Geschichten des unsichtbaren Scheiterns an der wissenschaftlichen Theologie will das Projektteam der Jungen AGENDA aus Wiebke Brandt (Eichstätt), Lena Janneck (Bamberg), Anna Kontriner (Wien), Judith König (Regensburg) und Katharina Leniger (Würzburg) erzählen und ruft mit einer ersten Geschichte dazu auf, die eigene Erfahrung an das Team zu senden.
An einer Karriere im Bereich der wissenschaftlichen Theologie, so lassen Statistiken keine Zweifel, beißen sich viele die Zähne aus, insbesondere junge Frauen. Es wurde bereits viel über die Gründe geschrieben, die zu diesem „Scheitern“ führen: Universitäre und kirchliche Strukturen, persönliche Lebenssituationen, prekäre Arbeitsbedingungen und Abhängigkeitsverhältnisse. Ebenso wurde Vieles versucht, um Qualifikationsmöglichkeiten, Arbeitsbedingungen und Perspektiven insbesondere für junge Frauen zu verbessern.
Hinter jeder Zahl steckt eine Person.
Hinter jeder Zahl, jedem Fall steckt eine Person mit ihrer ganz individuellen Geschichte über den Punkt im Leben, an dem es so nicht weitergeht. Diese Geschichten werden jedoch kaum erzählt, sie bleiben ungehört und die Erzählenden unsichtbar. Sie sind bisweilen behaftet mit Gefühlen von Scham, Angst, Wut oder des Versagens. Prominenter werden hingegen Geschichten von Wendepunkten erzählt, in denen in einer Sackgasse plötzlich neue Wege eröffnet wurden. Die Hoffnungsperspektive ist der Theologie in die DNA eingeschrieben; sie ermöglicht Neubeginn und Zukunft. Damit darf das Scheitern jedoch nicht überdeckt werden – nicht immer bzw. zwingend kann es in etwas Zukunftsweisendes transformiert werden. Die Menschen, die (später) neue Wege in oder mit der Theologie gefunden haben, sind noch Teil der Theologie oder der assoziierten Systeme. Die Gescheiterten sind häufig – auch laut- und stimmlos – gegangen.
Unsichtbares Scheitern.
Dieser Lücke will eine Initiative der Jungen AGENDA, einem Netzwerk junger Theologinnen in AGENDA – Forum katholischer Theologinnen e.V., entgegenwirken. Die vielen, im persönlichen Gespräch erzählten Geschichten von Kommiliton:innen, Studierenden und Kolleg:innen sollen mit dem Projekt „Unsichtbares Scheitern“ sichtbar und hörbar gemacht werden. Erste Texte sind bereits eingetroffen. Anna Kontriner (Magistra Theologiae, BA/MA) hat Philosophie und Katholische Theologie studiert. Sie lebt in Wien und arbeitet als selbstständige Lektorin. Außerdem ist sie in der Umweltschutzbewegung aktiv und beginnt gerade ein Masterstudium der Altorientalistik. Im Hinblick auf ihr Theologiestudium schreibt sie:
„Ich habe – als Zweitstudium – Theologie studiert, weil keine andere Wissenschaft einen Zugang zu einem so breiten Spektrum an wissenschaftlichen Disziplinen und Methoden ermöglicht und einen historisch und systematisch so tiefgehenden Zugang zu unserer Kulturgeschichte erlaubt wie die Theologie. Außerdem bin ich in der katholischen Tradition verwurzelt und es war mir ein Anliegen, diese Tradition und mein Verhältnis dazu auch zu reflektieren. Ich fand das Studium durchwegs spannend, habe unglaublich viel gelernt, habe sehr wertvolle zwischenmenschliche Beziehungen geknüpft und mich persönlich weiterentwickelt. Ich habe wahnsinnig gerne – und auch erfolgreich – Theologie studiert, ich habe auch mit viel Freude an der katholisch-theologischen Fakultät gearbeitet und ich beschäftige mich nach wie vor mit theologischen Themen und Fragen.
Aber ich kann mir nicht vorstellen, beruflich an mein Theologiestudium anzuknüpfen, weder in der akademischen Theologie noch in der Kirche. Es ist nichts Konkretes vorgefallen, woran ich gescheitert wäre, es gab keine nennenswerten zwischenmenschlichen Konflikte, ich bin nicht an den inhaltlichen Anforderungen gescheitert und ich war nicht einmal durch die immer schlechter werdenden beruflichen Perspektiven gezwungen, mich nach etwas anderem umzusehen – noch nicht. Ich bin nicht an der Theologie als Wissenschaft gescheitert, sondern an den Institutionen, die dahinterstehen, an der römisch-katholischen Kirche und am neoliberal organisierten Universitätssystem: Ich sehe für mich in der Kirche keine Perspektive und in der akademischen Theologie, in denen die Strukturen der Kirche genauso wirksam sind wie die Mechanismen des heutigen Universitätsbetriebs, ebenso wenig.
Es gab kein Ereignis, das mein Scheitern markiert hätte; ich hätte auch noch Möglichkeiten gehabt, im Bereich der Theologie oder der Kirche weiterzuarbeiten. Aber mir ist im Laufe der Zeit sehr klar geworden, dass ich in dem Bereich mittelfristig keine Perspektive habe, und da habe ich den Zeitpunkt, an dem ich gehe, lieber gleich selbst bestimmt. Warum ich mir meines zukünftigen Scheiterns so sicher war, dass ich meine Pläne gleich habe scheitern lassen, statt es zumindest zu versuchen, ist schnell erklärt.
- Erstens wird es die katholische Theologie an staatlichen Hochschulen, wie wir sie im deutschen Sprachraum heute kennen, in wenigen Jahren nicht mehr in der Form geben. Alle, die in dem Bereich tätig sind oder waren, wissen, dass die Gelder massiv gekürzt werden und alle wissen, dass dies mit einem massiven Stellenabbau in den nächsten Jahren einhergeht. Kleine Fakultäten werden geschlossen werden und große Fakultäten werden schrumpfen. Für junge Theolog:innen, die schon jetzt nur sehr schlecht bezahlte, auf wenige Jahre befristete Verträge bekommen, wird es in wenigen Jahren kaum noch Stellen geben, und die wenigsten Theolog:innen meiner Generation haben die Aussicht, je einen unbefristeten Vertrag an einer staatlichen Hochschule zu erhalten, von dem sie wirklich leben können. Das betrifft nicht nur die Theologie, sondern auch andere Wissenschaften, aber die Theologie betrifft es aufgrund der rapide sinkenden Studierendenzahlen und der zunehmenden Infragestellung ihrer Legitimation – sowohl von Seiten säkularer Wissenschaftsmanager:innen als auch von Seiten der Kurie, die die Ausbildung von Theologen [sic] lieber an kirchlichen Hochschulen sehen würde – besonders stark. Und ich habe keinen Grund zur Annahme, dass ich zu den wenigen Glücklichen gehören werde, die vielleicht doch mittelfristig eine sinnvolle Anstellung bekommen könnten.
- Zweitens habe ich wenig Hoffnung, dass die Machthaber in der katholischen Kirche in absehbarer Zeit von ihrem reaktionären Irrweg ablassen oder ihre Macht an weltoffenere Menschen abgeben werden. Ebenso wenig ist zu erwarten, dass die Kirche als Institution, wie sie zur Zeit strukturiert ist, mich als linksintellektuelle Lesbe, die nur ungern ein Blatt vor den Mund nimmt, als vollwertiges Mitglied anerkennen wird. Es gab eine Zeit, da hatte ich Hoffnung, dass sich die katholische Kirche ändern und wieder den Menschen zuwenden würde, aber diese meine Hoffnung ist mittlerweile verschwindend gering. Ich denke nicht, dass der Wind in Rom drehen wird, und ich denke, liberale Theolog:innen und Kirchenmitglieder – die oft Großartiges leisten und von der Amtskirche selten dafür gewürdigt werden – werden sich entscheiden müssen, ein Schisma zu wagen oder ihre Gruppe langsam erodieren zu sehen. In der Kirche als Institution gibt es für mich keinen Platz, und damit habe ich leider auch nur einen sehr marginalen, prekären Platz in der Theologie. Allein diesen Text zu publizieren könnte mich zum Beispiel noch in Jahrzehnten das nihil obstat kosten. Das ist es mir nicht wert, da ziehe ich es vor, mir anderswo Raum zu nehmen.
Es tut mir noch immer ein bisschen leid um die Perspektive, die ich vielleicht hätte haben können, wenn die Strukturen der Universität und der Kirche offener wären. Ich wäre gerne Theologin geworden, aber nicht unter diesen Umständen.“
Aufmerksam lesen!
Im abgedruckten Text wird eine individuelle Geschichte des Scheiterns, die Entscheidungen und Empfindungen der Autorin geschildert. Sie fordert vor allem eins: Das aufmerksame Zuhören oder Lesen. Das Anliegen des Projektteams der Jungen AGENDA ist es, weitere Geschichten und die dahinterstehenden Personen sichtbar zu machen.
Daher der Aufruf: Haben Sie auch eine Geschichte des Scheiterns mit der wissenschaftlichen Theologie zu erzählen? Dann senden Sie maximal eine Din-A4-Seite bis 1. November 2021 an jungeagenda@agenda-theologinnen-forum.de.
Die Geschichte kann zunächst fragmentarisch und recht frei sein. Der eingesandte Text wird nur von der Redaktion und dem Team gelesen und kann ggf. auch anonymisiert werden. Die Weiterarbeit mit dem Text erfolgt dann in individueller Absprache. Wichtig ist, dass die Erzähler:in sich als „gescheitert“ (was immer das heißen mag) an der theologischen Wissenschaft empfindet, z.B. an einer Qualifikationsarbeit oder durch eine fehlende Anschlussmöglichkeit als Post-Doc. Mögliche Impulsfragen sind: Woran sind Sie gescheitert? Warum haben Sie das als Scheitern empfunden? An welchem Punkt haben Sie gemerkt, dass Sie gescheitert sind? Was hätte/hat Ihnen geholfen?
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Text: Projektteam der Jungen AGENDA. Die Junge AGENDA ist ein Netzwerk junger katholischer Theologinnen in AGENDA – Forum katholischer Theologinnen e.V.
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