Religiöse Stimmen zur Corona-Pandemie sind vielfältig und werden von den Medien mit unterschiedlicher Aufmerksamkeit bedacht. Tobias Balle zeigt Verbindungen zwischen lauten rechtsnational ausgerichteten Bewegungen und religiösen Corona-LeugnerInnen auf, die versuchen in der Corona-Pandemie ihre christlich-fundamentalistischen Ansichten zu verbreiten.
Am 29.11. begann die Adventszeit 2020 und damit eine Zeit der Stille. Dieses Jahr könnte diese Zeit stiller sein als in den letzten Jahren. Die Corona-Pandemie hat zu Beginn des Jahres dafür gesorgt, dass unser Alltag unterbrochen und die Erde still wurde. Wenn man so möchte, eine vorweggenommene – wenn auch leider aufgezwungene – Adventszeit. Auch jetzt, im zweiten Lockdown, ist es ohne die Weihnachtsmärkte, -feiern, -konzerte und abgesagten Verwandtschaftstreffen stiller als sonst in dieser Jahreszeit üblich. Dadurch ist die Möglichkeit gegeben, dass diese Zeit des Jahres weniger unter dem Stern des Konsums steht, sondern vielleicht wieder mehr Besinnlichkeit in den Advent einkehrt, dass existenzielle Fragen gestellt werden (können).
Stiller als sonst in dieser Jahreszeit
Diese stellen sich besonders Jugendlichen in der Corona-Krise, wie die neueste Sinus-Jugendstudie gezeigt hat. Insbesondere die Fragen, wie es allgemein, aber auch für sie selbst und ihre Familien weitergeht.[1] Etwas nicht-Sichtbares hat unseren Alltag unterbrochen und hält für uns offen, wie es in der Zukunft weiter geht. Es zeigt uns unsere Endlichkeit auf und dass wir nicht alles in der Hand haben und planen können, so sehr wir auch versuchen uns und die Welt zu perfektionieren. Hier deutet sich schon an, dass die Pandemie auch zutiefst religiöse Themen und Fragen aufwirft.
Die Pandemie wirft religiöse Themen auf.
Auf diese Fragen können das Christentum und damit auch die christlichen Kirchen Antworten anbieten. Aber um die meisten deutschen Bischöfe und Pfarrer war es in dieser Krisenzeit bei diesen Themen so still, dass man meinen könnte, sie hätten ihren Advent auf das ganze Jahr ausgedehnt; als würden sie die Ankunft von jemandem ab- und erwarten, der sie aus ihrer selbstverschuldeten Lage rettet. Es gab aber auch viele Gläubige und Gemeinden, die sehr kreativ wurden, um anderen weiterhin helfen und gelebte Nächstenliebe auch unter solchen Bedingungen praktizieren zu können. Dass sie nicht die mediale Aufmerksamkeit bekommen haben, die sie verdient hätten, ist wirklich schade und dass unsere Hirten so still bleiben eine Schande!
Viele Gläubige und Gemeinden wurden kreativ.
In der Öffentlichkeit bekamen vielmehr die Demonstrationen gegen die Corona-Maßnahmen viel Aufmerksamkeit, weil dort am lautesten geschrien wird. Unter der Querfront der selbsternannten „Freiheitskämpfer“ aus VerschwörungsideologInnen, EsoterikerInnen und Rechtsextremen finden sich auch nicht wenige ChristInnen. So mag es kein Zufall sein, dass viele der TeilnehmerInnen der Demonstrationen und die sogenannte „Querdenker“-Bewegung aus dem deutschen „Bible-Belt“ stammen. Der Historiker und Politikwissenschaftler Michael Lühmann bezeichnet damit die Gebiete des sächsischen Erzgebirges und des Stuttgarter Umlands, weil sie ähnliche evangelikale Strukturen aufweisen, die auch Auswirkungen auf das gesellschaftliche und politische Leben haben, wie die in den USA damit bezeichneten Landstriche.[2] Zudem verbinde beide Gebiete eine Hauptsache-Dagegen-Haltung, die sich schon bei Themen wie der Gleichgeschlechtlichen Ehe gezeigt habe.[3]
Der deutsche „Bible-Belt“
Jeder Vernunft zum Trotz wurde in den Massenveranstaltungen der Demonstrierenden auch gesungen. In gewissem Sinne zwar adventlich, aber alles andere als christlich. Das Gebot der Nächstenliebe wird dort mit Füßen getreten, weil dadurch das Wohl der unmittelbar und mittelbar Nächsten gefährdet wird. Es sind auch hier nicht die liberalen Stimmen des Christentums, die zu vernehmen sind, sondern die radikalen Formen des Christentums. Weil letztere versuchen die Krise v.a. durch die Demonstrationen aktiv zu nutzen, um ihre Botschaften weiter zu verbreiten. Dafür nehmen sie in Kauf, dass sie im Schulterschluss mit Rechtsradikalen und VerschwörungsideologInnen stehen, sofern sie nicht schon selbst welche sind. Liberale, vernünftige und wirklich christliche Menschen werden von den Medien dann eher ausgeblendet, weil ihnen klar ist, dass man sich von diesen Personen distanzieren muss und sie ihre Meinungen nicht durch Skandale medial pushen. Hingegen bekommen die radikalen Stimmen diese mediale Aufmerksamkeit, weil sie sich am lautesten Gehör verschaffen.
Es sind nicht die liberalen Stimmen des Christentums, die zu vernehmen sind.
Zu Beginn dieser Pandemie ging ein Video des US-amerikanischen TV-Predigers Kenneth Copeland viral, dass mittlerweile über 2,1 Millionen Aufrufe hat. Darin schreit er zwei Minuten lang in die Kamera, dass er als Prophet Gottes und im Namen Jesu Christi Covid-19 verurteile und mit der Macht Gottes mit sofortiger Wirkung zerstöre. Aus arrogant europäischer Sicht könnte man dazu sagen: „Die spinnen, die Amis!“ Schaut man sich jedoch die hiesige Situation an, insbesondere die im Laufe des Jahres angewachsene Querfront in den Demonstrationen gegen die Corona-Maßnahmen, sollte man doch lieber erst einmal vor der eigenen Haustüre kehren. Am besten im Sinne einer traditionellen schwäbischen Kehrwoche: gründlich und regelmäßig.
Es wird Zeit für die Kehrwoche!
Angefangen bei Christian Stockmann. Nach eigenen Angaben hat er sein Studium an der evangelischen Theologischen Fakultät der Humboldt-Universität nach sechs Jahren abgebrochen, weil ihn Gott kurz vor seinem Examen dazu berufen habe Prediger zu werden.[4] Er hat die Gruppe „Christen im Widerstand“ gegründet, um ChristInnen zu vereinen, die gegen die Corona-Maßnahmen der Regierung sind und ist bei mehreren Demonstrationen gegen die Corona-Maßnahmen als Redner aufgetreten. Auch bei den großen Demonstrationen in Berlin, bei denen er seine Botschaften vor allem durch sein selbstgeschriebenes Lied „Furcht ist niemals ein guter Berater“ an über 20.000 Menschen verbreiten konnte. In diesem, erst einmal harmlos klingenden und durch die Melodie sehr eingängigen Lied, ruft er in einer evangelikal-nationalistischen Manier Deutschland dazu auf, sich gegen die Corona-Maßnahmen aufzulehnen und betet dafür, dass unsere Knechtschaft bald vorbei sei.
„Furcht ist niemals ein guter Berater.“
Schon zu Beginn der Pandemie, in seiner Predigt am 21. März, die mittlerweile über 16.000 Aufrufe hat, rief er dazu auf die Gesetze zu brechen, um „die bösen Herrschaftssysteme der Welt zum Einsturz zu bringen“[5] und die Endzeit einzuläuten. Er betont dies mehrmals, weil seiner Ansicht nach in den Gemeinden ein „weichgespültes Christsein“ vorherrsche, mit dem ein Staat geehrt werde, der Gottlosigkeit lehre. Wie absurde und geschichtsrevisionistische Vergleiche zum Standardrepertoire eines Corona-Leugners oder -Verharmlosers gehören, so fehlen diese auch hier nicht. Zunächst vergleicht er seine „christlichen“ Forderungen zum Widerstand gegen die Einschränkungsmaßnahmen der Regierung mit dem Widerstand Daniels gegen den Befehl König Darius‘ 30 Tage lang nur an ihn Gebete und Bitten richten zu dürfen (Dan 6,6-12). Danach mit dem Widerstand einiger Christen, wie Franz Jägerstätter, in der NS-Zeit. Dabei schreit er in die Kamera: „Wir hatten eine Zeit, in der es staatliches Gesetz war ,Heil Hitler‘ zu rufen.“[6] Währenddessen zeigt er jedoch selbst den Hitlergruß. Im Video wird an der Stelle das Bild zwar unscharf gemacht, aber man kann es dennoch klar erkennen. Schließlich vergleicht er seine Forderungen zum Widerstand mit den Montagsdemonstrationen in der DDR 1989. In seinem selbst hochstilisierten Heldentum, bereitet er sich und seine Zuhörer darauf vor, dass sie schon bald ins Gefängnis geworfen werden, weil sie zu – seiner Meinung nach – biblischen Werten stehen würden. Welche dies genau sind, macht er jedoch nicht klar.
Seiner Ansicht nach herrsche in den Gemeinden ein „weichgespültes Christsein“ vor.
Ein noch bekannteres Gesicht in dieser Szene ist Samuel Eckert. Nachdem er von der Freikirche der „Siebenten-Tags-Adventisten“ ein Auftrittsverbot in den Gemeinden in Baden-Württemberg erhielt, weil er in seinen Predigten die Existenz von SARS-CoV-2 leugnete, fing er u.a. mit Bodo Schiffmann an in einem Bus von einer Stadt zur anderen zu fahren, um auf verschiedenen „Querdenker“-Demonstrationen als Redner aufzutreten. Neben absurden Vergleichen, wie dem mit Martin Luther: Dass er vor den Unterdrückungen nicht zurückweichen könne, um „die Wahrheit“ weiter verbreiten zu können[7], leugnet er weiterhin die Existenz des Virus und rechtfertigt das Vorgehen der Demonstrierenden auf der Grundlage seines „christlichen“ Glaubens.
Er leugnet weiterhin die Existenz des Virus.
Bei einem Auftritt in Pforzheim am 21. November, der mit 450 Teilnehmern vergleichsweise klein ausfällt, berief er sich auf Kapitel 13 des Römerbriefs. Er stellt sich selbst und seine Sache als Licht dar, die gegen die vorgerückte Nacht (die Regierung) kämpfen würden.[8] Seine mediale Reichweite ist indes viel größer. Seine Telegram-Gruppe, in der er pseudowissenschaftliche Artikel teilt, die seine Ansichten stützen sollen, hat über 120.000 Abonnenten. Mit seiner Reichweite versucht er aber auch gezielt, Kinder und Jugendliche zu erreichen und zu beeinflussen. Nach seiner Rede in Pforzheim lässt er eine Schülerin, Anna, die zu seinen „Youngsters“ gehört und zumindest auf Teilen der selbst so genannten „Corona Info Tour“ dabei ist, sprechen. Neben fragwürdigen Berichten von Einzelfällen an Schulen über schädliche Folgen durch das Tragen eines Mundschutzes, macht sie gezielt Werbung für Samuel Eckert. Damit sollen Kinder und Jugendliche im Alter zwischen 10-17 Jahren angeworben werden, um auch zu seinen „Youngsters“ zu werden. Indem dafür eine Jugendliche in den Dienst genommen wird, soll Gleichaltrigen gezeigt werden, dass es normal ist, in diesem Alter zu solchen Gruppen dazuzugehören und eine mögliche Hemmschwelle, sich diesen anzuschließen, wird dadurch gesenkt.
Er versucht gezielt, Kinder und Jugendliche zu erreichen und zu beeinflussen.
Nun könnte man behaupten – wie es leider immer noch häufig geschieht –, dass das Thema Religion immer mehr aus der Öffentlichkeit verschwinde und für Jugendliche keine große Anziehungskraft mehr habe. Friedrich Schweitzer et al. haben in ihrer Studie jedoch gezeigt, dass Jugendliche nach wie vor an religiösen Themen und Fragestellungen interessiert sind, aber bei institutionellen Formen des Glaubens eher auf Abstand gehen.[9] Daher können individuelle PredigerInnen durchaus mit ihren religiösen Ansichten bei Jugendlichen Gehör finden. Weil diese Personen eine so hohe mediale Aufmerksamkeit erfahren, drängen sich diese radikale Form des Christentums immer mehr in die Öffentlichkeit und werden dort, im Gegensatz zu den stillen Kirchen, vielleicht bald als die „normalen“ Formen des Christentums angesehen. Dann werden auch diese Personen eher Anlaufstellen für Jugendliche sein, die religiöse Antworten auf ihre existenzielle Fragen suchen. Oder im Gegenteil: weil die gemäßigten Stimmen nicht wahrgenommen werden, wenden sich vielleicht Jugendliche vom Christentums komplett ab, weil die Ansichten, die sie mitbekommen, zu radikal sind. Daher wiegt es umso schwerer, dass unsere Hirten in ihrem Advent verharren.
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Tobias Balle hat in Freiburg i.Br. Theologie und Geschichte auf Lehramt studiert.
Bild: Waldemar Brandt / unsplash.com
[1] Calmbach, Marc/ Flaig, Bodo/ Edwards, James u.a.: Wie ticken Jugendliche? 2020. Lebenswelten von Jugendlichen im Alter von 14 bis 17 Jahren in Deutschland, Bonn 2020, S.557-579.
[2] Lühmann, Michael: Meinungskampf von rechts. Über Ideologie, Programmatik und Netzwerke konservativer Christen, neurechter Medien und der AfD, Dresden 2016, S. 14-16; 21-25.
[3] https://www.spiegel.de/politik/deutschland/corona-warum-sachsen-und-stuttgart-zu-den-hochburgen-der-anti-corona-proteste-wurden-a-1d4b9bd8-1bfd-4682-bb83-d6a63efde8c1.
[4] https://www.youtube.com/watch?v=hiUwBNfVAic (Minute 3:30).
[5] https://www.youtube.com/watch?v=BdShvhyc1FA (Minute 12:26).
[6] Ebd. (Minute 17:54).
[7] https://www.t-online.de/nachrichten/deutschland/id_88633476/corona-leugner-mit-dem-netten-querdenker-samuel-eckert-in-die-apokalypse.html.
[8] https://samueleckert.net/pforzheim-youngsters-aliens-best-friend/ (Ab Minute 54:04).
[9] Schweitzer, Friedrich/ Wissner, Golde/ Bohner, Anette [u.a.]: Jugend – Glaube – Religion. Eine Repräsentativstudie zu Jugendlichen im Religions- und Ethikunterricht (Glaube – Wertebildung – Interreligiosität 13), Münster/ New York 2018, S.19.