38 Weihnachtsbäume – 38 Lebensbäume hat der Künstler Andreas Mühe in Szene gesetzt: ein Jahresbuch seiner Familie mit Licht und Schatten. Der vierte Teil unserer künstlerischen Reihe an den Adventswochenenden, kuratiert und getextet von Hannes Langbein.
Die Frage wie man einen Weihnachtsbaum schmückt, gehört zu den heikelsten der familiären Weihnachtsvorbereitungen: In manchen Familien gibt es bestimmte Vorstellungen von Schmuck und Gestalt des Weihnachtsbaumes, auch von bestimmten Rollenverteilungen: wer den Baum aufstellen und wer ihn wie schmücken darf. Hauptsache der Christbaum ist jedes Jahr wieder so wie er im letzten Jahr war.
jedes Jahr wieder – oder jedes Jahr anders
Bei Familie Mühe ist das anders. Denn Familie Mühe – die Familie des Schauspielers Ulrich Mühe („Das Leben der Anderen“) – schmückte ihre Weihnachtsbäume jedes Jahr anders, je nach Stimmung, Aufenthaltsort der Familie und je nach Charakter eines Jahres: mit Schmuck aus dem Erzgebirge oder Berchtesgaden, mit Spielzeugtieren, wenn ein Kind geboren wurde, mit Stoff-Puscheln statt der zerbrechlichen Glaskugeln in Wanderjahren, nur mit Kerzen und schmucklos im Todesjahr des Vaters.
38 Bäume aus 38 Lebensjahren hat der Fotograf Andreas Mühe, Sohn von Ulrich Mühe, aus der Erinnerung oder aus Fotoalben der Familie rekonstruiert und porträtiert: Ein Tage- bzw. Jahresbuch der Familie ist entstanden. Keine Idyllen. Denn auch wenn der Familienschmuck bisweilen putzig schimmert und Spekulatiusherzen von den Ästen baumeln, die Bäume stehen vor dunklem Fonds und werfen tiefschwarze Schatten. Lebensbäume, ja, aber mit allen Dunkel- und Schattenseiten des Lebens.
tief ins biblische Unterholz der Paradiesgeschichte
Dass die zum Leben dazugehören, vergisst man gelegentlich im Schein der Kerzen. Und doch führt eine Spur des Weihnachtsbaums bis tief ins biblische Unterholz der Paradiesgeschichte: Denn wer im Krippenspiel den Erlöser feiert, der muss auch sagen, warum es überhaupt einen Erlöser braucht. Und hier kommt die Geschichte vom Sündenfall ins Spiel – und der Baum der Erkenntnis, der schön anzusehende Äpfel wie Christbaumkugeln trägt: Eine „Lust für die Augen“! Krippenspiel und Schattenspiel. Der lange Schatten der Paradiesgeschichte reicht bis in unsere Wohnzimmer.
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Hannes Langbein ist Direktor der Stiftung St. Matthäus, Kulturstiftung der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz (EKBO) und Kunstbeauftragter der EKBO.
Bilder: Andreas Mühe, Serie Weihnachtsbäume 1979-2016, Fotografie, VG Bildkunst 2020.
Die Weihnachtsbäume von Andreas Mühe sind aktuell in der Berliner St. Matthäus-Kirche zu sehen.
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