturellen Verhaltensmustern von Mann und Frau zu bewirken“, um so zur Beseitigung von Vorurteilen und herkömmlichen Vorstellungen von der Unterlegenheit oder Überlegenheit des einen oder anderen Geschlechts sowie zur Überwindung von stereotypen Rollenverteilungen von Mann und Frau zu gelangen (Art. 5a).
CEDAW sorgt zudem für ein Monitoring.
CEDAW definiert erstens für alle Lebensbereiche, was Gleichstellung bedeutet und macht diese zur internationalen Pflicht. Zweitens macht sie deutlich, dass man Gleichstellung oft nur durch positive Massnahmen erreicht. Das heisst: Benachteiligte Frauen werden so lange gefördert, bis die tatsächliche Gleichstellung erreicht ist. Und drittens sorgt CEDAW für ein Monitoring: Die Staaten müssen regelmässig in einem Staatenbericht darlegen, was sie für Fortschritte gemacht haben. Das ist auch eine Chance für die Zivilgesellschaft, speziell für NGO’s, die sich für Frauenrechte einsetzen. In sog. Schattenberichten zeigen sie auf, wo aus ihrer Sicht Handlungsbedarf besteht. Die internationalen Expert*innen im CEDAW Ausschuss vergleichen und prüfen die Berichte und richten Empfehlungen an die Staaten. So werden die Frauenrechte von innen und von aussen beobachtet.[4]
Gewalt gegen Frauen als Menschenrechtsverletzung
Die Weltkonferenz für Menschenrechte 1993 in Wien verurteilte erstmals in der Geschichte der Vereinten Nationen ausdrücklich Gewalt gegen Frauen als Menschenrechtsverletzung und bezeichnete geschlechtsspezifische Gewalt, sexuelle Belästigung, Vergewaltigung in und ausserhalb der Ehe, sexuelle Ausbeutung, internationaler Frauenhandel und sowie alle für Frauen schädliche traditionellen Praktiken als unvereinbar mit der Würde und dem Wert der menschlichen Person.[5] An der Internationalen Konferenz für Bevölkerung und Entwicklung in Kairo (1994) wurden dann erstmals Sexualität und sexuelle Gesundheit nicht mehr nur in Bezug auf ihre Verletzung, sondern positiv gefasst: Sexuelle Gesundheit wird als Teil der reproduktiven Gesundheit verstanden. Das Aktionsprogramm der Kairo Konferenz war das erste internationale Dokument, das „reproduktive Rechte“ und „sexuelle Gesundheit“ als Rechte aufnahm, welche von Hilfsprogrammen geschützt werden sollten.
4. Weltfrauenkonferenz (1995) in Beijing
Auch auf der 4. Weltfrauenkonferenz, die 1995 in Beijing stattfand, wurde bekräftigt, dass Frauenrechte Menschenrechte sind. In der verabschiedeten Aktionsplattform verpflichten sich die Staaten, die Gleichstellung der Geschlechter in allen Gesellschaftsbereichen voranzutreiben (Gendermainstreaming), die (sexuellen und reproduktiven) Rechte der Frauen zu schützen, Frauenarmut zu bekämpfen, geschlechtsspezifische Diskriminierungen in den Gesundheits- und Bildungssystemen abzubauen und Gewalt gegen Frauen als Menschenrechtsverletzung zu verfolgen.
Anlässlich von 40 Jahren UNO-Frauenrechtskonvention CEDAW und 25 Jahre Beijing-Deklaration und -Aktionsplattform stellt sich die Frage: Welche Rolle spielen diese zwei gewichtigen Frauenrechtsdokumente in der Schweiz?
Welche Rolle spielen CEDAW und die Beijing-Deklaration in der Schweiz?
Das Übereinkommen CEDAW wurde von 189 Staaten unterzeichnet, darunter auch die Schweiz. Diese unterzeichnete die Konvention bereits 1981, ratifizierte sie jedoch erst 1997. Die Bestimmungen der CEDAW Konvention sind für die Schweizer Behörden rechtsverbindlich. Sie verpflichtet die Schweiz zudem, Fortschritte und Lücken im Gleichstellungsbereich regelmässig zu dokumentieren und zu überprüfen. In einem vier-Jahres-Zyklus müssen die Staaten vor dem CEDAW Ausschuss berichten, wie der Stand der Umsetzung im eigenen Land aussieht. Die Schweiz befindet sich aktuell im Zyklus zum 6. Staatenbericht, gleichzeitig wird von der Zivilgesellschaft ein Schattenbericht erstellt.
Staatenbericht und Schattenberichte
In der Schweiz ist es die „NGO-Koordination post Beijing“ (www.postbeijing.ch), die als Dachorganisation und Netzwerk von 35 Frauenrechtsorganisationen und Frauenverbänden (darunter auch die kirchlichen Frauenverbände SKF und EFS sowie die IG Feministische Theologinnen) jeweils gemeinsam mit den Mitgliedsorganisationen einen Schattenbericht erstellt. Wie der Name besagt, geht die Gründung des Netzwerks auf die 4. UNO-Weltfrauenkonferenz in Beijing zurück. Seither setzt es sich dafür ein, dass es in der Schweiz in Sachen Frauenrechte und Geschlechtergerechtigkeit vorwärts geht. Doch im Jubiläumsjahr von Beijing+25 zeigt sich, dass viele der zentralen Gleichstellungsforderungen in der Schweiz noch immer nicht umgesetzt sind: Lohngleichheit, Vereinbarkeit von Familie und Beruf, keine Diskriminierung in der Altersvorsorge, nationaler Aktionsplan gegen häusliche und sexuelle Gewalt u.a. So gibt es zwar in Sachen Frauenrechte einige Erfolge zu verzeichnen, Grund zum Feiern gibt es im Jahr der Jubiläen aber nicht.
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Text und Bild: Doris Strahm, Dr. theol., feministische Theologin und Publizistin, www.doris-strahm.ch.
[1] Vgl. Ulrike Auga, Menschenrechte und Geschlecht. Zum religiösen, kulturellen, politischen und sozialen Diskurs in nationalstaatlicher und globaler Perspektive, in: „Menschenrechte auf dem Prüfstein: Frauenrechte zwischen Religion, Kultur und Politik“, Tagungs-Dokumentation, hg. vom Interreligiösen Think-Tank u.a., Basel 2017, S. 14f. Als PDF abrufbar unter: www.interrelthinktank.ch.
[2] Wolfgang Kruse, Die Französische Revolution, Paderborn 2005, 134.
[3] Auga, a.a.O., S. 15f.
[4] Bisher ist die Frauenrechtskonvention jedoch über Fachkreise hinaus wenig bekannt und wird kaum genutzt. Dem will ein kurzer Erklärfilm „CEDAW kurz erklärt – die UNO-Frauenrechtskonvention und die Schweiz“ abhelfen. Er wurde von der NGO-Koordination post Beijing Schweiz und der Eidgenössischen Kommission für Frauenfragen zum 40-jährigen Bestehen der Konvention erstellt: https://www.youtube.com/watch?v=KPWEWzAmkiY. Der Film ist in vier Sprachen verfügbar (d, f, i, e) und eignet sich für Bildungsangebote in Schulen ab Stufe Sek II, in Frauen- und Menschenrechtsorganisationen, in der Politikvermittlung oder an Schulen für soziale Berufe.
[5] Vgl. Regina-Maria Dackweiler, Frauenrechte sind Menschenrechte: Transnationale Frauenbewegungspolitik zwischen Erfolgsgeschichte und Rückschlägen, in: Zeitschrift für Menschenrechte 1/2009: Frauen-Menschenrechte, S. 37-53.
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