Zu Eva Maria Daganatos selbstkritischem Blick gegenüber «rassistischer Sozialisierung» („Caspar, Melchior und Balthasar“) ergänzt Stephan Schmid-Keiser, wie pauschalisierende Vorstellungen des westlichen Mittelalters unser Afrikabild bis heute prägen.
Im Juni 1987 führte mich eine Informationsreise zusammen mit einer Kleingruppe durch das westafrikanische Benin. Es kam unter anderem auch zu einer eindrücklichen Begegnung mit dem damals an der Universität in Cotonou lehrenden Historiker und Dominikaner François de Medeiros. Auf Gegenbesuch in der Schweiz überbrachte er als Geschenk seine 1985 in Paris bei der Edition Karthala erschienene Studie L’Occident et l’Afrique (XIIIe-XVe Siècle) Images et représentations. Das Vorwort steuerte der französische Historiker und Experte für Mediävistik Jacques Le Goff (+ 2014) bei und reflektierte im Vorwort (5-13) die Ergebnisse der reichhaltigen Forschungen von de Medeiros. Ein weiter Bogen zurück in die Geschichte eröffnete sich meinen Augen.
Der Lektüre dieser in meiner Zweitsprache Französisch verfassten Studie entnahm ich nicht wenige Aspekte. Endlich war da eine Stimme, der entlang ich meine Wahrnehmungen revidieren lernte. Wir hatten (fast) schon vergessen, was wir an Verhaltensweisen internalisiert hatten – vom ‘schwarzen Mann’, vor dem wir voller Angst beim Spielen flohen, bis zum Baströckchen und der Schminke, die wir uns für das Gaudi der Jugendgruppe auf der Bühne anziehen liessen. Nach der Lektüre der Mittelalterstudie paraphrasierte ich einige Passagen aus dem Vorwort von Le Goff, mit welcher er die Forschungen des afrikanischen Historikers einordnete. Ich stütze mich auf Skizzen aus den 1980ern.
Mittelmeer als Erdzentrum – Oder: wer hat wen entdeckt?
Vor den grossen so genannten Entdeckungsreisen des 15. Jahrhunderts verstanden sich die Völker des mediterranen Beckens als Bewohner*innen des Erdzentrums. Bilder und Schemen, die sie aus der griechisch-lateinischen und jüdisch-christlichen Antike ererbt hatten, formten das Bild der Anderen. An den südlichen Rändern der damaligen Welt sah man zu dieser Zeit Afrika und Äthiopien als das «Land der Schwarzen». Aufgrund allgemein diffuser geographischer Kenntnisse nahm man an, dass die meridionale Zone der Sonne ausgesetzt und dadurch zu gewissen Teilen unbewohnbar war. Dazu kam, dass man ‘den’ Orient und ‘den’ Okzident in zwei Afrikas sah, dem «weissen» und dem «schwarzen». Und wie man schrieb und sagte, beherbergte der begehbare Teil Äthiopiens fremde und monströse Wesen. Es war dies das Land «der Menschen mit verbranntem Gesicht» (Griech. aethiops).
Aus der Antike Bilder übernommen – aber welche?
Aus der Antike hatten die Christen in ihrer Vorstellungswelt das Bild vom grossen schwarzen Henker der Märtyrer übernommen. Vor allem dieser Feind wurde zum Abbild des grossen Feindes, des Satan. Die Entwicklung führte dazu, dass schwarze Menschen (Afrikaner allgemein) durch die christliche Mentalität schwer entwertet wurden. Zwar waren zwei Traditionen feststellbar, von denen die eine – von Origenes beeinflusst[1] – als eigentlich verpasste Chance zur Konstruktion partnerschaftlicher Bilder hätte gelten müssen. Diese Tradition befand sich jedoch in der Minderheit. Äthiopien wurde zum Land, das viele Tugenden kannte. Enzyklopädien beschrieben seine Bewohner*innen als gerechte und weise Menschen. Während der Kreuzzüge bekam die Legende über den Priester Johannes ihre dominante Rolle auch für Afrika, nachdem sie vorher gleichsam als asiatisches Surrogat gegolten hatte. De Medeiros beschreibt die sagenhafte Gestalt unter geopolitischen Aspekten und sieht sie als orientalischen Traum, die zum ideologischen Kampfinstrument, sprich zur anti-islamischen Figur wurde.[2] De Medeiros hielt zudem fest: «Übrigens sind es orientalische Legenden wie jene der Drei Weisen und des Indien-Apostels Thomas, die den Transfer des Priesters Johannes nach Afrika möglich machten.»
Mehrheitlich aber – ich paraphrasiere wiederum die Einordnung durch Jacques Le Goff – sind es die abwertenden Vorurteile gegenüber Afrika und seinen Bewohner*innen, die die Vorstellungswelt des Mittelalters beherrschen. Demnach gehörten die Schwarzen zum Stamm des Cham, dem verrufenen Sohn von Noah. Deshalb waren sie zur Sklaverei bestimmt. Diese Bestimmung setzte sich im kollektiven Gedächtnis des so genannten Abendlandes fest und verband Dunkelheit, Böses, schwarze Farbe mit den Kräften des Dunkels und der Hölle. Die ersten Reisenden, welche schliesslich im 15. Jahrhundert die westafrikanische Küste bereisten, nahmen diese Vorstellungen mit sich und bestimmten das herrische Verhalten des Kolonialismus und des Sklavenhandels, mit welchem unermessliche Tragödien verbunden waren.
Ansatzpunkte für die Drei Weisen heute
Die Drei Weisen aus dem Morgenland bieten Ansatzpunkte, die Geschichte der missratenen Vorstellungen über Menschen anderer Hautfarbe aufzuarbeiten und biblische Visionen aufzunehmen, auf die François de Medeiros im Anschluss an Origenes hinwies: «Gott hat aus allen Menschen eher die weniger klugen gewählt, um die sogenannten Weisen zu beschämen. Er hat die Benachteiligten erwählt, um die Privilegierten zu blamieren. Er hat die Nichtadligen und die Verachteten erwählt, die nichts gelten, um das, was Geltung und Status hat, zu nichts zu machen. Denn kein Mensch soll sich vor Gott hinstellen und sich brüsten.»(1 Kor 1, 27f.)[3]
______________________
Dr. Stephan Schmid-Keiser (*1949) ist in Liturgiewissenschaft und Sakramententheologie promovierter Theologe, war 1984-1992 Geschäftsleiter der Missionskonferenz DRL und 1992-1995 Zentralpräses des Schweizer Kolpingwerks.
Bild: Illustration aus dem Buch von de Medeiros, Vision de Saint Jean de Matha: Christ entre deux captifs don’t un Noir. Mosaïque. Atelier des Cosmas, vers 1212; Rome, ancient couvent San Tommaso in Formis. Photo Menil Fondation/Mario Carrieri (Abbildung 13)
______________________
[1] François de Medeiros: L’Occident et l’Afrique (XIIIe-XVe Siècle) Images et représentations. Préface de Jacques Le Goff, Paris 1985. Darstellung der christlichen Thematik über den Äthiops im Chapitre IX: La thématique chrétienne de l’Aethipos (227-255)
[2] Ebd. Chapitre VII: Aethiops sapiens (183-214). Zit. 201.
[3] Ebd. 248. Hier in der Übertragung durch Klaus Berger / Christiane Nord: Das Neue Testament und frühchristliche Schriften. Frankfurt a. M./Leipzig 1999 86f.