Sprache gestaltet Wirklichkeit und Wirklichkeit wirkt sich auf die Sprache aus. Die Gesprächssynode der reformierten Landeskirche Bern-Jura-Solothurn hat sich das Thema „Trauung für Alle“ vorgenommen. Ein Glossar will die Gespräche unterstützen. Von Luzia Sutter Rehmann.
Miteinander reden setzt voraus, dass man dieselbe Sprache spricht. Sprachen ändern sich und Worte changieren ihre Bedeutung. Aber diese Bedeutungsverschiebungen oder -veränderungen fallen nicht einfach vom Himmel, sondern gehören in gesellschaftlich-politische Prozesse.
Das Fräulein ist tot – es lebe die Frau!
Dass Frauen sich nicht mehr als Fräulein bezeichnen lassen wollen, ist Ausdruck ihres Selbstbewusstseins. In der Schweiz fand dieser Sprachaufstand anfangs der 80er Jahre statt. Frauen wollten nicht mehr als ein „Das“ bezeichnet werden, sondern verlangen die gleichrangige Anerkennung ihres Geschlechts. Ich erinnere mich noch sehr gut an ältere Theologinnen, die umgekehrt auf der Anrede „Fräulein“ bestanden. Sie verbanden damit das Recht und die Würde, ihr Amt ausüben zu dürfen. Dieses hatten sie sich erkämpft und nur als „ledige“ Pfarrerinnen waren sie dazu berechtigt. Auf der anderen Seite standen mehrheitlich junge Frauen, die im sächlichen Fräulein die systemische Herabsetzung der Frauen sahen. Sie fanden, die Einteilung in verheiratet und unverheiratet gehöre nicht in die Anrede. Warum sollte unverheiratet mit einer Verkleinerungsform ausgedrückt sein? Als ob es der Mann wäre, der aus kleinen Sachen/Nebensachen erst eine Frau machen würde.
Verpönen oder übersetzen
Heute werden immer wieder inklusive Formulierungen (bis zum Gendersternchen) oder gegenderte Endungen (gendern ist auch so eine kreative Wortschöpfung) als übertriebene political correctness verpönt. Die Korrekturen entsprächen einer Sprachzensur und entstammten einer ideologischen Nörgelei. Es stimmt: Sprache ist ein Schauplatz politischer Auseinandersetzungen. Darum ist es ja so wichtig zu beachten, was Begriffe inhaltlich bezeichnen, wie sie es tun, und wer sie bekämpft.
Nun ist in der Tat noch nicht viel gewonnen, wenn bestimmte Worte verpönt werden. Verpönen funktioniert wie ein Rotstift, hebt hervor oder streicht gut sichtbar durch. Bestenfalls beginnt man dadurch, etwas zu verstehen oder anders zu sehen. Vielleicht verändern sich dadurch die Sätze, resp. die Verhältnisse, ein wenig zumindest. Worte bestätigen Realitäten, schreiben sie fest oder prägen sie auf eine bestimmte Weise – wenn sich neue Worte bilden, neue Bedeutungen abzeichnen, hat sich etwas zu verändern begonnen. Mit diesen skizzierten Überlegungen betreten wir das Feld der Kontroversen zwischen politischen Akteur*innen, wo es nicht nur um Meinungen, sondern um Macht, resp. Dominanz und Ausgrenzung geht.
Verpönen funktioniert wie ein Rotstift.
Als Bibelwissenschafterin komme ich vom Übersetzen her. Ich weiss um die Schwierigkeit, von einer Sprache in die andere hinüber zu setzen. Inhalte drohen da verloren zu gehen, wenn man nicht sorgfältig und hartnäckig an ihnen festhält, sie hinüberzusetzen versucht. Gleichzeitig können Erneuerungsimpulse vom Übersetzen ausgehen, Veränderungen in Wortabfolgen oder -kombinationen verlangsamen das Lesen, bringen ins Stolpern und dadurch ins Nachfragen.
Eine andere Welt wertfrei zu beschreiben, wird umso mehr zur Herausforderung, wenn es eine ausgegrenzte Gruppe gibt, die in der Herrschaftssprache, die bis anhin das Sagen hatte, lange Zeit nicht zum Wort zugelassen wurde. Dies betrifft z.B. im Fall der androzentrischen Sprache die Sprach- und Erfahrungswelt von Frauen und Mädchen, im Fall von kolonialen Verhältnissen die verdrängte Sprachwelt der Kolonialisierten und im Fall der kirchlich-christlichen Sprache die Welt der Homosexuellen und Anderssexuellen.
LGBTIQ* – queer – cis und trans…
Zusammen mit der Regenbogen-Fahne, die schon lange gegen Feindschaften und Zerrbilder ein Friedensangebot macht und daran erinnert, dass es eben nicht nur schwarz-weiss, „Wir oder Ihr“ gibt, sondern ein inklusives Wir mit unterschiedlichen Spektren und Schattierungen, begann auch die Sprache des Regenbogens in die Medien- und Alltagssprache hinein zu tröpfeln. Neue Worte (anderssexuell, was ist denn das jetzt schon wieder?), noch dazu viele englische (gay, queer…), verwirren die „normale“ Leserschaft (kann man jetzt nicht einmal mehr „normal“ sagen, ohne Anführungszeichen brauchen zu müssen?). Ich finde es sehr schade, wenn das Übersetzen nicht versucht wird. Wenn statt dessen die politischen Akteure – und Akteurinnen – auf Kontroverse machen, tief Luft holen und laut zu posaunen beginnen.
Nuancen, die Welten ausmachen
Sexuelle Identität, sexuelle Orientierung, Sexualität, Geschlecht, Gender – hier entfalten sich Nuancen, die Welten ausmachen. In den letzten Jahrzehnten wurde aus dem Schimpfwort „schwul“ eine selbstbewusste Bezeichnung homosexueller Männer, während „das Normale“ als Zwangsheterosexualität entlarvt wurde. Dank der philosophischen und linguistischen Arbeit der Gender Studies wurden die Worte der Schwulen- und Lesbenbewegung „salonfähig“, theoretisch reflektiert und in verschiedene Kontexte übersetzbar.
Ein Glossar als Gesprächsangebot
Das alles gilt auch und vor allem für die kirchliche Sprache und das christliche Gespräch. Was heisst dieser Ausdruck? Was wird damit bezeichnet? Woher kommt er? Wogegen wendet er sich? Wer hat ihn hervorgebracht, stark gemacht, und wer lehnt ihn ab, mit welchen Argumenten? Wie brauchst du diesen Begriff, wie sprichst du denn davon und warum ist er dir wichtig, wären weitere Fragen. Begriffsklärungen sorgen nicht nur für Klarheit, sondern erweitern das Repertoire des Sprechens. Wenn Begriffe geklärt werden, merkt man, dass etwas viel umfassender ist, als man gemeint hat.
Der Arbeitskreis für Zeitfragen in Biel initiierte im Herbst 2019 einen Thinktank zu Sexualität im kirchlichen Kontext, um mit Fachleuten, Gemeindegliedern und Aktivist*innen ein Gespräch anzufangen. Für die Mitglieder des Thinktanks war es schnell klar, dass es verschiedene Erfahrungswelten gibt und nicht alle die gleiche Sprache sprechen. Zudem ist Vieles im Bereich Sexualität noch tabuisiert, so dass es nicht leicht fällt, darüber zu sprechen. Manchmal herrscht schlicht ein Durcheinander an Begriffen.
miteinander Worte finden
Dass sich die Gesprächssynode der reformierten Landeskirche Bern-Jura-Solothurn das Thema „Trauung für alle“ für 2021 vorgenommen hat, ist daher wichtig. Synodale werden miteinander Worte finden müssen zu einem Thema, worüber sie noch nie in so grosser Gruppe gesprochen haben. Sicher wird es unterschiedliche Meinungen geben, doch soll das Gespräch respektvoll und weiterführend sein. Darum begannen Mitglieder des Thinktanks, ein Glossar zu „Ehe für alle“ zu erstellen.
Welche Begriffe sollen überhaupt geklärt werden? Welche sind wichtig und warum? Gender Studies, feministische Theologie und Philosophie, Bürgerrechtsbewegungen und Aktivist*innen weltweit haben Begriffe geschärft oder eingeführt, die hilfreich sein können. Das nun veröffentlichte Glossar erläutert siebzehn Begriffe nach aktuellstem wissenschaftlichen Diskussions- und Erkenntnisstand kurz und gut verständlich. Es möchte eine «Werkzeugkiste» bereitstellen. Einerseits dient es so zum Nachschlagen. Andererseits soll es helfen, sich im Themenfeld zu orientieren und die eigenen «Wortwerkzeuge» zu schärfen, damit alle Teilnehmenden ihre Sicht der Dinge auf den Punkt bringen und die Anliegen ihrer Gegenüber verstehen können. Worte adäquat zu gebrauchen, drückt auch Respekt gegenüber anderen Synodalen und Mitchrist*innen aus. Wie über «die Ehe für Alle» in der Synode gesprochen wird, wird auch in den Kirchgemeinden ein Echo haben, es kann versöhnen, trösten, Gesprächsräume öffnen, einladen und noch vieles mehr.
Ein Beispiel: Was heisst „Regenbogenfamilie“?
Ich zitiere aus dem Glossar zu „Ehe für alle“ die Erklärung zur Regenbogenfamilie:
Familien, in denen queere Eltern leben – also jenseits der heterosexuellen, zweigeschlechtlichen, binären Norm – werden als Regenbogenfamilien bezeichnet. Das können z.B. zwei Mütter mit Kindern oder Vater und Transmutter mit Kindern etc. sein. Der Begriff macht darauf aufmerksam, dass die gelebte Realität von Familie vielfältig ist. Familie geschieht vor allem dort, wo Menschen bewusst für einander Verantwortung übernehmen, z.B. in Gross- und Kleinfamilien, Adoptiv-Familien, Ein-Elternfamilien, Patchwork-Familien u.a.m. „Unsere Familie“ kann auch das Wohnen mit mehreren Generationen umfassen. Weltweit bestehen grosse kulturelle Unterschiede bzgl. Familienvorstellungen.
Ja, die gelebte Realität von Familie ist vielfältig. Darauf gilt es zu achten – sprachlich, aber auch praktisch und konkret. Das Schema „Vater-Mutter-Kinder“ stimmt für viele aus unterschiedlichen Gründen nicht. Diese Gründe zu erfahren, von den Menschen zu hören, was für sie stimmt und wie sie Familie verstehen, kann zum lebendigen Austausch führen. Dazu bietet dieses Glossar Hand.
Das Glossar gibt es in einer deutschen und einer französischen Version – damit das Gespräch nicht an der Sprache scheitert.
Sie finden das Glossar auf www.compass-bielbienne.ch/kernbereiche.
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Luzia Sutter Rehmann, Dr. theol., ist Titularprofessorin an der Theologischen Fakultät der Universität Basel und ist Studienleiterin im Arbeitskreis für Zeitfragen der evangelisch-reformierten Kirche in Biel-Bienne.
Bild: Clay Banks auf unsplash.com