Viel ist derzeit die Rede davon, dass Krisen immer auch Chancen bedeuten. Man könne sie nämlich als Erprobung verstehen, daraus lernen und sein Verhalten ändern. Krisen- oder Erprobungszeiten spielen auch in der Bibel eine wichtige Rolle. Doch: Wen ändern solche Krisen? Von Elisabeth Birnbaum.
40 Tage Sintflut
Die erste in der Bibel beschriebene Krise ist gleich DIE Krise schlechthin. Die „Bosheit“ des Menschen, dessen „Sinnen und Trachten“ „immer nur böse“ ist, nimmt zu (vgl. Gen 6,5), die Erde ist voll Gewalttat und Gott schickt die Sintflut. 40 Tage und 40 Nächte dauert die Krise. Der einzige Gerechte, Noach, wird mit seiner Familie gerettet. Alle anderen Menschen gehen unter. Eine eindeutige Krisenzeit. Doch ist sie auch eine Zeit der Änderung? Die meisten Menschen ertrinken und können sich nicht mehr ändern. Noach wiederum war schon davor gerecht, hat also keinen Handlungsbedarf. Und seine Nachkommen? JHWHs lapidarer Kommentar zum Zustand der Menschheit nach der Sintflut lautet: „… das Trachten des menschlichen Herzens ist böse von Jugend an.“ (Gen 8,21). Es hat sich also gegenüber der Zeit vor der Sintflut nichts geändert. Die Krise hat scheinbar nichts bewirkt.
Und dann die Überraschung: Obwohl – eigentlich sogar: weil (!) – sich der Mensch nicht geändert hat, will Gott ihn und die Welt künftig verschonen.
„Ich werde den Erdboden wegen des Menschen nie mehr verfluchen, denn das Trachten des menschlichen Herzens ist böse von Jugend an.“ (Gen 8,21)
Er bestraft die Bosheit des Menschen „nie wieder“ (Gen 9,11) durch die Vernichtung aller Lebewesen. Gleichzeitig adaptiert er seinen Schöpfungsplan. Das Töten von Tieren zum Nahrungserwerb wird nun ausdrücklich erlaubt (Gen 9,3). Das kann auch als Versuch gesehen werden, Gewalt zu kanalisieren. Die Krise ändert also doch jemanden: nämlich Gott.
40 Jahre Wüste
Derzeit viel beschworen, weil auf unsere Zeit anwendbar, wird das Bild der Israelit:innen in der Wüste. Die 40 Jahre sind eine Durststrecke, die viel Ausdauer und Geduld erfordert. Das Volk hat beides nicht. Immer wieder murrt es und wünscht sich zurück zu den „Fleischtöpfen“ Ägyptens. Es murrt wiederholt auf dem Weg zum Sinai (Ex 15,24; 16,2; 17,3). Dort empfängt es zwar feierlich seine „Statuten“, schließt mit Gott einen Bund und zieht weiter in Richtung gelobtes Land, doch – es murrt weiter (Num 14,2; 17,6). Es ändert sich nicht. Nicht durch die Durststrecke in der Wüste, nicht durch den Bundesschluss, nicht durch die Gottesvolkswerdung, nicht durch Gottes Fürsorge in der Wüste und nicht durch strenge Strafen wird es dazu motiviert sein Verhalten zu überdenken.
Gott reagiert irritiert und fragt fassungslos: „Wie lange verachtet mich dieses Volk noch, wie lange noch wollen sie nicht an mich glauben trotz all der Zeichen, die ich mitten unter ihnen vollbracht habe?“ (Num 14,11). Doch er verlässt sein Volk nicht und ändert lieber wieder und wieder sein eigenes Verhalten, um es zu retten.
40 Tage am Sinai
Auch am Gottesberg Sinai selbst bewirkt eine vierzigtägige Zeit des Ausharren-Müssens keine Läuterung. Das Volk wartet am Fuß des Berges, bis Mose wieder vom Gottesberg herabkommt (Ex 32,1). Die Tage ohne Führung werden als Krise erlebt. Unsicherheit über das Ergehen des Mose macht sich breit und ein Gefühl der Gottverlassenheit. Die Zeit könnte genützt werden: zum Dank, zur Reflexion des eigenen Verhaltens. Nichts von all dem geschieht. Das Gottesvolk schreitet stattdessen zur Selbsthilfe und fordert von Aaron lautstark andere Götter, die dann „vor uns herziehen“ (Ex 32,1). Die Errichtung des goldenen Kalbes gefährdet den Bund und Mose muss noch einmal 40 Tage am Sinai verbringen und die Gesetzestafeln erneuern.
„Die Krise ändert die Menschen nicht. Nachhaltige Änderungen geschehen dennoch.“
Und wieder ist der Einzige, der sich bewegt, Gott selbst. Er lässt sich seinen Zorn über das Volk reuen und auch die Drohung, sein Volk nicht länger durch die Wüste zu begleiten, nimmt er auf Fürbitte des Mose zurück. Und die zweiten Gesetzestafeln schreibt er nicht mehr selbst, sondern lässt er Mose schreiben.
Das Schema bleibt gleich: Die Krise ändert die Menschen nicht. Nachhaltige Änderungen geschehen dennoch: in und durch Gott selbst.
40 Tage zum Horeb
Das trifft auch auf große biblische Einzelgestalten wie Elija zu. Der wortgewaltige und tatkräftige Prophet erlebt eine Phase der Erschöpfung, der Mutlosigkeit und Resignation. Ein Engel sendet ihn zum Gottesberg. Elija geht 40 Tage und Nächte durch die Wüste, Zeit genug also zum Nachdenken. Am Gottesberg fragt Gott Elija nach seinem Anliegen. Elija klagt ihm seine Not: Er hat unermüdlich geeifert für Gott, aber blieb letztlich allein in seinen Bemühungen und muss nun um sein Leben fürchten.
Gott gewährt Elija die seltene Gnade einer Gottesschau. Indem er dabei nicht im Wettersturm, nicht im Erdbeben oder im Feuer, sondern in einem sanften, leisen Säuseln (vgl. EÜ 2016, 1 Kön 19,12) erscheint, versucht er dem streitbaren Propheten, der sich gerade durch seine aufbrausende Art, seine Radikalität und seinen übergroßen Eifer so verausgabt hat, eine Verhaltensänderung nahezulegen. Nicht mit Brachialgewalt und Zorn, sondern als leise, alles durchdringende Kraft kann Gottes Herrschaft weitergetragen werden, scheint er damit zu sagen.
Danach wird das Gespräch wieder aufgenommen und Gott fragt Elija noch einmal nach seinem Anliegen. Und – erhält exakt die gleiche Antwort wie zuvor. Weder die vierzig Tage der Wanderung noch die Gotteserscheinung haben in Elija etwas verändert.
Und wieder ändert sich dennoch etwas: Gott scheint einzusehen, dass Elija demnächst abgelöst werden muss und gibt Elija – diplomatisch versteckt hinter anderen Aufträgen – die Anweisung: „Elischa, den Sohn Schafats aus Abel-Mehola, salbe zum Propheten an deiner Stelle.“ (1 Kön 19,16)
„Gott lässt sich von der Änderungsresistenz des Menschen nicht abschrecken.“
Wen ändern Krisen?
Wen ändern also (biblische) Krisen? Die Menschen nicht. Sie gehen damit um, sie tragen die Konsequenzen ihres Handelns, aber eine nachhaltige Änderung geschieht nicht. Die gute Nachricht dabei ist: Gott lässt sich von der Änderungsresistenz des Menschen nicht abschrecken. Er versucht es immer wieder neu mit den Menschen und ändert für sie sogar sein eigenes Verhalten. Das einmal dankbar anzuerkennen, wäre (nicht nur für den biblischen Menschen) eigentlich schon Änderung genug.
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Dr. Elisabeth Birnbaum ist Direktorin des Österreichischen Katholischen Bibelwerks und seit Juni 2018 Mitglied der Redaktion von feinschwarz.net
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