Der offene Streit zwischen Bischof Oster und Johanna Rahner um Gender, Race und Macht in der Kirche ist zwar beigelegt, die inhaltlichen Kontroversen aber gehen weiter. Eine Nachlese von Michael Schüßler.
Im April 2021 hatte meine Tübinger Kollegin Johanna Rahner bei einem diözesanen Frauenforum einen Online-Vortrag gehalten, dessen Aussage nach der von verschiedenen Seiten forcierten medialen Berichterstattung nicht mehr wiederzuerkennen war. In den Schlagzeilen wurde fast ausschließlich von einer „Rassismus-Debatte“ gesprochen. Da denkt man im aktuellen politischen Framing an den Tod von George Floyd und nicht etwa an Maria 2.0. Entsprechend skeptisch fielen die Reaktionen aus auf einen scheinbar „unsäglichen Diskurs“. Angesichts der sich innerkirchlich verschärfenden Gesprächslage ist das eine kleine Nachlese wert.
Worum aber geht es eigentlich?
Worum aber geht es eigentlich? Um es gleich vorweg zu sagen: Es geht nicht um Johanna Rahner, es geht nicht um Ethnizität oder Hautfarbe und es geht auch nicht um Fragen der Wissenschaftsfreiheit. Es geht um die nicht mehr akzeptierbare, strukturelle Geschlechter-Diskriminierung in der Katholischen Kirche und damit auch um theologische und kirchenpolitische Streitthemen des Synodalen Weges, also um eine Kirche, die aus ihrer eigenen Wirklichkeit sexuellen und geistlichen Missbrauchs lernen will – bzw. genau darum streitet.
Eine von Rahners Thesen lautete: „Wir müssen über Diskriminierung von Frauen sprechen und es sind nicht die Frauen, die das ändern können“. Im wissenschaftlichen Bereich ist es seit Jahren ein aufschlussreiches Analyseverfahren, unterschiedliche Diskriminierungserfahrungen in ihrer Strukturähnlichkeit und -unterschiedlichkeit miteinander zu vergleichen (Intersektionalität). Gregor Hoff stellt in seinem Kommentar zur Debatte fest: „Frauen fühlen sich in der katholischen Kirche nicht nur diskriminiert: sie werden es, weil ihnen Rechte versagt bleiben, an deren Formulierung sie nicht beteiligt sind.“
Diskriminierungserfahrungen situativ vergleichend untersuchen (Intersektionalität)
Rahner appelliert in ihrem Text deshalb an die verantwortlichen Amtsträger in der katholischen Kirche, ihre Privilegien für die Gleichstellung von Frauen einzusetzen, so wie einst die weiße Regierung der USA ihre Privilegien zur Gleichstellung der People of Color eingesetzt hatte: „Denn Diskriminierung ist ein Problem, das nur bewältigt werden kann, wenn es benannt wird. Und wenn wir diese Diskriminierung nicht als solche benennen, wird sich daran nichts ändern. Wer aber daran nichts ändern will, ist nichts anderes als ein Rassist.“ Gregor Hoff kommentiert diese Stelle so: „Wie in filmischer Überblendung zeigen sich hier szenische Übergänge: die Wirkung einer Diskriminierung, wie sie Rassismus auslöst. In den Folgen, die Rahners Vortrag auslöst, nimmt man wahr, wo Diskriminierungen übersehen und deshalb verstetigt werden.“
Der Rassismusvorwurf hat Rahners Machtkritik unsichtbar machen wollen
Das ist eigentlich schon alles. Bereits der große Stuart Hall, Mitbegründer der rassismuskritischen Kulturwissenschaften, hat den Ausschluss bestimmter Gruppen von kulturellen oder symbolischen (auch religiösen) Ressourcen genau so vergleichend beschrieben: „Auf dieser allgemeinen Ebene besteht kein Unterschied zwischen rassistischen und sexistischen Praxen.“[1] Dass daraus in einigen v.a. katholischen Medien die Aussage gemacht wurde, Rahner bezeichne alle Gegner der Frauenordination als Rassisten, kippt die Aufmerksamkeit bewusst auf die falsche Seite und hat damit den entscheidenden Punkt ihres Vortrags unsichtbar gemacht. Die Rassismus-Skandalisierung kann so als Immunisierungsstrategie dienen, um nicht über reale Geschlechterdiskriminierung reden zu müssen. Mit dieser Lesart unterscheidet sich Kirche einmal mehr gerade nicht von anderen Bereichen der Gesellschaft, in denen verschiedene Diskriminierungserfahrungen gegeneinander ausgespielt werden, um gleich allen Anerkennungskämpfen die Kraft zu rauben. Zum Glück ist dieses Spiel nicht ganz aufgegangen.
Skandalisierung als Immunisierungsstrategie
An der öffentlichen Auseinandersetzung zwischen Bischof Stefan Oster und Johanna Rahner kann man sehen, wie solch eine Skandalisierung erst medial hochkocht und dann im direkten Gespräch aber aufgeklärt und beigelegt werden kann. Rahner ordnet ihren zugespitzten Vergleich noch einmal ein und Oster erkennt, dass er nicht wirklich als Rassist im engeren Sinne angegriffen wurde, sondern dass um die Sache der Geschlechtergerechtigkeit in der Kirche gerungen wird – mit unterschiedlichen Stand- und Bezugspunkten.
Was aber dann mit jenen Positionen u.a. aus der wissenschaftlichen Theologie, die sich auch nach der Lektüre von Rahners differenziertem Vortrag von Schlagzeilen verunglimpft fühlen und eine Vergiftung des Debattenklimas konstatieren? Eigentlich sollten Johanna Rahner als Mitherausgeberin und Helmut Hoping in der Tübinger Theologischen Quartalschrift (ThQ Heft 3/2021) kontroverse Debattenbeiträge zum Frauen-Forum des Synodalen Weges liefern. Nachdem keine Aussicht mehr auf einen gemeinsamen konstruktiven Gesprächszusammenhang bestand, hat sich der Herausgeberkreis entschieden, die Debatte zum Frauenforum des Synodalen Weges fürs Erste auszusetzen, die entstandene Lücke also nicht einfach zu überspielen, sondern zu dokumentieren.
Die Lücke aushalten:
ThQ ohne Texte von Rahner und Hoping
Mit dieser Nachlese bleiben aus der ganzen Aufregung drei weiterführende Aspekte übrig: Erstens kann die katholische Kirche ihre Identität immer weniger durch sakralisierte Diskriminierungen stabilisieren, und zwar weder rassistische noch sexistische.[2] Zweitens sind Frauenfrage in der Kirche (wie überall) Macht- und Gerechtigkeitsfragen, die auch all jene (geweihten) Männer angehen, die hier lieber unbehellig bleiben würden. Und drittens erweist sich akademische Theologie in diesem Fall einmal nicht als Elfenbeinturm. Die Konflikte und Streitthemen einer „Dissenting Church“ (Judith Gruber), welche die pastoralen Praxisorte, die Synodalforen und Social-Media-Kommunikationen prägen, sie sind nicht einfach nur Themen distanzierter Reflexion. Eine wissenschaftlich arbeitende und zugleich pastoral engagierte Theologie sieht sich mit der existenziellen Erkenntnis von Elazar Benyoetz konfrontiert: „Man kommt nicht sauber ins Reine“.[3]
[1] Stuart Hall, Rassismus als ideologischer Diskurs, in: Dorothee Kimmich u.a. (Hg.), Was ist Rassismus? Kritische Texte, Stuttgart (Reclam) 2017, 172-187, 173.
[2] Vgl. dazu ausführlicher: Michael Schüßler, Diskriminierung als Identitätspolitik? Phänomene von Un/Doing Gender in der katholischen Kirche, in: Gero Bauer / Maria Kechaja / Sebastian Engelmann / Lean Haug (Hg.), Diskriminierung / Antidiskriminierung. Beiträge aus Wissenschaft und Praxis, Bielefeld 2021, 165-182.
[3] Benyoetz, Elazar Scheinheilig. Variationen über ein verlorenes Thema. Wien 2009. Braumüller. S. 165. Das Zitat verdanke ich Wolfgang Beck.
____________
Michael Schüßler ist Professor für Praktische Theologie an der Katholisch-theologischen Fakultät der Universität Tübingen und Mit-Herausgeber der Theologischen Quartalschrift (ThQ).
Bild: Michael Schüßler