Ein Nachruf von Bernd Jochen Hilberath, Küngs Nachfolger auf dessen Lehrstuhl an der Katholisch-Theologischen Fakultät Tübingen.
Kirchenrebell – so wurde der am Osterdienstag mit 93 Jahren friedlich gestorbene Hans Küng bevorzugt etikettiert und zitiert. Ja, ein Kritiker seiner Kirche in seiner Kirche war der Schweizer Theologe, der seit seinem Theologiestudium die römischen Verhältnisse von innen heraus kannte. Wer den Menschen und Priester Hans Küng näher kennenlernen durfte – ich wurde vor 25 Jahren sein Nachfolger als Direktor des von ihm gegründeten Instituts für Ökumenische Forschung – , hat erfahren, wie einseitig und mißverständlich diese in den Medien beliebte Charakterisierung ist.
Ein evangelischer Katholik und ein katholischer Protestant
Gewiss, dem Professor mangelte es nicht an Selbstbewusstsein, und er konnte auch ungnädig reagieren, was manchen davon abhielt, sich mit seinen theologischen Ideen und Werken auseinanderzusetzen. Ich habe freilich auch einen selbstkritischen theologischen Lehrer und Kollegen erlebt, der sich korrigieren und Freundschaften erfahrbar machen konnte. Diese Seite des Menschen Hans Küng werde ich dankbar in Erinnerung behalten. Des Menschen – und des katholischen Theologen! Der, der von sich sagte, er wolle ein evangelischer Katholik und ein katholischer Protestant sein, war nach meiner Wahrnehmung durch und durch ein katholischer Christ, Priester und Theologe.
Küngs Kirchenkritik war nie Selbstzweck
Leider war die römisch-katholische Obrigkeit auch noch nach seiner Emeritierung nicht bereit, Hans Küng offiziell und wortwörtlich einen „katholischen Theologen“ zu nennen. Wie Küng mussten auch andere namhafte Theologen der (Nach-)Konzilszeit erfahren, dass Kritik an der Institution und ihrem (Macht-)Anspruch am allerwenigsten toleriert wird. Dabei geht es doch um nichts anderes als um Re-form, um eine Erneuerung des Katholischseins und der Kirche im Sinne des Evangeliums. Die Auseinandersetzung mit Küngs Anfrage an das Unfehlbarkeitsdogma verlief nicht nur als Auseinandersetzung in der Sache, sondern auch als Alternative zwischen Papst und Küng, Lehramt und Theologie. Küngs Kirchenkritik war nie Selbstzweck, sondern diente der Verlebendigung der kirchlichen Gemeinschaft, wie sie vom Zweiten Vatikanischen Konzil erhofft wurde und die bis heute vor gewaltigen Herausforderungen steht.
Viele lernten von Küng Mut zum Christsein
Weit größer als die Gruppe der Kritiker, ja Gegner, war und ist freilich die Schar derer, denen Hans Küng wieder oder gar erstmals Mut zum Christsein vermittelt hat. Das gleichnamige Buch und die Kurzfassung in Thesen wurden für viele zu einem Vademecum! Ich erinnere mich an das vierstündige Kompaktseminar, in dem wir intensiv und inspiriert diskutierten (ich war Assistent von Theo Schneider, der später eine Solidaritätserklärung mit Hans Küng in der Mainzer Fakultät initiierte). Auch in Kirchengemeinden kamen gläubige Menschen zu Vorträgen und Lektüreseminaren zusammen; viele lernten an Hand von Küngs „Christ sein“, wie die historisch-kritische Exegese und die von neuem biblisch geschulte Dogmatik den überlieferten Glauben so auslegen, dass Menschen ihn auch in der heutigen Zeit als plausiblen Lebensentwurf nachvollziehen können. Die gleiche Erfahrung ließ sich mit „Existiert Gott?“ machen, zumal die Kurzfassungen in Thesen vielen zugänglich waren.
Das „Schluss der Debatte“ schadet Kirche und Lehramt bis heute
Offiziell wurde der Entzug der Lehrerlaubnis mit den Thesen zur (Un-)Fehlbarkeit kirchlicher Lehre begründet. Kritisiert wurde aber auch Küngs Christologie, sowohl in der Glaubenskommission der Bischöfe wie in der Fachtheologie. Das administrative „Schluss der Debatte“ schadet der Institution Kirche und ihrem Lehramt bis heute. Statt kritische Theolog*innen in der theologischen Sachdiskussion zu halten und nicht zu übersehen, was Kirche von ihnen auch lernen, als bereichernd aufnehmen könnte, wird aus einer Machtposition heraus verteidigt, was die Entscheider ihrerseits für den „unfehlbaren“ Glauben der Kirche halten.
Ein Glücksfall, um die eigenen Anliegen zu verfolgen
Hans Küng hat den Entzug des Nihil obstat auch als Glücksfall bezeichnet. Gewiss, bis zuletzt hat er, der katholische Theologe, meiner Wahrnehmung nach gehofft, dass diese Entscheidung zurückgenommen und er rehabilitiert wird. Papst Johannes Paul II. hat ihn nicht empfangen; Benedikt XVI., der einstmalige Tübinger Kollege, ließ sich auf ein Fachgespräch ein, in dem die strittigen Bereiche ausgeblendet blieben; erst Papst Franziskus antwortete auf Küngs Schreiben. Wieso doch Glücksfall? Einmal konnte der Status so geregelt werden, dass das „Küng-Institut“ keiner anderen Fakultät zugeschoben, sondern direkt dem Präsidenten der Universität „unterstellt“ wurde und der Professor an kein fakultäres Curriculum gebunden war (dass er seine Mitarbeiter noch promovieren und habilitieren konnte, hatte er ausgehandelt). So waren Zeit und Energie und schließlich auch Mittel zur Verfügung, um die beiden Anliegen zu verfolgen, die neben der innerchristlichen Ökumene von Anfang an zum Aufgabenbereich des Ökumene-Instituts gehörten, nämlich die große Ökumene der Religionen (daher die Erweiterung zu „Institut für Ökumenische und Interreligiöse Forschung“) und die interdisziplinäre Kooperation innerhalb der Universitas der Wissenschaften. Umfangreiche eigene Monographien sowie Sammelwerke zu den Weltreligionen dokumentieren das entsprechende Engagement. Die letzten Jahrzehnte standen dann im Zeichen des Projekts Weltethos, das dank der Millionenspende des Grafen von der Groeben schließlich auch im Weltethos-Institut realisiert werden konnte.
Ein nimmermüder theologischer Arbeiter, ein Freund
So wie Hans Küng ein katholischer Christenmensch „durch und durch“ war, so war er auch bis in die jüngste Zeit hinein ein nimmermüder theologischer Arbeiter. Nach der Veröffentlichung seiner drei autobiographischen Bände nahm er bereitwillig das Angebot des Herder-Verlag an, seine „Sämtlichen Werke“ zu publizieren und dafür jeweils eine aktualisierende Einleitung zu schreiben. Mehr war zuletzt nicht mehr möglich – es war freilich auch nicht nötig: das wissenschaftliche Erbe wird die Theologie weiter beschäftigen, die Lektüre wird Menschen auch heute noch zum Glauben anregen oder darin bestärken, und die Hans Küng persönlich gekannt haben, werden einen Menschen in Erinnerung behalten, der ihnen Freund und wichtig war.
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Text: Prof. Dr. Bernd Jochen Hilberath war von 1992 bis zu seiner Emeritierung 2013 Professor für Dogmatische Theologie und Dogmengeschichte an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Eberhard Karls Universität Tübingen.
Bild:Stiftung Weltethos