Als Ghostwriterin hätte Regina Laudage-Kleeberg die Predigt von Pietro Parolin in Berlin anders formuliert. Auch die Reaktionen wären sicher anders ausgefallen.
Ende Juni hat der zweite Mann im Vatikan, Kardinalstaatssekretär Pietro Parolin, in Berlin eine Predigt gehalten. Parolin hat darin Petrus und Paulus als Beispiel herangezogen, um zu zwei Themen zu sprechen: zum Primat der Gnade und zur Sorge um die ganze Kirche. In der Predigt spricht er sich dafür aus, sich einzuordnen: „Vor allen Visionen und einzelnen Bedürfnissen muss die Gemeinschaft den Vorrang haben.“
Als Ghostwriterin hätte ich ihm diese Predigt etwas anders formuliert.
Hochfest der heiligen Apostel Petrus und Paulus
Berlin, Johannesbasilika
29. Juni 2021
Brüder und Schwestern,
als wir heute durch das Brandenburger Tor geschritten sind, war ich tief berührt von diesem Zeichen der Einheit einer Nation. Deutschland ist ein Land, das sich aus eigener Kraft, mit größtem diplomatischen Bemühen wieder vereint hat. Und bis heute müssen die Menschen hier hart an dieser Einheit arbeiten, denn Einheit fällt nicht vom Himmel. Das Gleiche gilt für die Einheit der Kirche.
Einheit fällt nicht vom Himmel.
Die Einheit in Deutschland ist auch deswegen wiederhergestellt worden, weil Menschen in Ost- und Westdeutschland nicht aufgehört haben, zu denken, nachzufragen und aufzubegehren. Auch die Kirchen waren daran maßgeblich bei den Montagsdemonstrationen beteiligt.
Ich bin dankbar, heute in Ihrer wachen, konfliktbereiten Gesellschaft zu sein. Denn nur wer den Konflikt wagt, nur wer mutig zurückfragt, wenn es schwierig wird, hilft der Reifung einer Gemeinschaft.
Jesus hat das an so vielen Stellen sichtbar gemacht: Er ist in die Konflikte seiner Zeit hineingetreten. Er hat mit den Menschen diskutiert und gerungen. Zugleich hat er sich nie selbst überhöht, er hat sich Gottes Willen gefügt.
Im Verhör sagt Petrus in der Apostelgeschichte (5,29): „Man muss Gott mehr gehorchen als den Menschen.“ Und diesen Apostel Petrus feiern wir heute. Und ich brauche Ihnen nicht zu sagen, dass der „Löwe von Münster“, der selige Clemens August Kardinal Graf von Galen, dieses Wort in einer seiner berühmtesten Predigten gegen das Naziregime ausbuchstabiert hat.
Ich möchte über zwei Dinge sprechen: über die Freiheit und über die Liebe Gottes.
Ich möchte heute über zwei Dinge sprechen, wenn wir den heiligen Aposteln Petrus und Paulus gedenken: Über die Freiheit, die Gott ihnen geschenkt hat. Und über die Liebe Gottes, mit der sie in ihrem Leben umfangen waren.
Zuerst zur Freiheit
Gott hat uns Menschen zu freien Wesen erschaffen, schon die Urgeschichte der Freiheit, der Weggang aus dem Paradies von Adam und Eva, zeigt: Unser Gott mutet uns die Freiheit zu, uns in dieser Welt zu verhalten – mit allen Risiken und Nebenwirkungen. Und er mutet den anderen Menschen zu, dass ein Mensch sich frei verhält. Dass er seine Entscheidungen trifft, richtige und falsche.
Und so halten wir es auch als römisch-katholische Kirche: Wir muten uns die Freiheit jedes Einzelnen und jeder Einzelnen zu. Unser Auftrag als Volk Gottes ist, dabei die Einheit zu wahren. Denn auch das Gegenüber, der Mensch mit der anders vollzogenen Freiheit, ist ein Geschöpf Gottes. Pastoral gesehen bringt uns das in die herausfordernde Situation, Diversität anzuerkennen und trotzdem mit den Menschen nachzuspüren, ob sie sich in ihrem Handeln von Gott entfremden.
Die Kirche ist auf der ganzen Welt hochdivers. Sie wissen, dass uns das im Vatikan sehr herausfordert.
Kirchenpolitisch bedeutet das für uns, auszuhalten und die Tatsache zu gestalten, dass die Kirche auf der ganzen Welt hochdivers ist. Sie wissen, dass uns das im Vatikan sehr herausfordert und ich bitte Sie um Ihr fürbittendes Gebet, um Ihren Rat und Ihr Feedback, wenn Sie merken, dass wir mit der Freiheit, die Gott den Menschen geschenkt hat, nicht reflektiert genug umgehen.
Denn der Umgang mit der Freiheit, das zeigen die Biographien von Petrus und Paulus uns auf berührende, schmerzliche Weise, ist auch ein Umgang mit Entscheidungen, die andere belasten, verletzen oder töten können. Und zugleich zeigt uns die Wahrung dieser Freiheit auch: Petrus und Paulus haben sich schließlich für Gott entschieden. Sie haben ihren Weg gefunden. Und mit diesen brüchigen, freien Biographien sind sie die Säulen der Kirche.
Von der Liebe Gottes umfangen
Und nun zur Liebe Gottes, mit der er jedes Leben umfängt. Sie alle kennen die Geschichte von Saulus, der Menschen verfolgt und getötet hat, und der sich dann zum Paulus bekehrt hat. Und Sie kennen die Geschichte von Petrus, der Jesus verraten hat, um dies später bitter zu bereuen. Beide Männer – davon bin ich tief überzeugt – sind Gottes geliebte Kinder. Er liebt und umfängt ihr Leben, ihre Entscheidungen, ihre Sehnsüchte, Stärken und Fehler. Und er glaubt an sie – dass sie sich ändern können.
Die Liebe Gottes gibt uns den Mut, unsere dunklen Seiten anzusehen und jeden Moment neu zu versuchen, bessere Menschen zu sein.
Diese Liebe Gottes dürfen wir – Sie und ich und alle Geschöpfe Gottes – in größter Überzeugung annehmen. Und sie umfängt uns, sie gibt uns den Mut, unsere dunklen Seiten anzusehen und jeden Moment neu zu versuchen, bessere Menschen zu sein.
Brüder und Schwestern,
wir befinden uns in einer Phase größter Zerrissenheit in der Kirche.
Zum einen wissen wir um die Liebe Gottes, die jeden Menschen umfängt, und zum anderen hat er uns und alle frei gemacht, eigene Entscheidungen zu treffen.
Wir haben unsere Freiheit nicht immer genutzt, um Gott, seiner Botschaft von radikaler Menschenliebe zu genügen.
Und wenn ich das auf mein Wirken in der Kirche, auf das Wirken vieler meiner Mitbrüder, beziehe, dann muss ich feststellen: Wir haben unsere Freiheit nicht immer genutzt, um Gott, seiner Botschaft von radikaler Menschenliebe zu genügen.
Wir, damit meine ich auch dezidiert mich und die anderen in der obersten Verantwortungsebene, haben Schuld auf uns geladen. Wir haben unterschätzt und nicht verhindert, dass es sexualisierte Gewalt an kirchlichen Orten gibt. Wir haben weggesehen und unsere Mitbrüder, die sich an wehrlosen Schutzbefohlenen vergangen haben, auf Kosten der Opfer geschützt.
Der Leib der Kirche ist nur dann lebendig und wirksam, wenn in ihm niemand zu Schaden kommt.
Viele Menschen haben deswegen bleibenden Schaden genommen. Wir haben diese Menschen nicht ernstgenommen, ihnen oft nicht einmal Gehör geschenkt. Unser Wunsch, wie ihn Papst Franziskus in seinem Schreiben an das pilgernde Volk Gottes in Deutschland formuliert, „die Gemeinschaft mit dem ganzen Leib der Kirche immer lebendig und wirksam zu erhalten“ muss bedeuten: Der Leib der Kirche ist nur dann lebendig und wirksam, wenn in ihm niemand zu Schaden kommt.
Franziskus schreibt weiter: „Das hilft uns, die Angst zu überwinden, die uns in uns selbst und unseren Besonderheiten isoliert.“ Unser Heiliger Vater will nicht, dass wir isolierte Entscheidungen treffen. Auch nicht in Rom.
Freiheit kann man missbrauchen. Zugleich kann bedingungsloser Gehorsam keine Option für uns sein.
„Man muss Gott mehr gehorchen als den Menschen!“ Wenn ich auf Petrus und Paulus schaue, dann haben sie genau das verstanden. Aber keiner von beiden hat Gott blind gehorcht, sie haben ihre eigenen freien Entscheidungen getroffen. Und sie waren in Gottes Liebe gehalten.
Für uns in dieser zerrissenen Kirche, die im größten Umbruch steckt, bedeutet das eine riesige Herausforderung. Denn Freiheit kann man missbrauchen, um anderen zu schaden. Und zugleich kann bedingungsloser Gehorsam keine Option für uns sein. Ich glaube fest daran, dass die Liebe Gottes, die Liebe der Menschen untereinander unsere Einheit erhalten wird, so wie es Paulus an die Kolosser schreibt (Kol 3,14): „Vor allem aber liebt einander, denn die Liebe ist das Band, das alles zusammenhält und vollkommen macht.“
Lassen Sie uns deswegen um den Geist Gottes bitten, der uns als Kirche die Treue Gottes garantiert. Dieser Geist möge uns auf unserem Weg begleiten.
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Regina Laudage-Kleeberg schreibt Texte und Predigten und ist Referentin für Organisationsentwicklung im Bistum Essen. Sie betreibt das Portal kirchenkrise.de, auf dem Menschen Fragen an die katholische Kirche einreichen können.
Bild: © Deutsche Bischofskonferenz/Kopp
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Die tatsächlich in Berlin gehaltene Predigt findet sich hier zum Download (dbk.de, PDF)