Was erwarten wir vom neuen Jahr? Alexander Schmitt plädiert dafür, 2021 als Angebot zu verstehen, das wir annehmen sollten.
Das Jahr 2020 ist zu Ende. Was jetzt erstmal wie eine bloße Feststellung klingt, ist in Wahrheit eine Einladung. Der Raum, den wir gerade verlassen haben, nennt sich Advent. Wir kommen heraus aus einer Zeit der Stille und Besinnlichkeit, hinein in etwas Neues. Das Schild über der Tür zeigt leuchtend, gar aufdrängend: 2021! Nur eine Ziffer hat sich verändert und doch werden sich wohl viele wünschen, dass hoffentlich mehr als nur diese eine Ziffer im Blick auf den Flur der Zukunft anders sein wird.
Aber halten wir nochmal kurz inne: Was liegt eigentlich hinter uns? In absoluter Vollständigkeit können wir das an dieser Stelle nicht vertiefen. Einige Schlagzeilen sollten wir uns dennoch vor Augen führen.
Synodaler Weg:
Ich wünsche uns Mut, den Aufbruch ernst zu nehmen.
Der Synodale Weg nahm zum Februar 2020 den ersten Anlauf; viele Diskussionen folgten. Was die einen als falschen Weg verdammen, dem vermögen andere wiederum ihre tiefsten Hoffnungen in die Hand zu legen. Ich verstehe den Diskurs in erster Linie als Anreiz. Nämlich als Anreiz, über die Kirche, das System und das Miteinander in diesem System nachzudenken und darüber in eine bewusste Diskussion zu gehen.
Wenn wir nachdenken wollen, brauchen wir Anreize. Und so verstehe ich auch die Diskussionen um Gott* (anstelle von Gott) und das Jesus*kind (anstelle von Jesuskind). Ja, vielleicht sind viele Dinge auch nachträglich konstruiert. Ja, vielleicht sind einige Dinge auch gar nicht notwendig. Aber: Wäre es nicht verblendet und steif, uns stetig nur an jenes zu klammern, was wir kennen? Ich wünsche uns Mut, den uns zugestandenen Aufbruch ernst zu nehmen.
Die vielschichtige Christ*innenheit muss vielschichtig fragen und nach dem Vielschichtigen suchen.
Gestellte Fragen lassen sich nur mit Antworten zufriedenstellen. Wenn diese Antworten aber gar nicht erst gesucht werden, dann müssten wir auch die Fragen in ihrem Versteck belassen. Und das kann nun wirklich niemand wollen. Die vielschichtige Christ*innenheit muss vielschichtig fragen und nach dem Vielschichtigen suchen. Mit dieser Haltung möchte ich den Gläubigen begegnen – den Nahen und den Fernen. Und diese Haltung wünsche ich auch anderen, die Kirche und Glauben interpretieren und mitgestalten wollen.
Dann ist da noch das Klima. Ja, die Diskussion ist sehr präsent. Einige wünschen sich hierfür weniger Raum, aber ich finde, weniger Klima wäre unfair. Wir alle leben auf diesem Planeten und wenn wir es ernst meinen mit uns, dann müssen wir damit auch ebenso ernst umgehen. Auch im Hinblick darauf, wer nach uns in den Genuss des Lebens kommen soll. Wir tragen Verantwortung – für uns und für andere.
Verantwortung für den Mittelmeerraum: Wir müssen zeigen, dass wir es ernst meinen mit unserem Europa.
Diese Verantwortung müssen wir endlich auch für den Mittelmeerraum aufbringen. Nicht genug, dass die Europäische Staatengemeinschaft sich in verantwortungsloser Blindheit schon seit Jahren nicht mit genügendem Ernst dem Problem der Seenotrettung zuwendet, auch die Unterbringung von Menschen in Würde scheitert, wie jüngste Beispiele zeigen.
Die Bilder des brennenden Flüchtlingslagers Moria auf Lesbos waren schockierend. Spätestens dank der WDR-Journalistin Isabel Schayani und ihrer Berichterstattung in der Sendung „Anne Will“ können wir uns vor diesem Elend nicht mehr verstecken. Geändert hat sich bis heute recht wenig; wenn, dann nur zum negativen. Es liegt an uns Europäer*innen, das nicht länger hinzunehmen. Wir müssen für unsere Werte einstehen und zeigen, dass wir es ernst meinen mit unserem Europa.
Wir haben vor Augen geführt bekommen, welche Solidarität wir als Gemeinschaft generieren können. Aber auch, an welchen Stellen Solidarität fehlt.
Und dann ist da noch die Pandemie. Wer hätte vor einem Jahr schon gedacht, dass wir beim Verlassen der Wohnung nicht nur an Handy, Schlüssel und Portemonnaie, sondern auch an die Maske denken müssen. Der Virus hat unser aller Alltag in den letzten Monaten bestimmt. Wir haben vor Augen geführt bekommen, welche Solidarität wir als Gemeinschaft generieren können. Aber auch, an welchen Stellen Solidarität fehlt. Auch hier müssen wir nachbessern. Insbesondere im Blick auf diejenigen, die in dieser Zeit besonders schweres zu tragen hatten.
Hinter allen Überlegungen für 2020 steht: rien ne va plus – nichts geht mehr. Die Beweisführung ist abgeschlossen. Also heißt es jetzt, nach vorne schauen, die Arme weit öffnen und auf das neue Jahr stürmen. Warum dann aber ein Rückblick? Ich finde, es ist gesund vor einem neuen Schritt erstmal tief Luft zu holen, die Augen zu öffnen, das Alte zu reflektieren und das Neue in den Fokus zu nehmen.
Wir schauen nach vorne und haben das Vergangene im Nacken.
Ein Jahreswechsel hat immer auch ein gewisses Ambiguitätspotential. Zumindest von der Art des Sehens. Wir schauen nach vorne und haben das Vergangene im Nacken. Dabei liegt es an uns, auszuwählen. Was behalten wir? Was lassen wir liegen? Woraus ziehen wir Erkenntnis? Woran lernen wir?
Manchmal kann Lernen ziemlich anstrengend sein. Insbesondere wenn das Lernen gezwungen ist oder wir von „Moralaposteln“ belehrt werden. Das Lernen macht dann keinen Spaß. Aber zu lernen hört hier nicht auf. Lernen kann an vielen Orten stattfinden; egal ob im Gegenüber, im Moment oder im Rückblick, bewusst oder unbewusst. Der Begriff ist gar nicht so klar zu greifen, sondern so frei und anpassungsfähig, wie unser eigener Kopf das gerade zu biegen vermag. Und daran lässt sich wenig ändern.
Gegenvorschlag: Auswählen, genau betrachten, anpacken und konkret werden.
Ich habe gelernt, dass wir uns dem allgegenwärtigen Lernen nicht verschließen sollten, sondern unser Bewusstsein dafür öffnen können. Öffnen für das, was die Welt uns bietet. Dabei müssen wir wach sein und wach werden für das, was da ist. Der Jahreswechsel ist eine Möglichkeit, sich daran zu erinnern.
Wo führt das alles hin? Was erwartet uns in 2021? Im Anblick der Masse von allem, werden wir ohnmächtig. Seien es einfache Nachrichten, die „heißen Eisen“ der Kirche, prägende oder auch angstmachende Dinge, wie der Klimawandel, die Arbeitsbedingungen von prekär Beschäftigten oder eine Pandemie. Wir werden ohnmächtig, weil wir uns der Passivität hingeben. Wir lassen das Umfeld über uns bestimmen. Ein Gegenvorschlag: Auswählen, genau betrachten, anpacken und konkret werden.
2021 – ein Angebot, dass wir annehmen sollten.
Wir können den neuen Raum, den Flur, über dessen Tür „2021!“ aufleuchtet, als Einladung verstehen – als Einladung in den Aufbruch zu einem neuen Start. Wir können „2021!“ als Angebot verstehen. Ein Angebot, dass wir annehmen sollten.
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Alexander Schmitt studiert Soziologie und kath. Theologie in Hamburg. Er ist Journalist und Chefredakteur des Hamburger Jugendmagazins FREIHAFEN.
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